Der Luthereffekt

Lutherjahr Eine Ausstellung zum Reformationsjubiläum im Martin-Gropius-Bau Berlin zeigt den Einfluss von 500 Jahren Protestantismus in der Welt.

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Wie sah der Luther-Effekt aus? Dieser Frage geht unter anderem eine Ausstellung in Berlin nach
Wie sah der Luther-Effekt aus? Dieser Frage geht unter anderem eine Ausstellung in Berlin nach

Foto: Ausstellungsplakat (Ausschnitt)/Presse

Deutschland befindet sich im Lutherjahr. 1517 nagelte der Wittenberger Theologieprofessor Martin Luther seine 95 Thesen gegen das Ablasswesen an die Wittenberger Kirchentür, was nun 500 Jahre später mit einigen Jubiläumsausstellungen quer durch die reformierten Lande begangen wird. Das Deutsche Historische Museum Berlin gedenkt im Martin-Gropius-Bau dem Beginn der Reformation mit der breit angelegten Schau Der Luthereffekt. Es ist eine von drei nationalen Sonderausstellungen, die in diesem Jahr einen umfassenden Überblick über die Reformation und ihre Folgen bieten. In der Lutherstadt Wittenberg zeigt die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt Luther! 95 Schätze - 95 Menschen. Die Wartburg-Stiftung in Eisenach widmet sich dem Thema Luther und die Deutschen.

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Im Erdgeschoss des Martin-Gropius-Baus wird auf rund 3.000 Quadratmetern das Wirken der sich von deutschen und anderen europäischen Nachbarlanden über vier Kontinente ausbreitenden Reformation am Beispiel von Schweden, den USA, Korea und Tansania präsentiert. Im Wandelgang um den Lichthof bekommen die BesucherInnen einen Überblick über die Ursprünge der europäischen Reformationsgeschichte beginnend bei den Kirchenkritikern John Wycliff und Johannes Hus, die bereits vor Luther die Mitgestaltung des kirchlichen und religiösen Lebens durch Laien forderten. Die Schau verschweigt auch nicht, dass es verschiedene europäische Reformwege, etwa die der anglikanischen Kirche in England oder die eidgenössische Reformation unter Zwingli und Calvin, gab.

Anhand von in Schaukästen ausgestellten Texten, Gegenständen der Religionsausübung und Kunstwerken aus der Zeit der Reformation in Europa werden die Veränderungen im Alltag der Menschen des 16. Jahrhunderts erklärt. Die neuen Glaubensvorstellungen wie etwa der Wegfall des Zölibats und die von Luther propagierte Aufwertung der Ehe, beeinflussten Kultur und Gesellschaft. Es kam nicht nur zur Umgestaltung der Kirchenräume und Gottesdienste, sondern auch zu offenen Konflikten mit der katholischen Kirche, was schließlich zum Dreißigjährigen Krieg zwischen der kaiserlichen Katholischen Liga und der Protestantischen Union von Kurfürsten lutherischer Konfession führte. Aber auch die verschiedenen Reformrichtungen machten sich untereinander Konkurrenz. Es kommt zur Herausbildung mehrerer protestantischer Glaubensrichtungen.

Eingebetteter Medieninhalt

Hier fehlt dem interessierten Laien dann doch etwas die Orientierung, auch wenn der kostenfrei gereichte Multimedia-Guide in Form eines kleinen Tablets mit angeschlossenen Kopfhörern einiges an Wissenswertem über Luther und den Weg der Reformation in Europa vermittelt. Eine darüber hinausgehende kritische Betrachtung des Reformators und seiner Texte zum Beispiel über die Juden erfolgt allerdings nur am Rande. Das Bild der Frau und ihr Wirken in der Reformation werden ebenfalls nur kurz gestreift. Hier ist es nicht etwa die ehemalige Nonne Katharina von Bora (Cranachs Doppelgemälde Luthers und seiner Frau hängt in der Ausstellung), sondern die Altenburger Reformatorin Ursula Weyda, die mit ihren prolutherischen Flugschriften für das Einmischen von Frauen in die Reformation sorgte. Ansonsten hatten auch evangelische Frauen den Platz an der Seite ihres Mannes einzunehmen und sich seiner Führung unterzuordnen.

