Nehmen wir zum Beispiel das Elektroauto. Die immer stromlinienförmigeren und fast geräuschlosen E-Autos sind ein gutes Beispiel dafür, wie die Welt bei der Bekämpfung der Klimakrise vorankommt. Der CO2-Fußabdruck eines Elektroautos beträgt nur ein Drittel desjenigen eines Verbrenners, und es stößt keine Treibhausgase aus. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die Batterie eines Elektroautos verbraucht mindestens 8 Kilogramm Lithium, welches wahrscheinlich in den Salzwüsten Südamerikas gewonnen wird. Das dafür genutzte Verfahren drängt dort das Weideland zurück und trägt zur Verwüstung bei. Die 14 Kilo Kobalt, die verhindern, dass die Autobatterie sich überhitzt, stammen wahrscheinlich aus der Demokratische
Kate Raworth: Die ideale Wirtschaft der Zukunft ähnelt einem Donut
Porträt Die Ökonomin Kate Raworth beschreibt in ihrem Buch „Die Donut-Ökonomie“ ein Modell für die Wirtschaft, das zugleich grün, sozial und gerecht ist

Wohlstand ohne Wachstum, wie soll das gehen? Kate Raworth sagt, sie habe die Antwort auf diese Frage gefunden
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chen Republik Kongo, wo Kobaltminen das Grundwasser und die Böden verseuchen. Steigt die Nachfrage nach Elektroautos, wird sich der Abbau der dafür benötigten Rohstoffe intensivieren und die daraus folgenden Umweltschäden zunehmen. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass sich die Nachfrage nach Lithium bis 2040 mehr als vervierzigfachen wird.Elektroautos verbessern den Status quo, ohne den rücksichtslosen Ressourcenverbrauch zu verändern. So stellen sich offenbar die uns Regierenden die Dekarbonisierung vor. Die Idee des „grünen Wachstums“, der auch die Weltbank und die amerikanische Regierung anhängen, besteht darin, dass wir grenzenloses Wachstum genießen und zugleich unseren CO2-Ausstoß verringern können. Innovationen wie E-Autos tragen demgemäß dazu bei, Wachstum von den CO2-Emissionen zu „entkoppeln“ und den Menschen ein Leben im Überfluss innerhalb der planetarischen Grenzen zu ermöglichen.Es gibt keine Blaupause für eine Dekarbonisierung ohne VerzichtSoweit die Theorie. Es gibt jedoch kaum Anzeichen dafür, dass das in der erforderlichen Zeitspanne passieren wird. Die globalen CO2-Emissionen waren noch nie so hoch wie heute. Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass wir irreversible Umweltschäden nur dann vermeiden können, wenn wir die Erwärmung auf unter 1,5 °C begrenzen. Dafür müssten die Emissionen der reichen Länder um den Faktor 10 sinken. E-Autos sind dafür wichtig, aber wenn die Emissionen wirklich sinken sollen, muss auch die Zahl der Autos zurückgehen. Das Problem ist, dass es keine Blaupausen für eine Wirtschaft gibt, die eine radikale Dekarbonisierung erreicht, ohne unsere Lebensqualität einzuschränken.Die Ökonomin Kate Raworth glaubt, dass sie eine Lösung für dieses Problem gefunden hat. Ihrer Meinung nach ist es möglich, unsere Wirtschaft so umzubauen, dass beide, Mensch und Umwelt, gedeihen können. Dafür müssen allerdings viele der Vorstellungen, die man sich im 20. Jahrhundert über Ökonomie gemacht hat, verworfen werden. Davon handelt ihr einziges Buch, Die Donut Ökonomie, das 2017 zu einem Überraschungserfolg wurde. „Den Bürgern des Jahres 2050 wird eine ökonomische Denkweise beigebracht, die auf Lehrbücher von 1950 aufbaut, die ihrerseits in den Theorien von 1850 wurzeln“, schreibt Raworth. In ihrem Buch krempelt sie die überkommene Wirtschaftstheorie um und greift deren Idee an, etwa jene, dass Wachstum Ungleichheit verringert oder dass es so etwas wie einen „homo oeconomicus“ gibt, der allein seinen eigenen Nutzen verfolgt. Und sie zeigt, wie unser Denken durch ökonomische Konzepte geprägt wird, die für die großen