Am 20. März 2003, als die Bomben und Raketen der von den USA angeführten Koalition im eröffnenden „Shock-and-Awe“-Feldzug gegen Saddam Hussein auf irakische Städte regneten, haben sich die tektonischen Platten der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg für immer verschoben.
Für diejenigen unter uns, die über die Vorbereitung dieses Krieges berichtet haben, über die Invasion und die langen Nachwirkungen der Besatzung, die gewaltsame sektiererische Zersplitterung des Landes, lagen die langanhaltenden Folgen dieses denkwürdigen Tages im Schatten des Schocks, den dieser Krieg bedeutete.
Als US-Präsident George W. Bush am 1. Mai seine „Mission accomplished“-Rede hielt, war bereits ein Hauch von Hybris zu spü
war bereits ein Hauch von Hybris zu spüren in Bezug auf ein Land, das von Plünderungen heimgesucht wurde und in dem sich destabilisierende Machtkämpfe abzeichneten. Was wir damals nicht ahnen konnten, war das Ausmaß der bevorstehenden Abrechnung: Wenn ich zurückblicke, dann erinnere ich mich an den Jubel unter den Befürwortern der Invasion, weil sie so einfach über die Bühne gegangen war. Die Pessimisten hatten sich getäuscht. Saddam und sein brutales Regime waren in einer kurzen, als vorbildlich belobigten Militäroperation beseitigt worden. Die Waffen der USA schienen überlegen zu sein. Das war eine Schimäre.Der Irak- ist etwas anderes als der Ukraine-KriegVor zwei Wochen bin ich von der Frontlinie eines anderen großangelegten und brutalen Konflikts zurückgekehrt: Russlands Krieg gegen die Ukraine. Ohne die Rolle des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei den Verbrechen, die dort begangen werden, schmälern zu wollen: Die russische Aggression gegen die Ukraine wäre ohne den Irak-Krieg nicht möglich gewesen. Ich behaupte nicht, dass die Ukraine eine direkte Folge des Irak-Krieges ist. Die moralischen Äquivalenzen sind weitaus komplexer, als die Putin-Apologeten mit ihren Verweisen auf den Irak behaupten.Patricia Lewis, Leiterin des internationalen Sicherheitsprogramms der Denkfabrik Chatham House sagte mir jüngst im Vorfeld einer Veranstaltung, die die zwei Jahrzehnte vom Irak bis zur Ukraine nachzeichnete: „Es war keine gerade Linie. Es gibt andere Wege, die man hätte einschlagen können. Aber es war ein massives Eigentor. Wenn Putin über Massenvernichtungswaffen in der Ukraine spricht, dann soll das die Menschen an den Irak erinnern.“ Denn die Invasion des Irak schuf zweifellos einen Raum, in dem ein schlechter Akteur wie Putin eines der wichtigsten Elemente des modernen internationalen Konfliktrechts in Frage stellen konnte: dass Staaten kein Territorium durch Eroberung erwerben dürfen.Das Erbe Bushs und BlairsWie auch immer man die Motive von Bush und des damaligen britischen Premierministers Tony Blair, die die Invasion anführten, beurteilen mag – dass sie die auf Regeln basierende internationale Ordnung zerrissen, um eine Intervention auf der Grundlage von Fehlinformationen zu starten, schuf einen Präzedenzfall, den Moskau und andere ausnutzen würden. Die langen, blutigen Jahre der Besatzung – die Selbstmordattentate, die aufständischen Gruppen und die Todesschwadronen – hatten ihre eigenen Folgen. Die Schwachstellen der von den USA angeführten westlichen Militärmacht, die im Irak, aber auch in Afghanistan zutage traten, untergruben Washingtons Anspruch, nach dem Kalten Krieg die einzige Supermacht in einer unipolaren Welt zu sein. Der längerfristige „Irak-Effekt“ war noch verhängnisvoller. Er bedeutete eine zunehmende Schwächung auf der internationalen