Zu erwähnen wäre noch die Licht-Klang-Installation ÜBERGANG
des Berliner Künstlers Hans Peter Kuhn. Eine den Lichthof durchschneidende, sich spiralförmig windendende Doppelhelix-Skulptur aus Aluminiumrohren, die mit einer 16-kanaligen Klangkomposition die Spaltung der Kirchenlehren audiovisuell erfahrbar machen soll. Der Wechsel vom katholischen ins protestantische Weltbild wird im Genesismodel der Chromosomen als Bausteine des Lebens sichtbar. Irdische Horizontale und göttliche Vertikale verändern sich im Protestantismus, der den direkten Zugang der Gläubigen zu Gott erleichterte, dafür aber strengere irdische Regeln aufstellte, denen man sich nicht wie im Katholizismus durch Beichte und Sündenerlass entziehen konnte. Was aber auch andeuten soll, dass beide Konfessionen auch weiterhin untrennbar miteinander verbunden sind.

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Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt aber klar in der Verbreitung der neuen reformierten Glaubenslehren in Europa und über den Kontinent hinaus. Durch den ab 1539 in Wittenberg studierenden und späteren Reichsrat Carl Holgerson Gera verbreiteten sich Luthers Schriften sehr rasch im Königreich Schweden. Bereits Ende des 16. Jahrhunderts bildete sich dort die erste lutherische Staatskirche heraus. Militärische Erfolge in den europäischen Feldzügen feierte der schwedische König Gustav II. Adolf als nationale Triumphe des Glaubens. Entsprechende Reliquien und Devotionalien sind in der Abteilung ausgestellt. Schweden wird zur lutherischen Großmacht in Europa. Die schwedische Zentralkirche drängt freie pietistische Glaubensvereinigungen zurück und zwangsmissioniert die im Norden lebende Urbevölkerung der Sámi. Als Zeuge des zunehmend in Schweden herrschenden Katechismus aus Sünde, Bekenntnis, Strafe, Vergeltung und Gnade führt die Ausstellung den schwedischen Regisseur Ingmar Bergmann, bekannt durch seine zahlreichen Filme zum Thema, wie etwa Fanny und Alexander.

Die Utopie eines sich tolerant gebenden Gottesstaats versuchen im 17. Jahrhundert europäische Auswanderer in Amerika zu leben. Neben den in den englischen Kolonien vorherrschenden Puritanern, Anglikanern und Presbyterianern gründen wegen ihres Glaubens in Europa verfolgte reformierte Glaubensgemeinschaften wie die Quäker, Herrnhuter, Amische oder Mennoniten unter dem Quäker William Penn in Pennsylvania eine neue Kolonie als „Holy Experiment“. Die dort gelebte Glaubensfreiheit und Toleranz fand in der Einstellung zu Sklaverei und Rassismus allerdings auch ihre Grenzen. Die zunehmende christliche Missionierung ging vor allem mit einer territorialen Expansion in den Westen, ins sogenannte „gelobte Land“ der amerikanischen Ureinwohner einher. Indigene Konvertiten sind die „First Fruits“ der sich als erwähltes Volk sehenden Neuamerikaner. Weiterhin beschäftigt sich dieser Ausstellungsteil noch mit den in Folge der durch die Verfassung der USA garantierten Glaubensfreiheit wie Pilze aus dem Boden schießenden Frei- und Erweckungskirchen sowie ihren übers Land ziehenden Wanderpredigern. Zusammenfassend lässt sich die Wirkung des Protestantismus bei der Herausbildung der amerikanischen Nation ganz gut mit den Worten Abraham Lincolns zusammenfassen: „Intelligenz, Patriotismus, Christentum und ein starkes Vertrauen in ihn, der dieses bevorzugte Land noch nie verlassen hat, befähigen uns immer noch, uns an gegenwärtige Schwierigkeiten anzupassen.“ Kurz gesagt: „In God we trust.“