Herausforderungen dieses Jahrhunderts grundsätzlich ungeeignet sind.Für Raworth lässt sich die ideale Wirtschaft der Zukunft in einem einzigen Bild zusammenfassen: einem Donut, einem Gebäck in Ringform. Die äußere Kruste stellt eine ökologische Grenze dar, während der innere Ring ein soziales Fundament bildet. Ein Überschreiten der ökologischen Grenze schädigt die Umwelt. Die Unterschreitung des sozialen Fundaments bedeutet, dass einigen Menschen die Dinge verwehrt bleiben, die sie zum Leben brauchen, also Nahrung, eine Wohnung oder ein Einkommen. Raworth argumentiert, dass unsere Volkswirtschaft so gestaltet werden muss, dass sie innerhalb des Donutrings funktioniert. So würden Mensch und Umwelt gedeihen können. Der Donut fußt auf drei zentralen Ideen: Die Wirtschaft sollte Wohlstand gerecht verteilen, sie sollte die genutzten Ressourcen regenerieren und sie sollte den Menschen Wohlstand ermöglichen. Alles drei sollte von Wachstum unabhängig werden.Kein politisches Programm: eine Einladung, die gedanklichen Zwänge des Kapitalismus zu verlassenBei anderen Autoren könnte so etwas technisch und abgehoben klingen, aber Raworth nähert sich dem Thema auf fast spielerische Art. Sie schlägt eine „neue Wirtschaftsgeschichte“, in dem „alte Ideen, die uns gefangen halten, durch neue ersetzt werden“. Ihre Vorschläge enthalten „keine unmittelbaren Antworten auf die Frage, was als Nächstes zu tun ist“, ihr Buch ist weniger ein politisches Programm als eine Provokation, die gedanklichen Zwänge des Kapitalismus zu verlassen.„Die meisten Dinge beginnen hier. Im Kopf, in unserer Art, zu denken“, sagt Raworth bei einer Konferenz in Amsterdam. Ihre Kritiker halten ihr vor, dass ihre Forderung eines Umdenkens schön und gut sein mögen, aber nicht ausreichen. Denn der Status Quo liege nicht an fehlenden Narrativen, sondern darin, dass sich die Politiker dem Willen der Eliten beugen, die wenig Interesse daran haben, den Status quo zu ändern. Es brauche also nicht nur neue Ideen, sondern vielmehr einen politischen Kampf, um die Ideen durchzusetzen.Raworth begegnete dieser Kritik, indem sie 2019 das Doughnut Economics Action Lab gründete, ein soziales Unternehmen, das mit Kommunalverwaltungen und Gemeinden in 70 Städten zusammen arbeitet, von Nanaimo an der Westküste Kanadas bis Ipoh in Malaysia, um die Grundsätze der Donut-Ökonomie in die Praxis umzusetzen. Jetzt steht sie vor der Schwierigkeit, aus einer kleinen Reihe von Experimenten, die von gleichgesinnten Menschen ins Leben gerufen wurden, etwas Größeres und Tiefgreifenderes zu machen.Als Raworth 1990 an die Universität Oxford kam, um Politik, Philosophie und Wirtschaft zu studieren, wurde die Umwelt in ihrem Studiengang nur in einem Wahlfach namens Public Economics erwähnt. Während die Wirtschaftswissenschaftler des frühen 20. Jahrhunderts dazu neigten, ihr Fach als Sozialwissenschaft zu betrachten, sahen sich viele ihrer Nachfolger eher als Physiker, deren Aufgabe es war, die Gesetze aufzudecken, die angeblich die Wirtschaft bestimmen.Die Ökonomie setzte Wachstum als unabdingbar voraus. Aber für die Folgen war sie blindIn ihrem zweiten Studienjahr schrieb Raworth eine Arbeit über die Idee der Entwicklung. „Dabei fiel mir auf, dass wir zum ersten Mal in meinem Wirtschaftsstudium darüber diskutierten, wie Erfolg aussieht“, erinnert sie sich. „Bis zu diesem Zeitpunkt war es eine Selbstverständlichkeit, dass Erfolg mit Wachstum zu tun hat. Anfang der 1990er Jahre lebten die meisten Menschen, die keinen Zugang zu lebensnotwendigen Gütern hatten, in Entwicklungsländern, und die meisten Wirtschaftswissenschaftler waren sich einig, dass Wachstum der beste Hebel war, um ihr Leben zu verbessern. Nur wenige dachten an die natürlichen Ressourcen, die dabei verbraucht würden, oder daran, dass die Erde kein endloses Wachstum verkraften kann.