Waffenlieferstopp? Was Joe Bidens Drohung für Israels Rafah-Offensive bedeuten könnte
Analyse Wie abhängig sind Benjamin Netanjahu und Israels Armee von Waffenlieferungen aus den USA? Und was bedeuten US-Präsident Joe Bidens Drohungen, sie auszusetzen, für den israelischen Plan eines Angriffs auf das dicht besiedelte Rafah in Gaza?
Israel soll im vergangenen Jahr 5,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben haben
Foto: Menahem Kahana/AFP/Getty Images
Der schiere Umfang der US-Militärhilfe für Israel seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres deutet darauf hin, dass die Intensität der Angriffe auf Gaza ohne die Lieferungen US-amerikanischer Bomben, Granaten und sonstiger Munition nicht möglich gewesen wäre. Nun droht US-Präsident Joe Biden nach sieben Kriegsmonaten, diese Lieferungen einzustellen.
Genaue Zahlen sind schwer zu bekommen, zum Teil, weil die USA darauf achten, dass die Lieferungen unter den Grenzen bleiben, ab denen Offenlegungspflichten gelten, und sich, um Waffen zu liefern, auf vor langer Zeit, mitunter vielen Jahren erteilte Genehmigungen des US-Kongresses stützen können, um Waffen zu liefern, ohne dass es dafür eine neue Zustimmung braucht. Doch selbst das, was offengelegt wird,
US-Kongresses stützen können, um Waffen zu liefern, ohne dass es dafür eine neue Zustimmung braucht. Doch selbst das, was offengelegt wird, macht deutlich, wie bedeutend die US-Lieferungen sind.Beamten ließen im März gegenüber dem US-Kongress verlauten, dass seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 100 separate Rüstungsgeschäfte mit Israel getätigt wurden, und ein US-amerikanischer Thinktank berichtete, dass das Pentagon „manchmal Schwierigkeiten hatte, genügend Frachtflugzeuge zu finden, um die Systeme auszuliefern“, weil so viele Militärgüter darauf warteten, verschifft zu werden.Abkommen unter ObamaEin Zehn-Jahres-Abkommen, das 2016 von Barack Obama als US-Präsident unterzeichnet wurde, sieht seit 2018 die Lieferung von Waffen im Wert von 3,3 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor, plus weitere 500 Millionen Dollar pro Jahr für Luftabwehrsysteme. Darüber hinaus hat der Kongress im vergangenen Monat weitere 13 Milliarden Dollar an Militärhilfe bewilligt, darunter 5,2 Milliarden Dollar zur Verstärkung der bestehenden Luftabwehrsysteme.Im Laufe dieser seit den 1960er Jahren bestehenden Art von Sicherheitspartnerschaft haben die USA bis heute Militärhilfe im Wert von mehr als 123 Milliarden Dollar geleistet. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (SIPRI) stammen 69 Prozent der israelischen Waffeneinfuhren aus den USA. Lieferungsunterbrechungen waren sehr selten. Ronald Reagan hielt als US-Präsident 1982 einmal die Lieferung von F-16-Kampfflugzeugen auf, weil er mit dem Einmarsch Israels in den Libanon nicht einverstanden war.Massenhaft tödliches FlächenbombardementWährend des gegenwärtigen Konflikts hat das Pentagon nur gelegentlich Einzelheiten über die geleistete Militärhilfe veröffentlicht: im November Präzisionsbombenbausätze im Wert von 320 Millionen Dollar, im Dezember 14.000 Panzergranaten im Wert von 106 Millionen Dollar und 147,5 Millionen Dollar für 57.000 155-mm-Artilleriegranaten und deren Zünder und Zündkapseln sowie 30.000 Haubitzenladungen.Unterdessen erklärte die israelische Luftwaffe, dass sie Mitte Februar, also etwas mehr als vier Monate nach Beginn des Konflikts, 29.000 Mal Ziele im Gazastreifen angegriffen habe, um die Hamas auszuschalten. Dies ist Teil einer Strategie des Flächenbombardements, die nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums 34.780 Palästinenser das Leben gekostet hat.Eine Überraschung war, dass die USA sogar die Lieferung der 1.700 500-Pfund-Bomben und insbesondere der 1.800 2.000-Pfund-Bomben in Erwägung zogen, deren Lieferung Joe Biden nun ausgesetzt hat. Eine 2.000-Pfund-Bombe, viermal schwerer ist als die größten Bomben, die die USA gegen den IS in Mossul eingesetzt haben, ist stark genug, um einen kleinen Wohnblock in die Luft zu jagen und einen zwölf Meter breiten Krater zu hinterlassen. Die USA gingen davon aus, dass diese groben, schweren Waffen, die in einem überfüllten Gebiet Dutzende oder mehr Menschen töten können, bei einem finalen israelischen Angriff auf Rafah eingesetzt werden würden. In Gaza seien Zivilisten infolge dieser Bomben und anderer Arten, gegen dicht besiedelte Gebiete vorzugehen, getötet worden, so der US-Präsident gegenüber CNN.Eingebetteter MedieninhaltZuvor sollen 2.000-Pfund-Bomben bei Angriffen wie dem auf das Flüchtlingslager Jabaliya am 31. Oktober eingesetzt worden sein, bei dem schätzungsweise mindestens 116 Zivilisten getötet wurden. Eine andere Schätzung, von CNN, kommt auf Grundlage von Satellitenbildern zu dem Schluss, dass im ersten Kriegsmonat bis zum 6. November 500 große Einschlagskrater, die auf den Einsatz von 2.000-Pfund-Munition hindeuten, in Gaza festzustellen waren.Die Frage ist: Wie viele Bomben haben die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) ohne die größeren US-Bomben in ihren Beständen? Sie ist nicht leicht zu beantworten. Als Reaktion auf den Angriff vom 7. Oktober hatten die USA den Zugang zu ihrem eigenen Waffenlager in Israel (WRSA-I) verschafft, welches nach einer Schätzung aus dem US-Kongress Munition verschiedener Typen im Wert von bis zu 4,4 Milliarden Dollar enthalten könnte.Israels Offensive auf RafahDie Realität ist, dass Bidens Waffenstopp nur bestimmte Waffenkategorien betrifft, Israel also auf andere Waffentypen rechnen kann, darunter Panzergeschosse und Artilleriegranaten. Israels Luftwaffe bleibt weitgehend unberührt; im März wurde der Verkauf von 25 weiteren F-35-Kampfflugzeugen genehmigt, die Teil eines 2018 vom Kongress genehmigten Geschäfts sind.Kurzfristig kann Israel mit ziemlicher Sicherheit seine angedrohte Offensive in Rafah fortsetzen, wenn es sich dafür entscheidet, obwohl diese für die Millionen Palästinenser, die dort verzweifelt Zuflucht suchen, eine weitergehende akute humanitäre Krise bedeuten wird. Zugleich könnte dieses Vorgehen die Kluft zwischen den USA und Israel bezüglich der Rüstungslieferungen vertiefen.Eine Analyse der konservativen Foundation for Defense of Democracies in Washington DC kommt zu dem Schluss, dass Israel, das im vergangenen Jahr 5,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgab (mehr als das Zweieinhalbfache des NATO-Ziels), seine Budgets auf sieben bis acht Prozent steigern müsste, „um seine Abhängigkeit von ausländischen Regierungen bei den Waffen, die Israel am dringendsten benötigt, zu verringern (nicht zu beseitigen)“. Es ist unklar, wie tragbar dies für Israel wäre.
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