Nach Supergau in Fukushima: Japan leitet radioaktives Abwasser ins Meer

Atomenergie Japen will 30 bis 40 Jahre lang täglich 500.000 Liter radioaktives Wassers ins Meer leiten. Die Internationale Atomaufsichtsbehörde hat die Freisetzungspläne genehmigt. Für Greenpaece ist das ein Skandal
In diesen Tanks wird das radioaktive Wasser auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Fukushima Daiichi gelagert
In diesen Tanks wird das radioaktive Wasser auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Fukushima Daiichi gelagert

Foto: Kimimasa Mayama/Getty Images

Japan will ab Donnerstag mit der Einleitung von Abwasser aus dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi beginnen, trotz des Widerstands von Fischereigemeinden, China und einigen Wissenschaftlern.

Premierminister Fumio Kishida sagte am Dienstag, er habe den Betreiber des Kraftwerks, Tokyo Electric Power (Tepco), gebeten, sich gemäß den von den Atomaufsichtsbehörden genehmigten Plänen rasch auf die Einleitung des Wassers vorzubereiten. Er fügte hinzu, dass die Einleitung am Donnerstag beginnen werde, „wenn es die Wetter- und Meeresbedingungen erlauben“.

Kishida sagte, die Entsorgung von mehr als einer Million Tonnen Wasser, die am Standort gelagert werden, sei ein wesentlicher Bestandteil des langen und komplexen Prozesses zur Stilllegung des Kraftwerks.

Der Plan hat eine Kontroverse ausgelöst, weil das Wasser Tritium enthält, eine radioaktive Substanz, die von der Wasserfiltertechnik der Anlage nicht entfernt werden kann.

Hongkong, ein wichtiger Markt für japanische Meeresfrüchteexporte, hat mit Beschränkungen gedroht. Hongkongs Regierungschef John Lee sagte am Dienstag, er lehne den Wasserplan strikt ab, und fügte hinzu, er habe die Stadtregierung angewiesen, „sofort“ Einfuhrkontrollen für japanische Meeresfrüchte zu aktivieren.

Südkorea und China haben die Einfuhr von Meeresfrüchten aus einigen Gebieten Japans verboten, nachdem es im März 2011 in Fukushima Daiichi an der Nordostküste des Landes zu Kernschmelzen in drei Reaktorblöcken gekommen war. China ist nach wie vor strikt dagegen und wirft Japan vor, den Ozean wie eine „Kloake“ zu behandeln.

Die südkoreanische Regierung hat ihre Einwände gegen die Einleitung kürzlich fallen gelassen, aber Oppositionsparteien und viele Südkoreaner sind besorgt über die Auswirkungen der Einleitung auf die Lebensmittelsicherheit.

Internationale Atomaufsichtsbehörde hält radiologische Auswirkungen für „vernachlässigbar“

Die Entscheidung wurde getroffen, nachdem die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), die Atomaufsichtsbehörde der Vereinten Nationen, die Einleitung genehmigt hatte und erklärte, die radiologischen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt seien „vernachlässigbar“.

Einige Experten weisen darauf hin, dass Kernkraftwerke auf der ganzen Welt ein ähnliches Verfahren zur Entsorgung von Abwässern anwenden, die geringe Konzentrationen von Tritium und anderen Radionukliden enthalten.

„Tritium wird seit Jahrzehnten [von Kernkraftwerken] freigesetzt, ohne dass nachweislich schädliche Auswirkungen auf die Umwelt oder die Gesundheit zu befürchten sind“, sagte Tony Hooker, ein Nuklearexperte der Universität Adelaide.

Greenpeace hingegen bezeichnete das Filterverfahren als mangelhaft und warnte, dass in den kommenden Jahrzehnten eine „immense“ Menge radioaktiven Materials ins Meer gelangen werde.

Shaun Burnie, leitender Atomexperte bei Greenpeace Ostasien, sagte, Japans Regierung habe sich für eine falsche Lösung entschieden – eine jahrzehntelange vorsätzliche radioaktive Verschmutzung der Meeresumwelt – und das in einer Zeit, in der die Weltmeere bereits unter großem Stress und Druck stehen.

„Dies ist ein Skandal, der die Menschenrechte der Menschen und Gemeinden in Fukushima, anderen benachbarten Präfekturen und der gesamten asiatisch-pazifischen Region verletzt.“

Die Regierung und Tepco sehen sich auch mit dem Widerstand örtlicher Fischer konfrontiert, die behaupten, dass das Abpumpen von Wasser in den Pazifischen Ozean ihre Industrie zerstören würde.