“1995, nach ihrem Abschluss in Oxford, zog Raworth nach Sansibar, einer Insel vor der Küste Tansanias. Zu dieser Zeit wurde Sansibar immer mehr von Touristen geprägt, die in die neuen Hotels an den Stränden der Insel kamen. Die Besucher kamen, weil sie Sansibar als tropische Landschaft mit Kokospalmen, Meeresfrüchten und Mangobäumen wollten, aber das Ökosystem der Insel war empfindlich. Je länger sie sich auf der Insel aufhielt, desto mehr störte sich Raworth an dem Müll, der durch den boomenden Tourismus entstand. Einweg-Plastiktüten nahmen überhand, ihre leuchtend blauen Überreste verhedderten sich an den Stränden. Raworth erinnert sich: „Ich war frustriert darüber, dass wir das Wachstum als etwas Positives ansahen, aber nichts über die ökologischen Schäden sagten, die auf dem Weg dorthin entstanden.“Nach drei Jahren in Sansibar zog Raworth nach New York, um als Forscherin für den jährlichen UN-Bericht über menschliche Entwicklung zu arbeiten, ein Projekt, das die Nationen der Welt nicht nach ihrem BIP, sondern nach der Lebensqualität einstuft. Raworth las das Buch „How Much Is Enough?“ von Alan Durning, einem amerikanischen Umweltschützer. Er warf eine dringende Frage auf: „Ist es möglich, dass alle Menschen auf der Welt komfortabel leben können, ohne dass der Planet Schaden nimmt?“ Die einzige Möglichkeit, das zu erreichen, so Durning, bestehe darin, weniger Dinge zu kaufen – weniger Kühlschränke, Wäschetrockner, Fernseher. Aber nur wenige wären bereit, die damit einhergehende Absenkung des Lebensstandards zu akzeptieren. „Ich erinnere mich, wie ich die Daten gelesen habe – unseren Plastikverbrauch, unseren Materialverbrauch – und dachte: Das ist es, was ich übersehen habe“, sagt Raworth.Die planetaren Grenzen: „Das ist der Beginn der Ökonomie des 21. Jahrhunderts“In Gesprächen neigt Raworth dazu, großzügig auf die Arbeiten anderer Ökonomen und Denker zu verweisen. Als ich sie im Herbst in ihrem Haus in Oxford besuche, erzählt sie mir am Küchentisch begeistert von den Wissenschaftlern, die als erste quantifiziert hatten, wie die Wirtschaftstätigkeit die Tragfähigkeit der Erde übersteigt. Frühere Versuche, das zu messen, scheiterten an mangelnden Daten. Im Jahr 2009 aber erstellte eine Gruppe von Forschern in Stockholm ein kreisförmiges Diagramm, das neun lebenserhaltende Systeme des Planeten aufzeigte, von der biologischen Vielfalt bis zu den Süßwasserreserven. Jedes dieser Systeme hat seine Grenzen, deren Überschreitung zu irreversiblen Schäden führt.Raworth stieß 2009 auf das Diagramm, das in der PowerPoint-Präsentation eines Kollegen versteckt war, als sie als Forscherin bei Oxfam arbeitete. Sie lebte damals mit ihrem Mann Roman Krznaric, einem australischen Philosophen, den sie in New York kennengelernt hatte, in Großbritannien und war gerade aus dem Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt. „Ich erinnere mich, dass ich an meinem Schreibtisch saß und dachte: 'Peng, das ist der Beginn der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts'”, sagt sie.Ich reise mit Raworth in die südöstlichen Außenbezirke von Amsterdam. Sie ist als Ehrengast zum zweiten jährlichen „Donut-Festival“ eingeladen, das von einem Netzwerk in der Stadt organisiert wird, und ich schließe mich an, um besser zu verstehen, wie ihre Ideen in der Praxis funktionieren könnten. Von der Hochbahn aus gesehen weichen die holländischen Giebelterrassen grauen Wohnsiedlungen, die Skyline sieht bald aus wie in jeder anderen europäischen Metropole.Raworths Ideen haben in den Niederlanden ein großes Publikum gefunden. Im April 2020 kündigte die damalige Amsterdamer Stadträtin für