Bühne, die das Ergebnis sowohl einer angeschlagenen moralischen Autorität als auch einer schleichenden Kriegsmüdigkeit war.Als sich der Westen erneut zu einer Intervention in Libyen verleiten ließ, unternahm er diese ohne Bodentruppen. Später, als er in Syrien wegen des Einsatzes von Chemiewaffen im Jahr 2013 mit seiner eigenen roten Linie konfrontiert wurde und russische Kriegsschiffe auf See waren, zeigte US-Präsident Barack Obama keine Reaktion. Es gab auch keine sinnvolle Reaktion.Die Oxford-Professorin Louise Fawcett hat kürzlich festgestellt, die Irak-Invasion sein ein „kritischer Wendepunkt“ – ein historischer Moment, der die bestehende Ordnung verändert –, in gleicher Weise, wie Eric Hobsbawms „Kurzes zwanzigstes Jahrhundert“ vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs und von der Auflösung der Sowjetunion eingegrenzt wurde. Die Neokonservativen um Bush verkauften die Invasion als einen Weg, den Nahen Osten stabiler und demokratischer zu machen. Das faktische Ergebnis war vielfach das Gegenteil.Die Folgen für den Iran und Saudi-ArabienEs gibt ein glaubwürdiges Argument dafür, dass man in Teheran den Sturz Saddams eher als Anstoß denn als Entmutigung für das eigene Atomprogramm sah. Er war auch der Funken, an dem sich der Aufstand des Islamischen Staates entzündete und die seit Langem schwelenden Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien verschärfte.Nicht alles kann Bush und Blair angelastet werden, etwa dass in die Zeit nach der Invasion der Aufstieg Chinas und die Wiedergeburt russischer imperialer Ambitionen unter Putin fielen, ebenso die Bemühungen des Iran, seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Doch auf unterschiedliche Weise nahmen diese Akteure die Invasion zum Anlass, sich gegen den Westen zu wehren, indem sie die westliche Heuchelei als Deckmantel für ihre eigenen Ambitionen nutzten und das Völkerrecht in Frage stellten.Vielleicht war die größte Auswirkung diejenige, die zunächst am wenigsten sichtbar war. Das Wiederaufleben des rechtsgerichteten US-Isolationismus unter Donald Trump (der im Wahlkampf 2016 den Irak-Krieg als „großen, fetten Fehler“ bezeichnete) würde von den Gegnern des Westens beobachtet, analysiert und ausgenutzt werden.Manipulierte GeheimdienstinformationenEs ist unmöglich, diese Zusammenhänge und die einhergehende Verantwortung zu quantifizieren – doch eine ganze Reihe von Sicherheitskrisen im vergangenen Jahrzehnt verleiht eine Ahnung. Vom Einsatz chemischer Waffen in Syrien (wo Russland und der Iran auf der Seite des mörderischen Assad-Regimes intervenierten) über den Jemen, Taiwan und das Südchinesische Meer bis hin zu Russlands Annexion der Krim im Jahr 2014 und Nordkoreas Atom- und ballistischem Waffenprogramm hat sich ein neues Gefühl der Straflosigkeit zu immer offensichtlicheren militärischen Allianzen zwischen mehreren dieser Staaten entwickelt.Es lohnt sich daher wohl, auf die Lügen zurückzukommen, die zum Irak-Krieg geführt haben. Die Manipulation von Geheimdienstinformationen und die Desinformation fand in einer Zeit vor den sozialen Medien und vor der Normalisierung der politischen Lügen unter Trump und Boris Johnson statt. Die Fälschung der Gründe für den Irak-Krieg kann jedoch als Ausgangspunkt für eine neue Periode weitverbreiteter, mitunter staatlich initiierter Fehlinformationen angesehen werden, mit China und Russland als den beiden wichtigsten Akteuren.Die Kosten der völkerrechtswidrigen, auf Lügen basierenden Invasion beschäftigen uns heute, zwei Jahrzehnte später, immer noch.