Bei einem Treffen am Montag mit Masanobu Sakamoto, dem Vorsitzenden der National Federation of Fisheries Cooperative Associations, versuchte Kishida, den Fischereigemeinden zu versichern, dass die Einleitung sicher sei.

Im Vorfeld des Treffens sagte Sakamoto, dass sich die Ablehnung des Plans durch seine Gruppe „kein bisschen geändert“ habe. Er sagte, sie hätten verstanden, dass die Wassereinleitung wissenschaftlich sicher sei, fürchteten aber dennoch einen Imageschaden.

Premierminister Fumio Kishida: „Ich verspreche, dass wir die gesamte Verantwortung dafür übernehmen werden“

Diese Befürchtungen spiegelten sich in einer Umfrage wider, die diese Woche von der Zeitung Asahi Shimbun veröffentlicht wurde. 75 Prozent der Befragten sagten, die Regierung habe nicht genug getan, um den zu erwartenden Imageschaden für japanische Meeresfrüchte zu verhindern.

Kishida räumte diese Bedenken ein, betonte aber, dass die Wasserfreisetzung „absolut nicht aufgeschoben werden kann, wenn wir das Kernkraftwerk Fukushima stilllegen und die Region wiederbeleben wollen“.

„Ich verspreche, dass wir die gesamte Verantwortung dafür übernehmen werden, dass die Fischereiindustrie weiterhin ihren Lebensunterhalt verdienen kann, auch wenn das Jahrzehnte dauern wird“, sagte er am Montag vor Reportern.

Laut der Nachrichtenagentur Kyodo hat die Regierung einen Fonds in Höhe von 30 Mrd. Yen (206 Mio. US-Dollar) eingerichtet, um die örtlichen Fischer für die Rufschädigung zu entschädigen, und 50 Mrd. Yen, um die finanziellen Auswirkungen auf ihr Geschäft auszugleichen.

Das Abwasser, das auch Regen- und Grundwasser enthält, wird kontaminiert, wenn es zur Kühlung von Kernbrennstäben verwendet wird, die 2011 beschädigt wurden, als ein starker Tsunami auf das Kraftwerk traf und die Notstromversorgung ausschaltete.

Einleitung von 500.000 Litern täglich radioaktiven Wassers dauert 30 bis 40 Jahre

Etwa 1,3 Millionen Tonnen aufbereitetes Wasser – genug, um 500 olympische Schwimmbecken zu füllen – werden in mehr als 1.000 Stahltanks auf dem Gelände gelagert, aber Tepco hat davor gewarnt, dass der Lagerraum knapp wird.

Das fortschrittliche Flüssigkeitsaufbereitungssystem von Tepco entfernt die meisten radioaktiven Elemente mit Ausnahme von Tritium, einem Wasserstoffisotop, das sich nur schwer von Wasser trennen lässt.

Das Wasser wird auf ein 40stel der nach japanischen Sicherheitsstandards zulässigen Konzentration verdünnt, bevor es in den nächsten 30 bis 40 Jahren durch einen Unterwassertunnel einen Kilometer von der Küste entfernt ins Meer gepumpt wird.

Tomoaki Kobayakawa, der Präsident von Tepco, erklärte, das Unternehmen sei fest entschlossen, während des Ableitungszeitraums „Rufschädigung“ zu vermeiden. Tepco, so fügte er hinzu, werde „alle seine Ressourcen darauf verwenden, die Sicherheit und Qualität des Betriebs der Anlage zu gewährleisten, die Überwachungsergebnisse rasch zu erhalten und diese Informationen auf präzise und leicht verständliche Weise zu veröffentlichen“.

Das Wasser wird in einer maximalen Menge von 500.000 Litern pro Tag freigesetzt. Ein japanischer Beamter sagte, die ersten Ergebnisse der Tests des eingeleiteten Meerwassers könnten Anfang nächsten Monats vorliegen. Japan wird auch Fische in den Gewässern in der Nähe der Anlage testen und die Ergebnisse auf der Website des Landwirtschaftsministeriums zur Verfügung stellen.

Justin McCurry ist Japan-Korrespondent des Guardian

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Geschrieben von

Justin McCurry, Tokio | The Guardian

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