Europäische und amerikanische Missionare sind es auch, die den protestantischen Glauben nach Afrika und Asien bringen. Besonders in Tansania zu deutschen Kolonialzeiten und im Korea des ausgehenden 19. Jahrhundert fällt dies auf fruchtbaren Boden. In Tansania leben heute neben 40 Prozent Muslimen ebenso viele Protestanten. Die dortige evangelisch-lutherische Kirche ist nach der schwedischen die zweitgrößte lutherische Kirche der Welt und im Gegensatz zu Deutschland weiter im Wachsen begriffen. Die Ausstellung dokumentiert in Exponaten und Fotografien die Geschichte wie auch das heutige Gemeindeleben als ein sehr reges an eigenen religiösen Riten wie dem „Faith Healing“ reiches Gemeinwesen, das auch Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins ist.

Korea wird dann noch geradezu als „Boomland des Protestantismus“ gefeiert. Die christlichen Werte des Westens lassen sich besonders gut in leistungsorientierte Gesellschaften integrieren. Der Anteil der evangelischen Christen beträgt heute etwa 20 Prozent. Besonders presbyterianische Missionare mit ihrer Glaubenslehre „Du bist ein Sünder“ bekehrten die nach einer Erneuerung der konfuzianischen Lehre suchenden Koreaner zum Christentum. Interessant ist vor allem der in diesem Teil gezeigte Bilderzyklus Das Leben Jesu Christi. Der südkoreanische Künstler Kim Ki-chang malte die bekannten Bibelszenen in traditioneller koreanischer Umgebung, als wäre der christliche Erlöser ein asiatischer Gelehrter. Betont wird auch der Beitrag der evangelischen Kirche am Befreiungskampf gegen die japanische Besatzung. Sie war allerdings anfangs auch Stütze des südkoreanischen Militärregimes. So wie das Land in Nord- und Südkorea geteilt ist, herrscht auch in der südkoreanischen Kirche eine Spaltung in einen konservativen und liberalen Zweig, der die „Schlüsselfrage“ nach der Wiedervereinigung sowie soziales und politisches Engagement gegen das Nationale Sicherheitsgesetz von 1991 noch nicht ganz ad Acta gelegt hat.

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Insgesamt ist die Ausstellung in den Überseebereichen sehr informativ und - was das heutige protestantische Leben betrifft - auch recht gegenwartsbezogen gestaltet, was man sich auch für den europäischen Teil und die Wirkung der Reformation im heutigen Deutschland gewünscht hätte. Aber dafür muss man dann wohl an die einstige Wirkungsstätte des deutschen Reformators nach Wittenberg fahren. Allerdings scheint, wie erste Publikumserhebungen zeigen, das Interesse an Luther und dem unter seinem Namen ausgerufenem Jubiläumsjahr wohl doch nicht so hoch zu sein, wie erwartet.

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Zuerst erschienen am 22.07.2017 auf Kultura-Extra.

Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt
Martin-Gropius-Bau Berlin
12. 04.-05.11.2017

Öffnungszeiten:
Mi - Mo | 10 - 19 h
Di | geschlossen

Sonderöffnungszeiten:
03. + 31.10.2017 | 10 - 19 h

Multimedia-Guide: kostenfrei
Der Guide ist erhältlich für Kinder und Erwachsene in Deutsch und Englisch. Er enthält deutsche Audiodeskriptionen sowie Informationen in Einfacher Sprache und in Deutscher Gebärdensprache

Eintritt: € 12 / erm. € 8

Weitere Infos siehe auch: https://www.3xhammer.de/de/berlin/der-luthereffekt/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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