Nachhaltigkeit, Marieke van Doorninck, an, dass die Stadt ihre Nachhaltigkeitspolitik auf Raworths Donut stützen werde. Die Erklärung markierte eine radikale Abkehr vom Status quo. Die BBC berichtete, dass die Niederländer „ihre postpandemische Utopie“ umsetzten; das Time Magazine fragte, ob Amsterdam im Begriff sei, den Kapitalismus abzuschaffen. Doch die Veränderungen, die in Amsterdam stattgefunden haben, sind geringer, als die anfängliche Berichterstattung vermuten ließ. Mehr Unternehmen in der Stadt beteiligen sich am Recycling von Rohstoffen, mehr Gebäude sollen aus Holz gebaut werden. Es scheint eine Spannung zwischen der großen Vision von Raworths Buch und den bescheidenen Veränderungen, die es zitierten, zu geben.In Amsterdam versucht man, Raworths Ideen umzusetzenDie Mitglieder der Amsterdamer Grünen Partei De Groenen, mit denen ich spreche, und die Mitglieder der „Doughnut Coalition“, eines Netzwerks, das Raworths Ideen in die Praxis umzusetzen versucht, teilen die Überzeugung, dass eine echte Dekarbonisierung der Wirtschaft nicht nur eine Verringerung der Emissionen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Ungleichheit in Bezug auf Wohlstand und Macht bedeutet. Als ich Van Doorninck frage, wie sich der Donut von anderen Nachhaltigkeitsstrategien unterscheidet, bemüht sie ein Bild: „Ich finde es toll, dass es bei mir um die Ecke einen Laden gibt, der Turnschuhe verkauft, die aus alten Plastikflaschen gemacht sind“, erklärt sie mir. „Aber meine erste Frage sollte doch sein: Brauche ich neue Turnschuhe?“Van Doorninck befürchtet, dass die vorherrschende Form von Nachhaltigkeit in einer Änderung des Konsums besteht, anstatt dass wir uns mit dem Wirtschaftsystem auseinanderzusetzen, das die ökologische und soziale Katastrophe überhaupt erst herbeigeführt haben. Tatsächlich ist es nicht schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, in der die Reichen weiterhin recycelte Turnschuhe kaufen, ihre Kohlenstoffemissionen kompensieren und in Häusern mit Luftreinigung leben, während die Armen unter den Folgen von Nahrungsmittelknappheit und Waldbränden leiden. Die Aussicht auf eine solche Zukunft – dekarbonisiert, aber ungerecht – ist der Grund, warum Raworth darauf insistiert, dass wir soziale und ökologische Probleme nebeneinander betrachten müssen. Raworths Reiseplan in Amsterdam ist ein Hinweis darauf, wie weit ihre Ideen sich hier verbreitet haben. Wir fahren nach Gaasperdam, einem ärmeren Vorort, zur Eröffnungsveranstaltung des Dounut-Festivals. Später besucht Raworth einen städtischen Bauernhof; am Tag darauf hat sie einen Termin in einem Einkaufszentrum, um eine Recyclinganlage zu besichtigen.Wir fahren mit der U-Bahn. Raworth ist mit der Bahn nach Amsterdam genommen, sie fliegt nicht, auch wenn sie 2021 eine Ausnahme für eine Familienreise nach Australien machte, um den Vater ihres Mannes zu besuchen. Wenn sie zu Vorträgen an Orten eingeladen wird, die nicht mit dem Zug erreichbar sind, spricht sie über Zoom. „Der Nachteil, wenn man nicht fliegt und nur den Zug nimmt, ist natürlich, dass man dann eine sehr eurozentrische Perspektive hat“, räumt sie ein.Auf dem Tisch ein Kuchen in Donut-FormAls wir in Gaasperdam ankommen, werden wir von Anne Stijkel empfangen, einer Gemeindeorganisatorin und ehemaligen Wissenschaftlerin, die in der Gegend lebt und arbeitet. Stijkel entwickelte 2019 einen Plan, um Raworths Ideen in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Im Rahmen des ersten Donut-Deals wurde eine Gruppe von Frauen darin geschult, Vorhänge zu nähen, die zur Isolierung von Häusern in einer Wohnsiedlung beitragen. So konnte die Stiftung zweierlei erreichen: es entstand bezahlte Arbeit und die Heizungsrechnungen sanken, weil