„Es ist eklig, aber möglich“: Pilotprojekt in Roubaix zeigt, wie man Müll vermeidet
Abfall Die französische Stadt Roubaix macht es vor: „Zéro Déchet“, Müllvermeidung, ist möglich. Viele Teilnehmer am Pilotprojekt verringerten ihren Hausmüll um die Hälfte oder sogar noch mehr. Und alle sparten dabei Geld
Als Alexandre Garcin die Idee zu „Roubaix Zéro Déchet“ (müllfreies Roubaix) hatte, ging es ihm nicht um Nachhaltigkeit, sondern um das Müllproblem, unter dem seine Stadt litt. Während seines Wahlkampfs, um Abgeordneter im Stadtparlament zu werden, hatte Garcin einen einfachen Einfall: Warum nicht weniger Müll produzieren, anstatt immer mehr Müll von den Straßen der Stadt aufsammeln zu müssen?
Nachdem er in den Gemeinderat eingezogen war, verschickte Garcin Flugblätter und suchte 100 Freiwillige, die an einem kostenlosen, einjährigen Pilotprogramm teilnehmen wollten, das ihnen beibringen sollte, wie man abfallfrei lebt – oder zumindest mit weniger Müll als üblich. Diese „familles zéro déchet
s üblich. Diese „familles zéro déchet“ sollten geschult werden und an Workshops zu Themen wie der Herstellung von eigenem Joghurt und der Reinigung mit selbst hergestellten Produkten teilnehmen, mit dem Ziel, ihre Müllproduktion bis zum Jahresende zu halbieren. Den Freiwilligen wurden keine direkten finanziellen Anreize für ihre Teilnahme geboten – nur die Aussicht, zur Lösung des Müllproblems und zum Schutz der Umwelt beizutragen.Mit Hilfe einer Gepäckwaage – laut Garcin ein „wirklich, wirklich wichtiger“ Teil des Programms – wogen sie einmal pro Woche ihren Müll und melden ihn der Stadt. Die Gepäckwaage zwang die Menschen dazu, die Auswirkungen und das buchstäbliche Gewicht ihrer Konsumentscheidungen zu erkennen, erklärte Garcin. „Man hat ein physisches Gefühl dafür, wie schwer sie wiegen.“Frankreich verbietet Supermärkten, Lebensmittel wegzuschmeißenDas Projekt ist in Frankreich nicht das einzige in diese Richtung, im Gegenteil. Frankreich hat einige der ehrgeizigsten Abfallvermeidungsgesetze eines Industrielandes eingeführt; es war das erste Land der Welt, das Supermärkten verbot, unverkaufte Lebensmittel wegzuwerfen, und eines der ersten, das die „erweiterte Herstellerverantwortung“ gesetzlich verankert hat, wodurch große Verursacher für den von ihnen verursachten Abfall finanziell verantwortlich gemacht werden, auch nachdem ihre Produkte verkauft werden.Im Jahr 2020 verabschiedete Frankreich ein bahnbrechendes Anti-Abfall-Gesetz, das es Bekleidungsunternehmen verbietet, unverkaufte Ware zu vernichten, alle öffentlichen Gebäude zur Installation von Wasserbrunnen verpflichtet und eine Kennzeichnung bestimmter elektronischer Produkte mit einem „Reparaturindex“ vorschreibt.Placeholder image-1Die Befürworter argumentieren, dass eine Verringerung des Abfalls die Artenvielfalt fördern und die Nahrungsmittelsysteme verbessern kann. Eine Schätzung geht davon aus, dass eine umfassende Müllvermeidungsstrategie, die eine bessere Mülltrennung, mehr Recycling und eine Verringerung der Quellen umfasst, die Treibhausgasemissionen des Abfallsektors weltweit um 84 Prozent reduzieren könnte.Das Roubaix-Programm verfolgte einen Ansatz, den Verhaltenswissenschaftler als „informationsbasiert“ bezeichnen und der durch unmissverständliche Anweisungen, Foren, Treffen, Schulungen und Feedback Verständnis und Bewusstsein schafft. Das Projekt konzentrierte sich auf die Zuweisung quantitativer Ziele für die Abfallverringerung an die Familien – eine Strategie, die sich in anderen Kontexten als wirksam erwiesen hat, und jeder bekam ziemlich klare Richtlinien – zum Beispiel „kaufe nicht mehr Lebensmittel, als du essen kannst“.Müll lässt sich kompostieren, recyceln oder ganz vermeidenAber das war ja auch der Sinn der Sache. Garcin sagt, es sei gar nicht so schwierig, die Abfallproduktion eines Haushalts zu halbieren. Die Kompostierung macht davon den größten Teil aus, denn