Als gäbe es nicht schon genug schlechte Nachrichten, hier ist noch eine: Die FDP bleibt in der Ampel-Regierung. Neu ist das eigentlich nicht, aber jetzt wurde das Weiterwursteln amtlich bestätigt: Bei einer Mitgliederbefragung haben gut 52 Prozent gegen einen Ausstieg gestimmt, knapp 48 Prozent dafür.
Das Ergebnis ist nicht bindend, auch einem Ja zum Abschalten der flackernden Ampel hätten der Parteivorsitzende Christian Lindner und seine Führungsriege nicht folgen müssen. So wurde die Regierungsbeteiligung zwar bestätigt, der knappe Ausgang wird die FDP allerdings veranlassen, im Bündnis mit SPD und Grünen noch stärker auf die Pauke zu hauen.
Zum Beispiel dieser Tage, wenn die Partei wieder zu ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart einl
eder zu ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart einlädt. Was man als Anlass für die bescheidene Frage nehmen könnte: Was trägt die FDP des Jahres 2024 bei zu einer Gesellschaft, in der es gilt, Freiheit und Liberalismus gegen Frust, Verunsicherung, Wut und rechtsextreme Bauernfängerei zu verteidigen?Was auf dem Spiel steht, wird sich schon zwei Tage nach der Dreikönigskundgebung der FDP zeigen. Der Bauernverband ruft zur Demonstration gegen die Besteuerung von Agrardiesel auf, für die sich die Bundesregierung knapp vor dem Jahreswechsel entschieden hat. In rechtsextremen Kreisen wird der Anlass genutzt, um die Demonstrationen mit mehr oder weniger braunen Varianten von Wut und Hass aufzuladen. Auch die anderen Hauruck-Beschlüsse der Regierung – etwa die erhöhte CO₂-Abgabe ohne sozialen Ausgleich durch ein Klimageld – werden der in weiten Teilen der Gesellschaft wabernden Wut neue Nahrung geben. Ähnliches gilt auch für das Ende der Streikpause bei der Deutschen Bahn, so legitim der Arbeitskampf der GDL auch ist.FDP nur noch für Freiheit des KapitalsNoch einmal: Welchen Freiheitsbegriff könnte eine liberale Partei vertreten als Gegenentwurf zu den freiheitsverachtenden und rückwärtsgewandten Parolen von rechts, die den Ärger kanalisieren?Der FDP des Jahres 2024 fällt dazu nichts ein. Sie hat die Idee des Liberalismus auf die möglichst umfassende Freiheit des Kapitals von öffentlicher Kontrolle und Steuerung reduziert. Weshalb wir uns jetzt nicht nur auf frisches Öl im Feuer der notorischen Koalitionsstreitereien, sondern auch auf verstärktes Zündeln an den institutionellen Fundamenten gesellschaftlichen Zusammenhalts gefasst machen dürfen: „Die FDP will gestalten“, drohte die Pressestelle schon bei Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses, und Fraktionsvize Konstantin Kuhle präzisierte: Dazu gehöre „auch die Reform der sozialen Sicherungssysteme“. Dass „Reform“ hier nichts anderes heißt als Abbau, ist allseits bekannt.Wer nun auf die Idee kommt, ohne eine liberale Partei wäre die Welt womöglich besser, liegt nicht ganz falsch. Aber ganz richtig eben auch nicht, und zwar aus zweierlei Gründen.Erstens: Der „Liberalismus“ Lindner’scher Prägung hat sich weit über die FDP hinaus längst im öffentlichen Diskurs und im politischen Handeln etabliert. Dass neoliberale Kernelemente wie die Schuldenbremse inzwischen selbst bei Kapital-Lobbyisten wie dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft in Verruf geraten, mag langfristig Räume für Veränderungen öffnen. Aber von öffentlicher Hegemonie einer Politik des sozialen Zusammenhalts durch Umverteilung und des gerecht gestalteten ökologischen Umbaus kann nicht die Rede sein, auch wenn man die FDP außen vor lässt.Zweitens: Es wäre falsch, das Kind des Liberalismus mit dem Bade des Neoliberalismus auszuschütten. Eine Partei, die „aus Liebe zur Freiheit“ existiert, könnte gerade jetzt ganz hilfreich sein. Wie das?„Freiburger Thesen“ von 1971Es gab in der Bundesrepublik Deutschland mal eine politische Kraft, die den Liberalismus mit ganz anderen Inhalten füllte als ein Christian Lindner. Ihr Programm war „einem gewandelten Verständnis der Freiheit“ verpflichtet, „das dem modernen Liberalismus die neue politische Dimension eines nicht mehr nur Demokratischen, sondern zugleich Sozialen Liberalismus erschließt“. Denn: „Freiheit und Recht sind … bedroht durch die Tendenz zur Akkumulation von Besitz und Geld, die die Reichen immer reicher werden lässt, und die Tendenz zur Konzentration des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen.“Die Partei, die sich 1971 diese Grundsätze gab, hieß FDP. Nicht dass sie Besitz- und Gewinnstreben, Ehrgeiz und Eigennutz prinzipiell verworfen hätte. Aber die „Freiburger Thesen“, aus denen die Zitate stammen, stellten einen höchst spannenden Versuch dar, individualistische Elemente gesellschaftlicher Liberalität mit der Idee eines kollektiven sozialen Ausgleichs zu verbinden, der das praktische Recht auf individuelle Freiheit für alle garantiert. Es war übrigens auch das erste bundesdeutsche Parteiprogramm, das ein Kapitel zum Umweltschutz enthielt.Heute erleben wir, wie von konservativer und linker Seite mal die individuelle Entfaltung gegen die kollektive Garantie sozialer Sicherung ausgespielt wird und mal umgekehrt. Da könnte eine Partei nicht schaden, die das vertritt, was ausgerechnet die FDP für ein paar Jahre zu ihrem Motto gemacht hatte: den sozialen Liberalismus. Oder, noch ein bisschen radikaler: den libertären Sozialismus.