der Gasverbrauch zurückging. Heute unterzeichnet die Gemeinde eine Absichtserklärung, einen Generator zu bauen, der Klärschlamm – „Scheiße“, wie Stijkel erfreut sagt – in Biogas umwandelt. Im Foyer des Gemeindezentrums ist ein Tisch mit einem Kuchen in Form eines Donuts gedeckt, der in einem leuchtenden Grünton gebacken worden war. Stijkel führt uns in einen Saal, in dem ein Stück Seil in Form eines Donuts auf dem Boden ausgelegt war. In seiner Mitte befindet sich eine mit Biogas betriebene Flamme, die an den Seiten eines Glasrohrs leckte. Der Kreis, die Flamme und das Seil vermitteln einen feierlichen, fast heidnischen Eindruck. Eine Gruppe von Menschen versammelt sich in der Halle und Stijkel fordert sie auf, sich paarweise in den Kreis zu stellen, Rücken an Rücken, und abwechselnd Karten vorzulesen, die vor ihnen ausgelegt sind. Jede Karte enthält eine der Kategorien aus dem inneren und äußeren Ring des Donuts: „Gleichstellung der Geschlechter“, „Ernährung“, „Stickstoff-Phosphor-Belastung“. Der Zweck der Aufgabe wird mir nicht klar, aber alle im Raum scheinen angeregt und hoffnungsvoll. Eine Art kindliche Neugier und Wissbegierde erfüllt alles in Raworths Leben. Sie stellt jedem, dem sie in Amsterdam begegnet, Fragen und scheint der endlosen Zahl von Menschen, die ihr die Hand schütteln oder ihr von ihrer Doktorarbeit erzählen wollen, nie müde zu werden. Das war nicht immer so. Raworth wuchs im Westen Londons auf und besuchte St Paul's Girls, eine Privatschule. Ihre Schwester Sophie, die heute Nachrichtensprecherin bei der BBC ist, schrieb 2006 darüber: „Als Teenager haben wir uns nicht verstanden. Kate war schrecklich schüchtern, zugleich selbstbewusst und zog sich zurück, las, spielte Saxophon und machte Kunst, während ich auf Partys ging. Ich brauchte die Menschen mehr als sie. Sie braucht die Anerkennung von niemandem.“Was Post-Wachstum angeht, formuliert Raworth vorsichtigTim Jackson, ein Nachhaltigkeitsökonom an der Universität Surrey, sagt über Raworths Ideen: „Die Donut-Ökonomie ist ein Beweis für ihre Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, Menschen zu begeistern und darüber aufzuklären, wie Wirtschaft funktioiniert“. Aber, wie jedes hoffnungsvolle Experiment, die Dinge anders zu machen, werde der Donut unweigerlich auf Hindernisse stoßen, wenn er größer wird: Sei es eine privatisierte Bahn, die so teuer ist, dass sie die Menschen zwingt, mit dem Auto zu fahren, oder ein gigantischer Finanzsektor, der weiterhin in fossile Brennstoffe investiert.Anstatt von politischen Konflikten und einem antagonistischen „wir gegen sie“ zu reden, spricht Raworth von einem sehr umfassenden „wir“; anstatt von Parteien oder Wahlen zu reden, spricht sie von „Gestaltung“. Sie vermeidet Begriffe wie Sozialismus oder Kommunismus und scheint wenig Vertrauen in die derzeitige Riege gewählter Politiker in Großbritannien zu haben. Das wird von manchen kritisiert, die darin ein Zeichen von Naivität in Bezug darauf sehen, wie Macht funktioniert. In einer Rezension ihres Buches warf ihr der Ökonom Branko Milanović, der sich mit der Erforschung von Ungleichheit beschäftigt, Raworth vor, dieses „wir“ nehme an, dass alle Menschen auf der Welt die gleichen Ziele verfolgen. Das führe aber zu sie unrealistisch optimistischen Schlussfolgerungen. Milanović hält es für unwahrscheinlich, dass die Menschen in den reichen Ländern des globalen Nordens jemals für ein geringes oder gar kein Wachstum stimmen würden. „Außer durch Magie“, schreibt er, „wird das nicht passieren.“„Es geht um Taten, nicht um ökonomische Debatten“„Bei der Donut-Ökonomie geht es vor allem um Taten. Wir sitzen nicht da und führen akademische Debatten“, sagt Raworth, als ich sie auf diese Kritik anspreche. „Es ist an der Zeit, Vorschläge zu machen, und manchmal ist die beste Form des Protests, etwas Neues vorzuschlagen.