Politikbetrieb Das Image der Ampel ist mangelhaft. Die Dreierkoalition streitet wie die Kesselflicker und erregt die Gemüter. Die Zustimmungszahlen sinken rapide. Wie sieht es bei konkreten Ergebnissen aus? Wird die Arbeit der Regierung unterbewertet?
Das mag jetzt erstmal nicht nach „Contra“ klingen, aber es wäre ja unsinnig, die positiven Halbzeit-Ergebnisse der Ampelkoalition zu bestreiten. Die energiepolitische Bewältigung des Ukraine-Schocks, das Bürgergeld, das Staatsbürgerschaftsrecht nebst Fachkräfte-Einwanderung, und ja, sogar das bisschen Kindergrundsicherung: Natürlich wäre all das mit Friedrich Merz nicht möglich gewesen, und in einer FDP-Alleinregierung schon gar nicht (wenigstens davor möge das Schicksal uns auf Dauer bewahren).
In der Logik bestehender Macht- und Mehrheitsverhältnisse gedacht (oder auch: in der Logik des kleineren Übels), können wir die Ampel also vielleicht mit einem seufzenden „Immerhin!“ freundlich gestimmt ertrage
ch gestimmt ertragen. Und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, können wir hinzufügen, versucht es ja wenigstens, und ganz ohne Erfolg ist er nun auch wieder nicht, siehe nur die Windräder und so weiter!Den Maßstab nicht am Möglichen, sondern Notwendigen anlegenEs gibt aber auch noch eine andere Perspektive, die sich nicht am vordergründig möglich Erscheinenden orientiert, sondern an der Notwendigkeit einer grundlegenden ökologisch-sozialen Wende. Wer diese Notwendigkeit nicht für gegeben hält, mag über die Summe kleiner Fortschritte glücklich sein, die in der Bilanz der „Fortschrittskoalition“ auftauchen. Wer aber die Dimension gegenwärtiger Krisen und des daraus entstehenden Handlungsbedarfs in den Blick nimmt, kann die Erfolge und die eingelösten Versprechen der aktullen Regierung allenfalls als grün-rote Farbtupfer auf einem insgesamt düsteren Gesamtbild betrachten.Um jetzt nicht allzu utopisch zu werden: Maßstab für die Beurteilung muss ja nicht gleich die ganz große Transformation sein, also die vollständige Überwindung eines Kapitalismus, der auch in seiner grün eingefärbten Variante der Ausbeutung von Menschen und Natur, vor allem im globalen Süden, kein Ende machen wird. Es reicht schon, die Regierung an dem zu messen, was selbst eine längst auf Pragmatismus getrimmte grüne Partei noch im Wahlkampf wollte.Dazu gehörte beispielsweise eine Energiewende, die dem Notwendigen wesentlich näher gekommen wäre als die Realität im Frühherbst 2023 – das Heizungsgesetz ist nicht das einzige Beispiel, sondern nur ein herausragendes, weil es hier „gelungen“ ist, einerseits den klimapolitischen Nutzen zu minimieren und andererseits durch die Entstehungsgeschichte die Klimapolitik in weiten Teilen der Gesellschaft weiter zu delegitimieren. Dazu gehörte aber auch der Wille, durch wenigstens maßvolle Ansätze zur Umverteilung von Reichtum die Energiewende sozial abzusichern. Stattdessen lässt das Klimageld auf sich warten – eine Steilvorlage für rechte Wutpolitik, die sich leider zum Teil aus sehr realen Abstiegsängsten speist.Was die Grünen tatsächlich erreicht habenEs stimmt, dass Putins verbrecherischer Krieg eine echte Transformationspolitik erschwert hat. Es stimmt vielleicht sogar, dass vorhandene Machtverhältnisse und Wahlergebnisse für mehr nicht geeignet sind als das, was die Ampel zustande bringt. Aber müssen wir das Unzureichende schon deshalb begrüßen, weil das Notwendige an den realen Machtverhältnissen scheitert?Der milde Blick auf die Erfolge der Ampel leidet an einem erheblichen Mangel: Er ist auf die Möglichkeiten und Grenzen von Regierungspolitik fixiert. Dabei läge eine Frage – so wie diese Koalition sich präsentiert – näher denn je: Geht Veränderung nur von oben? Ist die philosophierende Kompromissmaschine Robert Habeck im Ministeramt das Nonplusultra – oder hätte womöglich eine grüne Partei im Bündnis mit gesellschaftlichen Bewegungen durch Druck von unten mehr erreicht?Es mag utopisch klingen, denn es gibt nun mal keine anderen Mehrheiten. Aber was ist das für ein resignativer Realismus! Die Grünen selbst waren einst der Gegenbeweis: Dass Umwelt heute ein Thema für alle