Mensch, Sigmar

Energiewendenwende Wirtschafts- und Energieminister: Genau in dieser Reihenfolge setzt Sigmar Gabriel die Prioritäten in seinem Amt. Für die Energiewende heißt das nichts Gutes

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Mensch, Sigmar

Foto: Sean gallup/ AFP/ Getty Images

Wie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gestern bekannt gegeben hat, ist die Zahl der teilweise oder gänzlich von der EEG-Umlage befreiten Unternehmen 2014 um 20 Prozent gestiegen . Zahlten im vergangenen Jahr noch 1720 sogenannte „stromintensive Unternehmen“ weniger bis nichts für die Etablierung des Ökostroms in Deutschland, sind es in diesem Jahr bereits 2098.

Weniger Privilegien für Großverbraucher hatte Sigmar Gabriel angekündigt, nur irgendwie hat das nicht so richtig funktioniert. Die deutsche Wirtschaft wird durch eine Ausgleichsregelung in diesem Jahr vielmehr um 5,1 Milliarden Euro entlastet – eine Milliarde mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig will Gabriel den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen und stärker steuern als bislang, den Druck auf Ökostrom-Erzeuger durch die vorgesehene Selbstvermarktung erhöhen.

Ist das also noch die eigentliche Energiewende, oder ist es eher die Wende in der Wende? Gabriels geplante Reform der Ökostrom-Förderung hat jedenfalls für viele rauchende Köpfe gesorgt. Die eigene Partei murrt, die Länder haben etwas zu meckern, die Ökostrom-Erzeuger sowieso und auch die Industrie beklagt sich. Der Wirtschafts- und Energieminister hat es fertig bekommen, alle gegen sich aufzubringen. In diesem Gewirr aus unterschiedlichsten Meinungen und Interessen fällt es schwer, den Überblick zu bewahren.

Bocks Märchenstunde

Gut, dass Gabriel heute für etwas Klarheit gesorgt hat. Beim Empfang des Bundesverbands Erneuerbare Energien sagte er, man dürfe nicht die Betriebe belasten, nur um andere Verbraucher zu entlasten. Das heißt im Umkehrschluss nichts anderes, als dass man einseitig die Verbraucher belastet, um die Unternehmen und die Industrie entlasten zu können. Diese Industrie hat sich gestern in Person von BASF-Chef Kurt Bock in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort gemeldet und ihre Position deutlich gemacht. Bock, einstmals mit Aufsichtsratsmandat beim größten deutschen Erdöl- und Erdgasproduzenten Wintershall bedacht, poltert da, die Erneuerbaren müssten „endlich aus dem Streichelzoo der risikolosen Profite in den Markt entlassen werden, damit die Kostensteigerungen reduziert werden können.“

Dass diese Kostensteigerungen zu einem großen Teil erst durch die Ausnahmeregelungen für die deutsche Industrie entstehen, verschweigt Bock geflissentlich. Vor diesem Hintergrund erreicht der BASF-Mann ein Höchstmaß an Perfidie, wenn er Industrie und Mieter zu gemeinsamen Verlierern der „planwirtschaftliche(n) Umverteilung mittels EEG“ macht. Ein weiterer – wesentlicher – Faktor für den Anstieg der Umlage in diesem Jahr sind die sinkenden Börsenpreise für Strom.

Hier offenbart sich ein scheinbar paradoxer Sachverhalt: Obwohl die Strompreise durch ein großes Angebot an regenerativem Strom sinken, steigen die Kosten in Deutschland. Verantwortlich dafür ist die gesetzlich festgelegte Berechnungsweise durch die vier Übertragungsnetzbetreiber: Mit sinkenden Preisen an der Börse erhöht sich die Differenz zwischen der in Deutschland gezahlten EEG-Vergütung für erneuerbaren Strom und den mit diesem Strom erzielten Einnahmen an der Börse. Kurz: Das Geld, das an der Strombörse durch gesunkene Verkaufserlöse verloren geht, landet auf der Stromabrechnung.

An dieser Stelle kann man – wie von Gabriel geplant - die Betreiber von Solar- und Windkraftwerken dazu bringen, ihren Strom künftig selbst zu vermarkten. Schließlich konnten jene bislang ihre auf 20 Jahre garantierten Festvergütungen einstreichen, ohne den Druck zu verspüren, den bestmöglichen Preis an der Börse erzielen zu müssen. Ganz nach Kurt Bock und im Sinne der Industrie würde der Ökostrom dann sein Refugium im Streichelzoo verlassen und ein Bad im Haifischbecken nehmen. Der Markt wird das schon regeln.

Sigmars Weg

In diesem Fall sollte man sich aber darauf besinnen, dass es sich beim „Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien“ um mehr handelt, als eine bloße Umlagemaschinerie. An dieser Stelle sei auf den verschiedenen Energiepolitiker Hermann Scheer verwiesen, einen der Wegbereiter des EEG. Er sah in der Energiewende die Einleitung eines Strukturwandels, der kein Win-Win-Konzept darstellen kann.

Vor fast genau vier Jahren sagte er im Bundestag, dass ein Ausgleich geschaffen werden müsse gegenüber der „hochkonzentrierten, hochprivilegierten Situation herkömmlicher Energieversorgung“, wolle man die erneuerbaren Energien etablieren. Zur Herstellung von Marktgleichheit bedürfe es „einer gesonderten Privilegierung erneuerbarer Energien und das drückt das Gesetz aus“, so Scheer damals. Gabriel hingegen beschreitet offensichtlich einen anderen Weg. Dass dieser Weg einer wahrhaftigen und schnellen Energiewende zuträglich ist, darf bezweifelt werden.

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