“ Für ihre Anhänger ist die Tatsache, dass keine nationale Regierung den Donut als politisches Programm angenommen hat, keine Kritik von Raworths Ideen, sondern der politischen Klasse. Trotz zahlreicher Belege dafür, dass das Streben nach Wachstum die Klimakrise beschleunigt, zu wachsender Ungleichheit beiträgt und selbst vielen Menschen in den reichen Ländern keinen angemessenen Lebensstandard sichert, wird es von Politikern aller Couleur immer noch als Allheilmittel betrachtet.Ebenso wie sie politische Labels vermeidet, scheint Raworths eigene Position zum Thema Wachstum so formuliert, dass sie potenzielle Verbündete nicht verprellt. „Sie ist sehr vorsichtig“, sagt Duncan Green, ein ehemaliger Kollege von Raworth bei Oxfam. Raworth beschreibt sich selbst als „Agnostikerin“ in Sachen Wachstum: Sie ist der Meinung, dass die Wirtschaft den menschlichen Wohlstand fördern sollte, unabhängig davon, ob das BIP steigt, sinkt oder konstant bleibt. „Sie hätte auch einfach sagen können, dass sie kein Wachstum anstrebt“, sagt Nigel Wilcockson, ihr Lektor bei Penguin Books. „Am einen Ende des politischen Spektrums sagen die Leute: 'Eine Wirtschaft ohne Wachstum ist unmöglich', und am anderen Ende sagen die Leute: 'Das ist gut für die reichen Länder, aber was ist mit allen anderen?'"Nach der Veranstaltung in Gaasperdam kehrt Raworth ins Zentrum von Amsterdam zurück, um sich mit Beamten aus Grenoble zu treffen. Sie sind angereist, um zu erfahren, wie ihre Stadt, die 2022 eine EU-Auszeichnung für ihre Umweltfreundlichkeit erhalten hat, durch die Anwendung von Raworths Ideen noch grüner werden könnte. Antoine Back, der stellvertretende Bürgermeister der Stadt, wirkt nervös. Auf dem Tisch vor ihm liegt sein zerlesenes Exemplar von „La Théorie du Donut“, das er sich später von Raworth signieren lässt. Die Beamten sitzen um einen langen Tisch herum und diskutieren bei einer Tasse Pfefferminztee über die Donut-Ökonomie. Back, ein „Öko-Marxist“ mit elegantem Haarschnitt, erzählt Raworth, wie man ihn Grenoble Probleme wie Ernährungsarmut, Luftqualität und Autoverkehr kartiert hätte, um zu zeigen, dass die Stadt es nicht schafft, innerhalb des Donuts zu bleiben. „Wir sind in das Anthropozän eingetreten“, sagte Back in dramatischem Tonfall. „Das wird kein Spaziergang; es wird Brüche und Schocks geben.“„Öffentlicher Luxus, private Genügsamkeit“Raworth schlägt vor, neue, weniger düstere Worte und Bilder zu gebrauchen, um die Zukunft zu beschreiben. Da es nur wenige Modelle für eine Wirtschaft mit geringem Wachstum gibt, die nicht an einen Rückfall in vor-industrialisierte Zeiten erinnern, fällt es Kritikern leicht, jeden Versuch, unseren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, als Angriff auf den sozialen Fortschritt darzustellen. In Großbritannien wurde kürzlich ein Vorschlag zur Begrenzung des Autoverkehrs als Versuch bezeichnet, den „Feudalismus neu zu erfinden“ und die Menschheit in ein Zeitalter zurückzuzwingen, in dem die Menschen ihre Dörfer nie verließen. Die Leichtigkeit, mit der Wachstumsskeptiker als Häretiker und Hippies abgestempelt werden, ist einer der Gründe, warum Raworth so vorsichtig formuliert und sich auf optimistischere Visionen vom Leben in einer wachstumsarmen Wirtschaft konzentriert. „Es gibt einen Ausdruck, den ich mag: öffentlicher Luxus, private Genügsamkeit“, sagt sie zu Back und verweist auf Amsterdams großzügige Fahrradwege und das Straßenbahnsystem als Beispiele für den Luxus, der Teil der Lösung für die Klimakrise sein könnte.In den letzten Jahren mehrten sie die wachstumskritischen Stimmen unter Wirtschaftswissenschaftlern