Akute Einsturzgefahr

Ökosystem Na, auch schon über Göring-Eckardts Satz zu Schmetterlingen gewitzelt? Dann gleich über Glyphosat geschimpft? Sehr gefährlich!
Ausgabe 48/2017
Wenn es keine Insekten mehr gibt, die unsere Pflanzen bestäuben, dann ist ziemlich egal, wie viel Geld wir haben
Wenn es keine Insekten mehr gibt, die unsere Pflanzen bestäuben, dann ist ziemlich egal, wie viel Geld wir haben

Foto: Mark Kolbe/Getty Images

Seit dem Wochenende fragt sich das Internet: Welche Drogen nimmt Katrin Göring-Eckardt? Auf dem Parteitag der Grünen hatte sie folgenden Satz gesagt und auf Twitter geteilt: „Wir wollen, dass in den nächsten vier Jahren jede Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen!“ In mehr als 700 Kommentaren spekuliert die Twitter-Gemeinde darunter über Haschisch und psychedelische Pilze, weist darauf hin, dass Windräder leider schon alle Vögel geschreddert hätten, und lässt von ihren Silberfischen im Bad ausrichten, Göring-Eckardt habe nicht alle Tassen im Schrank. Anne Will kann sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen, als sie die Fraktionsvorsitzende der Grünen in ihrer Sendung als direkte Ansprechpartnerin der Bienen und Schmetterlinge betitelt.

Klar, die Formulierung ist ähnlich infantil wie die Cem Özdemirs, als er die Grünen im Wahlkampf zur „parlamentarischen Vertretung der Bienen“ erklärte. Und es wirkt wie der etwas klägliche Versuch, nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen wieder zu Kernthemen zurückzukehren. Nach dem „atmenden Rahmen“ in der Flüchtlingspolitik, dem FDP-Traum Soli-Abbau und staatsmännischen Posen auf dem Balkon der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft nun also wieder Bienen und Blüten. Das Thema aber achselzuckend wegzulachen ist nicht nur ziemlich dumm, sondern auch ziemlich gefährlich.

Uns bricht seit Jahren das Fundament unseres Ökosystems weg: Seit 1989 hat die Masse der flugfähigen Insekten um mehr als drei Viertel abgenommen. Mit diesem Studienergebnis konfrontierten kürzlich Hobby-Entomologen die Öffentlichkeit, die an 63 Standorten in Deutschland 27 Jahre lang die Menge der Insekten ausgewertet hatten. Ohne Fundament funktioniert das Ökosystem nicht mehr. Darum verdient der Schutz der Artenvielfalt eine ebenso große Aufmerksamkeit wie der des Klimas.

Insekten machen rund zwei Drittel allen Lebens auf der Erde aus – es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, was es bedeutet, wenn ein Großteil davon stirbt. Sie regulieren sich gegenseitig – auch die Arten, die wir „Schädlinge“ nennen –, sie bestäuben Pflanzen – auch diejenigen, die wir „Nutzpflanzen“ nennen – und sie dienen anderen Tieren als Nahrung. Zum Beispiel den Vögeln. Wenn die nichts mehr zu fressen finden, sterben die auch. Binnen zwölf Jahren sind die Brutpaare deutscher Vogelarten um 15 Prozent zurückgegangen, warnte im Oktober der Naturschutzbund – bleiben wir beim Bild des Fundaments, dann bröckelt also bereits das Erdgeschoss.

15 Prozent weniger Brutpaare bei Vögeln – in zwölf Jahren

Wie tief die Bienen, Vögel und Schmetterlinge – und auch die weniger beliebten Motten, Fliegen, Mücken, Wespen und Käfer – nun aufatmen können, wenn die sechststärkste Partei Deutschlands ihnen ihren Einsatz zusichert, sei dahingestellt. Denn um das Massensterben aufzuhalten, muss sich die Agrarpolitik deutlich ändern, und die ist noch in eiserner CSU-Hand. „Wir werden im Bundestag und in der Öffentlichkeit konsequent Druck für die Reduzierung von Pestiziden und Verbote von Totalherbiziden wie Glyphosat machen – egal ob in der Opposition oder in der Regierung“, teilte das Büro von Katrin Göring-Eckardt auf Anfrage mit. Zur selben Zeit gab CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt sein Ja für eine EU-Zulassungsverlängerung des Skandal-Herbizids Glyphosat um weitere fünf Jahre – weder die Grünen noch SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks hatten da etwas zu melden. Glyphosat ist nicht nur wahrscheinlich krebserregend, es hinterlässt eine Agrarwüste, in der keine Wildblume mehr wächst, von der sich Insekten ernähren könnten.

Einen Zusammenhang zwischen der industrialisierten Landwirtschaft und dem Artensterben konnte die Insektenstudie zwar nicht belegen. Dass sie den Tieren das Leben schwer macht, sollte aber auch für Christian Schmidt nicht so schwer zu begreifen sein. Riesige Monokulturen bieten zunächst eine sehr einseitige Nahrungsgrundlage, und wenn sie verblüht sind, schlagartig gar keine mehr. Neben Glyphosat töten auch andere Pestizide wie die umstrittenen Neonicotinoide weit mehr als das, was sie töten sollen.

Die Abwärtsspirale wird von den Agrarsubventionen immer weiter gedreht. Es ist unwahrscheinlich, dass Deutschland sich dafür aussprechen wird, die Subventionen an Umweltstandards zu knüpfen, wie es die EU-Kommission bereits 2012 vorhatte. Schon jetzt könnte das Agrarministerium 15 Prozent der Subventionen im Sinne des Umweltschutzes umverteilen, macht das aber nur mit weniger als fünf Prozent der jährlich rund 6,2 Milliarden Euro. Das hätte sonst einfach zu „negative Auswirkungen auf die Gewinn- und Liquiditätssituation“ der deutschen Landwirtschaft, argumentiert CSU-Mann Schmidt.

Was er und die Twitter-Lästerbande offenbar nicht verstehen: Wenn wir keine Insekten mehr haben, die unsere Pflanzen bestäuben, dann ist es ziemlich egal, wie viel Geld wir haben. Dann haben wir nämlich nichts mehr zu essen. Fundament, erster Stock, zweiter Stock – all das fällt dann in sich zusammen. #nofood.

Svenja Beller schreibt als freie Journalistin über Umweltthemen, etwa für das Greenpeace Magazin. Gerade hat sie mit dem Fotografen Roman Pawlowski das Buch Einfach loslaufen im Dumont Reiseverlag veröffentlicht

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