Dass Sondierungen über eine Feuerpause in Gaza Wellenbewegungen unterworfen sind – einmal stagnieren, dann wieder vorankommen –, leuchtet ein. Es liegt in der Natur dieses Konflikts. Wo vorrangig die gegenseitige Zerstörung zählt, gibt es kaum etwas auszuhandeln, eher auszukämpfen. Was nichts daran ändert, dass eine wie auch immer geartete Übereinkunft für Benjamin Netanjahu wie die Hamas über den Ausgang dieses Krieges entscheiden kann. Auch über seine Deutung.
Wird eine dauerhafte Waffenruhe vereinbart, heißt das, die israelische Führung hat ihr Kriegsziel nicht erreicht, den palästinensischen Widerstand, wie ihn die Hamas und andere verkörpern, vernichtend zu schlagen. Diese Absicht ist von Anfang an verkün
erkündet und unablässig erneuert worden. Doch die Hamas existiert. Dafür spricht, dass sie nach Kairo gebeten ist, um konsultiert zu werden. Davon zeugt, dass US-Außenminister Antony Blinken an sie appelliert, kompromissbereit zu sein und vorliegende Angebote anzunehmen, worin das Eingeständnis liegt: Diese Kriegspartei wird als Vertragspartei gebraucht. Jedes Agreement ohne sie wäre wertlos, weil nicht implementierbar.Verständigung mit Ismail HaniyyaDeshalb haben die Vermittler Ägypten und Katar die Verständigung mit Ismail Haniyya gesucht, einem maßgeblichen Hamas-Führer, damit er einer von ihnen vorgeschlagenen Feuerpause zustimmt, auch wenn die Regierung Netanjahu abwinkt. Offenkundig will sie sich die gesichtswahrende Option des Angriffs auf Rafah erhalten und durch die Aussicht auf eine Kampfpause nicht unter Druck setzen lassen. Dieses Verhalten liegt in der Logik von sieben Monaten Krieg, der so brachial geführt wurde, dass nur ein Sieg zählt, wie der auch immer errungen wird.Welche Konsequenzen das schon jetzt hat, beschreibt das UNDP, das UN-Entwicklungsprogramm, in einer soeben veröffentlichen Analyse: Auf eine Region bezogen seien Zerstörungen verursacht worden wie seit 1945 nicht mehr. Es gingen Lebensgrundlagen verloren, die womöglich erst 2040 oder 2045 wiederhergestellt seien.Das Existenzrecht Israels und der PalästinenserDie USA, Deutschland und andere westliche Staaten müssen sich vorwerfen lassen, eine Mitschuld an diesem Kahlschlag zu tragen. Nicht nur wegen der auf Waffenlieferungen gegründeten militärischen Beihilfe, sondern weil sie es jahrzehntelang bewusst unterlassen haben, das Existenzrecht der Palästinenser dem Israels gleichzustellen. Dies missachtete das Völkerrecht wie Beschlüsse der Vereinten Nationen, verletzte Gerechtigkeit und Humanität – es verhalf dazu, sich darüber hinwegzusetzen, worin der Kern dieses Konflikts immer bestanden hat.Im Augenblick braucht US-Präsident Joe Biden eine Waffenruhe, um sich vom Gaza-Krieg reinzuwaschen und einer anschwellenden Protestbewegung im eigenen Land zu begegnen. Sie wirft ihm zu Recht vor, das Sterben Zehntausender von Palästinensern nicht mit allen ihm verfügbaren Mitteln aufgehalten zu haben. Ob das Folgen für die Präsidentenwahl Anfang November hat, ist schwer abzuschätzen, aber nicht auszuschließen. Der Republikaner Richard Nixon gewann 1968 gegen die bis dahin regierenden Demokraten mit der erklärten Absicht, einen aussichtslosen Krieg – den in Vietnam – zu beenden. Eine historische Analogie zu Gaza besteht auch deshalb, weil damals wie heute eine studentische Antikriegsbewegung die schuldhafte Verstrickung in menschliches Leid benannt hat bzw. benennt, das seinesgleichen sucht. Insofern wird eine Waffenruhe für Gaza eher früher als später vereinbart, aber nur eine Kampfpause, kein wirklicher Frieden sein.