und Akademikern. Die Anhänger der „Degrowth“- oder Post-Wachstumstheorie argumentieren, dass es anders nicht geht: Die reichen Volkswirtschaften der Welt müssen schrumpfen und weniger Energie und Ressourcen verbrauchen. Um dies zu erreichen, muss der Konsum eingeschränkt werden, Wohlergehen sollte über Profite gestellt werden. In den reichen Ländern würde dies auf eine geplante Verringerung von Energie- und Ressourcenverbrauch hinauslaufen, um die Wirtschaft wieder in Einklang mit den planetarischen Grenzen zu bringen und gleichzeitig die Ungleichheit zu verringern.Diese Ideen sind Raworths Vorschlägen nicht unähnlich. „Ich habe mit der intellektuellen Position kein Problem“, schrieb Raworth im Jahr 2015. „Mit dem Namen schon.“ Sie sieht in Degrowth eine „Nebelkerze“, die mehr verwirrt als erklärt. Auf einem brennenden Planeten hätten wir nicht genug Zeit für solche endlosen Diskussionen.Einfache Lösungen? Eine Illusion, die man überwinden mussIn der Woche nach unserem Treffen in Amsterdam reist Raworth nach Birmingham, um in einem Gemeindezentrum einen Vortrag über die Umsetzung des Donut in die Praxis zu halten. Raworth hat eine wiederverwendbare Einkaufstasche voller Requisiten dabei: einen Schlauch, ein aufgerolltes Stück Rohrleitung und einen zackigen Plastikball. Sie hat vor, eine neue Präsentation mit blauen Plastikbällen und Mandarinen auszuprobieren. Die Mandarinen, symbolisieren die lebenden, biologischen Rohstoffe auf der Erde, die sich auf natürliche Weise regenerieren, wie Pflanzen und Obstbäume. Die blauen Bälle stehen für die Ressourcen, deren Herstellung Umweltkosten verursacht, wie Kunststoffe und Metalle, die repariert und recycelt werden müssen, damit sie wieder verwendet werden können. Die Idee ist, zu zeigen, wie die derzeitige „lineare“ Wirtschaft – die Ressourcen verbrennt und Kohlenstoff ausstößt – stattdessen zu einer „Kreislaufwirtschaft“ werden kann, in der Ressourcen wiederverwendet werden und die Natur sich regeneriert.Als wir am Veranstaltungsort ankommen, ist ein Konferenzraum mit handgemalten Bannern geschmückt, auf denen Zeilen aus Raworths Buch zitiert werden: „Die heutige Wirtschaft ist standardmäßig spaltend und degenerativ. Die Wirtschaft von morgen muss von vornherein verteilend und regenerierend sein.“ Der Zweck der Präsentation, ja, der Zweck jeder Veranstaltung, an der ich mit Raworth teilnehme, scheint weniger darin zu bestehen, die Teilnehmer auf eine bestimmte Reihe von Maßnahmen zu lenken, als vielmehr ihr Blickfeld zu weiten. Als ich einige Monate nach unserem Treffen in Amsterdam per Zoom mit Antoine Back spreche, sagt er mir, dass das Fehlen von Lösungen in Raworths Gedankengebäude eine seiner Stärken sei. „Ich verwende das Wort 'Lösung' nicht“, sagt er. „Es suggeriert, dass es ein Patentrezept gibt, dass die Technologie kommen und uns retten wird.“ Er aber befürchte, dass unsere Tendenz, nach einfachen Antworten zu suchen, wo es keine gibt, zu Trägheit führt und die Menschen glauben lässt, dass immer jemand anderes für die Lösung der Klimakrise verantwortlich ist.Im Zug auf dem Rückweg von Birmingham denke ich an ein Gespräch in Amsterdam mit Ruurd Priester, einem der Organisatoren der Doughnut Coalition in der Stadt. „Geschichten und Erzählungen sind die Grundlage für alles, was wir tun“, sagte er mir. Ich fragte ihn, ob die Popularität von Raworths Ideen daher rühre, dass sie den Glauben – oder die Hoffnung – an die Möglichkeit einer Alternative zum Bestehenden ansprechen. „Mir gefällt diese Formulierung gut“, sagte er. „Es geht nicht nur um Wirtschaft. Es geht auch darum, wie eine Art des ökonomischen Denkens begonnen hat, zu bestimmen, wie wir über uns selber denken und was wir überhaupt für möglich halten.“