ist, haben sie aus der Opposition im Bündnis mit gesellschaftlichen Bewegungen erreicht. Stephan HebelProVerständnis für die Ampel fällt schwer. Ihr Farbenspiel erzeugt Unwillen, denn was zeigt sie denn nun? Rot, grün oder gelb? Wo geht es lang? Während die Prognosen immer finsterer werden, Unsicherheiten unüberschaubar, Klimakrise, Armut und Krieg auch in Europa sich festfressen, wächst der Unmut: Sie kann‘s nicht! Sie streitet nur! Sie soll mehr Waffen liefern, andere, gar keine. Sie soll mehr Klimaschutz machen, weniger, gar keinen. Sie soll konsequenter führen. Mehr erklären. Weniger labern. Uns in Ruhe lassen. Die FDP rauswerfen, die Grünen rauswerfen, besser ganz abdanken und endlich den Weg freimachen für das Große Richtigmachen.Es ist unser gutes Recht, als Medien, als Bürger, von den Rängen aus Buh zu rufen. Das muss die Regierung aushalten. In gepanzerten Wagen samt Kommunikations- und Stilberatung dürfte Kritik gut abgepolstert werden – für Behutsamkeit oder gar Ehrfurcht besteht keinerlei Anlass. Dennoch sei eine Lanze gebrochen für diejenigen „da oben“, so zittrig, unsympathisch oder inkonsistent deren Politik zuweilen erscheinen mag. Die haben schon auch einiges zu stemmen, auf einmal, zu schnell: In die Zeitenwende wenden, rasant russisches Gas ersetzen, sich beschimpfen lassen für – dann gar nicht notwendiges – Frieren im Winter, die Verlängerung der Atomlaufzeiten, den „Heizungshammer“. Die Dreierkoalition war ja keine Liebes-, sondern eine Zwangsheirat. Die Partner müssen als politische Gegner nicht nur jahrzehntelangen Reformstau, sondern auch mehrere Krisen auf einmal verwalten. Im teilweise selbstgeschaffenen Chaos gelingt überraschend viel.Was die Ampelkoalition alles erreicht hatEine Studie legt eine achtbare Halbzeitbilanz nahe: Fast zwei Drittel des Koalitionsvertrages habe die Ampel bereits umgesetzt, vieles andere angepackt. Ein paar Beispiele: Der Mindestlohn wurde erhöht, eine Ausbildungsgarantie eingeführt, Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld, eine Nationale Sicherheits- und Chinastrategie sind erarbeitet, es gibt ein Wohnungsprogramm für junge Leute und insgesamt mehr Wohngeld, Neubauten und Wohnungssanierungen müssen höhere Energiestandards erfüllen, die Bafög-Reform ist ebenso auf dem Weg wie die Regulierung von Kryptowährungen und digitalen Finanzdienstleistungen, es gilt ein Bargeldverbot beim Immobilienkauf, Zufallsgewinne werden besteuert, der Pflegebonus ist ebenso umgesetzt wie legaler Zugang zu Cannabis, „Chancen-Aufenthaltsrecht“, Wahlrechtsreform, und Bürgerräte. Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche ist weg, das Transsexuellengesetz reformiert.Nun mag man im Einzelnen davon halten, was man will, und nicht nur der Freitag kritisiert die Regierung scharf. Aber der Versuchung rechtspopulistischer Pauschalverdammung à la „Ihr macht immer alles falsch“, „Nie kümmert ihr euch um mich“ ist unbedingt zu widerstehen. Solch schrille Gekränktheit mit privatistischer Dauerempörung verhindert konkrete Kritik. Denn dass die Regierung NICHTS tut, NICHTS kann und ALLES verbockt, ist nicht wahr. Von ihren jeweiligen Anliegen haben die drei Parteien so viel wie möglich in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, dafür wurden sie gewählt.Manches läuft schief, anderes fehl, noch mehr krumm, aber wenn man Rot, Grün und Gelb zusammenwickelt, kommt nun mal kein roter Faden dabei raus. Mehrheiten zu organisieren ist in einer postmodern zerklüfteten Immer-mehr-Parteien-Demokratie schwieriger und riskanter geworden. Das heißt nicht, die Regierenden als quasi-Helden mit düsterer Ehrfurcht auszuleuchten wie jüngst Stephan Lamby in seinem „Ernstfall“. „Wir suchen keine Bewunderer“, sagte der, wie heute die Ampelpolitiker, als „Volksverräter“ verunglimpfte Willy Brandt 1969, „wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten.“ Das gilt weiter. Gerade Progressive sollten, bei allem berechtigten Ärger, nicht der Versuchung erliegen, meckertrotzkindisch die Farben so zu verwischen, dass am Ende nur noch Braun bleibt. Katharina Körting
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