organische Abfälle steuern etwa ein Drittel des Gewichts der Abfälle einer französischen Durchschnittsfamilie bei. Ein weiteres Drittel besteht aus Glas und Metall, wovon ein erheblicher Teil durch Recycling wiederverwendet werden kann, und 10 Prozent bestehen aus Kunststoff, von denen ein Großteil durch die Verwendung von wiederverwendbaren Alternativen zu Plastiktüten, Besteck, Verpackungen und anderen Einwegartikeln vermieden werden kann.Die Teilnehmer an dem Pilotprojekt schafften es, weniger Take Away-Essen zu bestellen und sie stellten auf selbstgemachtes Waschmittel um. Die erste Kohorte der Teilnehmer sparten laut Garcin durchschnittlich 1.000 Euro pro Jahr. Sieben von 10 Teilnehmern reduzierten ihr Abfallaufkommen um 50 Prozent, ein Viertel sogar um mehr als 80 Prozent.Natürlich waren einige Teilnehmer mit mehr Begeisterung bei der Sache als andere. Andrée Nieuwjaer, eine 67-jährige Rentnerin, verwandelte Biomüll in Essiggurken, Pudding und neue Gerichte. Ihr Kühlschrank ist jetzt voll mit Lebensmitteln, die sie umsonst bekommen hat. Bis September hatte sie ihren Restmüll so krass reduziert, dass die gesamte Menge von neun Monaten auf ihre Küchenwaage passte. Alles in allem spart Nieuwjaer nach eigenen Angaben durch ihre abfallfreien Gewohnheiten etwa 3.000 Euro pro Jahr.Auch Katzenstreu und Hundekacke: Rauf auf die Kompostieranlage!Amber Ogborn – eine Amerikanerin, die 2012 mit ihrer Familie nach Roubaix zog – unterhält jetzt drei separate Kompostieranlagen, darunter eine für Katzenstreu und Hundekot, die sie nicht mehr in den Müll werfen wollte. „Das ist irgendwie eklig“, sagt Ogborn. „Aber ich dachte: ,Weißt du was? Das ist eine kleine Sache, die wir tun können.‘“Die 800 Familien, die in Roubaix seit 2015 an dem „Müllfrei“-Programm teilgenommen haben, dürften den am leichtesten zu überzeugenden Teil der Stadtbevölkerung ausmachen – schätzungsweise 1,8 Prozent der 100.000 Einwohner. Roubaix hat neun Jahre gebraucht, um so viele Menschen zu erreichen, der Rest der Einwohner wird wahrscheinlich schwieriger zu bekehren sein. Dabei arbeitet die Stadt mit Werbung, Festivals und öffentlichen Versammlungen sowie durch Auftritte wie den von Bea Johnson, einer Social-Media-Influencerin in Sachen Müllvermeidung. (Als sie 2015 zu einem Vortrag nach Roubaix eingeladen wurde, war die Veranstaltung so beliebt, dass sie dreimal den Veranstaltungsort wechseln musste, um mehr Teilnehmer unterzubringen.) Roubaix wirbt auch in lokalen, regionalen und nationalen Medien für die Geschichten seiner erfolgreichsten „familles zéro déchet“ – eine Strategie, die so viel positive Presse hervorgerufen hat, dass der Pressesprecher der Stadt 2016 sagte, Müllvermeidung sei Roubaix‘ „Eiffelturm“ geworden.Die Stadtverwaltung hat in allen öffentlichen Schulen von Roubaix abfallfreie Aufklärungsmaßnahmen eingeführt und versucht, ein Netz von abfallfreien Händlern – darunter Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, Kopierläden und andere – aufzubauen, die sich an eine Reihe von Regeln zur Abfallreduzierung halten. Die Stadtverwaltung weitete außerdem ein freiwilliges kommunales Kompostierungsprogramm aus und verwandelte zwei Gebäude in abfallfreie Gründerzentren – im Wesentlichen Drehkreuze für kleine und wachsende Unternehmen, die sich auf die Abfallreduzierung konzentrieren. Eines der Gebäude, eine ehemalige Textilfabrik, beherbergt bereits ein Unternehmen, das Fahrräder vor der Mülldeponie rettet.Pauline Debrabandere, Programmmanagerin bei der gemeinnützigen Organisation Zero Waste France, sagt, Roubaix sei bemerkenswert, weil es mit so begrenzten Mitteln derart viel erreicht habe. „Roubaix macht Dinge auf einem Niveau, das wir nicht erwartet hätten“, sagte Debrabandere gegenüber Grist, einem Klimaportal. Dennoch wünscht sie sich, wie Garcin, dass Roubaix es schafft, noch viel mehr zu tun.
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