Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko sind Brüder im Geiste – aber nicht auf dem Schlachtfeld?
Foto: Gavril Grigorov/Sputnik/AFP via Getty Images
Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine hat der autoritäre belarusische Präsident Alexander Lukaschenko bisher eine vorsichtige Gratwanderung verfolgt. Am 24. Februar drangen russische Truppen, die sich auf belarussischem Gebiet gesammelt hatten, über die Grenze in die Ukraine ein, und nutzten sein Land als Aufmarschgebiet für die größte Invasion in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der belarussische Präsident trat aber nicht direkt in den Krieg ein und schickte auch keine eigenen Truppen in den Kampf. Gelegentlich drückte er das Gefühl aus, die Invasion „ziehe sich hin“.
Treffen zwischen Lukaschenko und Wladimir Putin schüren aber erneut die Befürchtung, dass Belarus in den Krieg eintreten könnte. Lukaschenko kün
aschenko kündigte an, dass ein gemeinsamer Militärverband geplant sei und in den kommenden Tagen tausende russischer Truppen für Übungen in seinem Land erwartet werden.Dabei erklärte der belarusische Verteidigungsminister Viktor Khrenin am Dienstag: „Wir betonen erneut, dass die Aufgabe der regionalen Einsatztruppe rein auf Verteidigung ausgerichtet ist. Alle diese Aktivitäten zielen darauf ab, ausreichend auf Aktionen in der Nähe unserer Grenze reagieren zu können.“Für Alexander Lukaschenko wäre es politischer SelbstmordDagegen schlug während eines G7-Treffens am Dienstag der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Alarm. Er regte an, UN-Friedenstruppen an die Grenze zwischen der Ukraine und Belarus zu entsenden, um einer „Provokation“ durch Lukaschenko vorzubeugen.Trotz der Warnsignale wird stark bezweifelt, dass Lukaschenko bereit ist, seine eigene Armee in einen Krieg zu schicken, den Russland in der Ukraine verliert, auch wenn ihn Putin unter Druck setzt.„Natürlich hat Putin einen großen Einfluss. Aber er kann Lukaschenko nicht dazu zwingen, politischen Selbstmord zu begehen“, erklärte der belarusische Politik-Experte Artyom Shraibman, der für die Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace in Washington, D.C., arbeitet. „Aus diesem Grund wird sich Lukaschenko auf jeden Fall dagegen wehren, voll in den Krieg hineingezogen zu werden“, ist er überzeugt. „Andererseits kann ich nicht garantieren, dass er das endlos schaffen wird.“ Russland habe „Möglichkeiten, Belarus durch bestimmte Handlungen zum Kämpfen zu provozieren.“Auch wenn er seine eigene Armee nicht in den Kampf schickt, könnte Lukaschenko die Stationierung russischer Truppen an der belarusischen Grenze erlauben, um die Ukraine durch eine vergrößerte Verteidigungslinie unter Druck zu setzen. Oder er könnte anbieten, dass in Belarus ein Teil der zehntausenden Russen ausgebildet werden könnten, die zum Militärdienst einberufen wurden.Die belarussische Armee ist schwach aufgestelltNach Angaben der Aktivisten der Monitoring-Gruppe „Belarusian Hajun Project“ könnten die gemeinsamen militärischen Übungen in der Nähe einiger Behördengebäude in der Stadt Jelsk abgehalten werden, nur 17 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dort seien in einer Musikschule in der Nähe einer Polizeistation und einem Behördengebäude die Unterrichtsstunden abgesagt worden. Den Bewohnern des Ortes wurde zudem untersagt, einen für den (vergangenen) Mittwoch erwarteten Konvoi von Panzerfahrzeugen zu filmen, berichtete die Organisation.Laut dem unabhängigen Verteidigungsexperten und Direktor von Rocha Consulting, Konrad Musyka, überwachen nur wenige Gruppen die Einsatzfähigkeit des belarusischen Militärs, weil die Armee „relativ schwach aufgestellt ist. Von Lukaschenkos Rhetorik abgesehen, ist da nichts“. Die Armee müsse 20.000 Soldat:innen einberufen, um ihre volle Stärke zu erreichen. In jedem Fall bliebe genügend Zeit für eine strategische Warnung, falls Weißrussland seine Truppen mobilisieren und in Richtung Grenze verlegen würde.Andererseits habe Belarus seit Ende des Kalten Kriegs noch nie so viele Militärübungen absolviert. „Minsk testete alle Einsatzmöglichkeiten, so als würde man sich auf einen Kriegseinsatz vorbereiten“, schrieb er. „Es gibt drei mögliche Erklärungen für dieses Verhalten: Erstens könnte es der Vorbereitung auf einen Nato-Angriff dienen; zweitens könnte es bezwecken, ukrainische Streitkräfte in der Nähe der Grenze zu binden, um ihren Einsatz in anderen Gebieten zu verhindern; drittens: Vorbereitung auf einen Angriff auf die Ukraine“, zählte er auf. Derzeit konzentriere er sich dabei auf die Optionen zwei und drei.Videos legen nahe, dass Russland eher keine schweren Waffen nach Belarus verlagert, um von dort die Ukraine anzugreifen, sondern im Gegenteil: Belarus schickt Panzer, Munition und Lastwagen aus seinen Beständen nach Russland. Das „Belarusian Hajun Project“ veröffentlichte ein Video von acht T-72A-Panzern, die von Minsk nach Russland transportiert wurden. Laut Zeug:innen wurden 15 bis 30 Panzer und mindestens 28 Ural-Militär-LKWs gesehen.Die Truppen sind beunruhigtDer leitende Berater der belarusischen Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya, Franak Viačorka, äußerte sich überzeugt, dass die belarusischen Truppen sich nicht aktiv an dem Krieg in der Ukraine beteiligen werden. „Ich bezweifle das sehr. Wir haben keine Hinweise darauf. Tatsächlich versuchen die Militärführer die Truppen zu beruhigen, indem sie sagen, dass sie nicht in dem Krieg eingesetzt werden. Denn die Truppen sind angesichts der Erfolge der Ukrainer sehr beunruhigt. Niemand will für Putin kämpfen.“Zudem habe die belarussische Armee nicht die Kapazitäten, um in der Ukraine zu kämpfen: „Wir haben weder die Truppen noch die militärische Ausrüstung. Ein großer Teil der Ausrüstung wurde bereits an die Russische Föderation abgegeben. Alles, was eingesetzt werden kann, ist bereits im Einsatz. Es gibt nur wenige kampfbereite Truppen, an die 7.000 Mann, und auf einen Angriffseinsatz sind sie nicht vorbereitet.“Doch noch wichtiger sind vielleicht politische Fragen. Lukaschenko hat 2020 eine Protestbewegung politisch überlebt. Er wird daher sein Amt nicht für einen Krieg riskieren wollen, der laut inoffizieller Umfragen in Belarus extrem unpopulär ist. „Er will nicht in den Krieg gezogen werden, weil das für ihn viele Risiken bringen würde“, ist Shraibman überzeugt und verweist auf Umfrageergebnisse, nach denen weniger als zehn Prozent der Belarus:innen eine direkte Beteiligung an dem Krieg in der Ukraine befürworten.Angesichts des derzeitigen russischen Rückzugs könnte ein Eintritt in den Krieg Lukaschenkos Schicksal mit einer Invasion verknüpfen, die wahrscheinlich mit einer Niederlage endet. Das könnte laut Shraibman für den belarusischen Präsidenten fatal enden: „In der Regel haben autoritäre Staatschefs Probleme, militärische Niederlagen zu überleben.“
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