Die Hegemonie des Todes

Florenz Eine Ausstellung versucht die italienische Kunst der Dreißiger aus ihrem faschistischen Kontext zu lösen – und scheitert

Als Adolf Hitler 1938 auf dem Bahnhof Santa Maria Novella in Florenz ankam, wurde er mit rot-weiß-schwarzen Hakenkreuzflaggen, den Symbolen der italienischen Faschisten, gefakten Statuen und choreografierten Zuschauermassen begrüßt. Mussolini führte ihn durch diese wunderschöne Stadt der italienischen Renaissance, damit er ihre Meisterwerke bewundern konnte. Hitler sah sich selbst als Künstler. Nun hielt er Zwiesprache mit Michelangelo, während die Menschenmenge jeden seiner Schritte mit Beifall begleitete.

Sechs Jahre später sprengten deutsche Truppen, als sie 1944 auf dem Rückzug durch Florenz kamen, bis auf die legendäre Ponte Vecchio alle historischen Brücken der Stadt und verminten das historische Zentrum. Die Einlassung mit Hitler war tödlich - und ist es noch immer. Susan Sontag hat einmal einen Essay mit dem Titel Fascinating Fascism geschrieben. Über die Faszination kann ich nichts sagen. Was aber die Todessehnsucht und Abtötung alles Menschlichen im Faschismus angeht, so wird dies gegenwärtig in einer großen Ausstellung in Florenz dokumentiert, die eigentlich den Reichtum der Kunst der dreißiger Jahre zeigen will, dabei aber unweigerlich in die giftige Jauchegrube der europäischen Geschichte abrutscht.

Anni Trenta („Die Dreißiger“) erkundet im Palazzo Strozzi die italienische Kultur unter Mussolinis Herrschaft. Viele Beobachter rund um den Globus sahen damals in ihm und Hitler die kommenden Männer eines neuen Europa. Die Demokratie war diskreditiert. Die Depression hatte grundsätzliche Mängel der freien Marktwirtschaft sowie das Unvermögen der gewählten Regierungen offenbart. Die korporatistischen faschistischen Staaten schienen vielen, die sich nicht an Stalins Russland orientierten, zukunftsweisend.

Der erschütterndste und beste Teil von Anni Trenta ist die Sonderausstellung über Hitlers Besuch in Florenz, weil sie die wahre Monstrosität der Zeit zu fassen vermag. In Schwierigkeiten gerät sie aber bei der Frage, ob es denn überhaupt möglich ist, die Kunst der faschistischen Ära apolitisch zu betrachten und zu genießen. Denn die mit dem Untertitel „Die italienische Kunst jenseits des Faschismus“ versehene Schau scheitert an dem Versuch, das faschistische Italien als einen Kessel der Kreativität voller ergiebiger Experimente darzustellen. In Wahrheit handelt es sich um eine deprimierende Reise durch die Kunst eines totalitären Staates. Das neue faschistische Europa war eine Sackgasse und brachte nur herzlose Mittelmäßigkeit hervor. Bilder von strengen Männern vor gewaltigen Lokomotiven und modischen Frauen mit eisig-bezauberndem Blick stellen diese These in keiner Weise in Frage. Sie scheinen im Gegenteil typisch für das, was Faschisten sich vermutlich in ihre Galerien hängen würden.

Die Kunst als Teil des Faschismus

Dekadente Futuristen, deren früherer Glanz schon lange verblasst ist, oder konservative Neo-Klassiker erhalten durch die Ausstellung keine größere Bedeutung als sie sie zuvor schon hatten. Sie offenbart stattdessen, wie der Faschismus sich der Kunst bediente, um die Gesellschaft auf subtile Weise umzugestalten. Er wusste um den Wert einer umtriebigen, gut finanzierten offiziellen Kunstwelt. Der italienische Faschismus funktionierte mittels dessen, was der kommunistische Denker Antonio Gramsci, der 1937 an den Folgen jahrelanger Haft in faschistischen Knästen starb, mit dem Begriff der Hegemonie belegt hat: indem er sich der Zivilgesellschaft bemächtigte und diese mit seinen Tentakeln durchdrang. Die Ausstellung zeigt die faschistische Institutionalisierung der Kunst. Es sind Bilder zu sehen, die den Bergamo-Preis der Faschisten erhielten und Entwürfe für offizielle Arbeiten. Die Kunst war ein Bestandteil der faschistischen Gesellschaft.

Das Ergebnis war eine sonderbare, leblose ästhetische Blase, in der Preise vergeben und Künstler für Arbeiten gefördert wurden, die bestenfalls nichtssagend waren und schlimmstenfalls wahnhaft verherrlichten. „Der Faschismus sagt: Lang lebe die Kunst, lasst die Welt zugrunde gehen“, formulierte der deutsche Kommunist Walter Benjamin damals.

Die italienische Kunst der Dreißiger ist eine Kunst der Toten. Als Hitler bei seinem Besuch 1938 nach San Miniato al Monte gebracht wurde, sagte er, nun könne er schließlich sein Lieblingsbild von Arnold Böcklin – Die Toteninsel - verstehen (das in der Tat einen Friedhof auf diesem Berg über Florenz darstellt).

Alles, auf das er in einer Stadt der Schönheit ansprach, war die Verlockung des Grabes.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Jonathan Jones | The Guardian

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