An der Grenze zu Russland: Wie Norwegen beim Fischfang mit dem Nachbarland kooperiert
Konflikt Trotz Ukrainekrieg unterhält Russland in der Barentssee freundschaftliche Beziehungen zu Norwegen – zumindest in Sachen Fischereirechte. Diese Woche werden die Fangquoten für das nächste Jahr verhandelt. Wird die Kooperation weiterlaufen?
Die Kapelle König Oskar II. an der norwegischen Grenze zu Russland
Foto: Imago/ Krauthöfer
Vom Dorf Grense Jakobselv, wo die norwegisch-russische Grenze auf das Nordpolarmeer trifft, kann man direkt nach Russland sehen. Und auf der anderen Seite des Flusses, welcher die Grenzlinie markiert, können die russischen Soldaten direkt zurückblicken. Obwohl die Wassertemperaturen hier selten über 10 Grad steigen, ist die norwegische Seite in den Sommermonaten ein beliebtes Ziel zum Angeln, um Weißwale zu beobachten, sich in der Mitternachtssonne zu sonnen und, seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine, einen schelmischen Blick ins Reich des Bösen zu werfen: Russland.
„Jeder möchte zu einem der östlichsten militärischen Punkte Norwegens fahren und rüber nach Russland gucken“, sagt Trygg Arne Larsen, ein Militärberater. ̶
Norwegens fahren und rüber nach Russland gucken“, sagt Trygg Arne Larsen, ein Militärberater. „Es ist, als wäre man am Loch Ness.“Das Dorf hat keine dauerhaften Einwohner mehr. Aber seine kleine Steinkirche, die Kapelle von König Oskar II, die 1869 zur Markierung der Grenze auf dem Hügel errichtet wurde, wird immer noch genutzt. Mehrere Wohnmobile – darunter eines mit russischem Kennzeichen – sind mit Blick auf die Barentssee geparkt, die in der Sonne glitzert. Nur wenige Autostunden entfernt liegt Storskog, der letzte verbliebene Schengen-Grenzübergang nach Russland, der für den Touristenverkehr geöffnet ist. Das heißt aber nicht, dass das NATO-Mitglied Norwegen nicht auf der Hut ist. 24 Stunden ÜberwachungEin Grenzposten, bekannt als OP 247, wird vom norwegischen Militär 24 Stunden am Tag überwacht. Von hier oben, einem gemütlichen Wohnbereich mit Fitnessraum, Küche und einer umfangreichen DVD- und Spielesammlung für Soldaten außerhalb des Dienstes, kann man bis nach Vardø sehen, wo Norwegen militärische Überwachungsradare unterhält.Doch obwohl die beiden Länder auf unterschiedlichen Seiten im russischen Krieges gegen die Ukraine stehen, herrscht hier eine fast unbehagliche Entspannung: Sie teilen sich das Meer.Placeholder image-1Die Grenze erstreckt sich über 12 Seemeilen ins Wasser, sodass russische Schiffe nicht auf die norwegische Seite gelangen können und umgekehrt. Trotzdem: Die Barentssee mitsamt ihrem wertvollen Kabeljaubestand wird weiterhin zwischen den beiden Nationen geteilt. Die Länder treffen sich nach wie vor, um sich über die Fangquoten zu verständigen. Diese Woche, um die Quoten für das kommende Jahr festzulegen. Und obwohl Russland nach der Invasion aus dem Internationalen Rat für Meeresforschung (Ices) ausgeschlossen wurde, arbeitet Bjarte Bogstad, Forscher am Institut für Meeresforschung in Norwegen und norwegischer Ices-Vertreter, weiterhin mit seinen russischen Kollegen zusammen, die er seit Jahrzehnten kennt.Trotz des „Elefanten im Raum“ namens Ukrainekrieg sehen beide Länder Vorteile in der Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen in Meeresangelegenheiten, sagt er. Er weist zum Beispiel darauf hin, dass die Fische zwar an der norwegischen Küste geboren werden, aber sowohl in der norwegischen als auch in der russischen Zone leben. Und dass es im Interesse beider Länder sei, die bereits größeren Kabeljaue in der norwegischen Zone zu fangen und nicht die noch im Wachstum begriffenen Kabeljaue-Jungtiere in der russischen Zone. Außerdem soll der Zugang von Drittländern wie Großbritannien, der EU und Island beschränkt werden.Unterwegs in der SpionagestadtDa die norwegische Regierung die Fischereizusammenarbeit von dem Boykott gegen Russland ausgenommen habe, gehöre sein Institut wahrscheinlich zu den wenigen in der westlichen Welt, die noch in irgendeiner Form mit russischen Institutionen zusammenarbeiten, sagt Bogstad. Doch einige neue Beschränkungen sind in Kraft.Im nahe gelegenen Hafen von Kirkenes, einem der drei norwegischen Häfen, in den russische Fischerboote noch einlaufen dürfen, sind Schiffe unter russischer Flagge noch immer regelmäßig zu sehen. Allerdings wurde die Bewegungsfreiheit der Fischer vor kurzem eingeschränkt. Zudem dürfen russische Schiffe norwegische Häfen nicht mehr für Reparatur- und Wartungsarbeiten anlaufen, was ein schwerer Schlag für die lokale Wirtschaft ist. Thomas Nilsen, Herausgeber der in Kirkenes ansässigen Online-Nachrichtenpublikation Independent Barents Observer, sagt, der Krieg in der Ukraine habe Kirkenes geschadet und die Spannungen in der Arktis verstärkt: „Es gibt mehr Übungen und Überwachung“, sagt er.Kirkenes ist seit langem als „Spionagestadt“ bekannt. Aber Nilsen sagt, dass die Aufmerksamkeit, die der potenziellen russischen Überwachung zuteilwird, das öffentliche Bewusstsein geschärft hat und es Russland erschwert, solche Operationen sowohl an Land als auch auf See durchzuführen. „Russland weiß“, so Nilsen, „dass es Artikel 5 auslöst, wenn es militärische Truppen in dieses Gebiet schickt.“ Er meint jene Passage im Nato-Vertrag, der besagt, dass ein Angriff auf ein Mitglied als Angriff auf alle angesehen wird.Nur die Fischer sind geblieben„Aber Leute in Zivil zu schicken und die norwegische Infrastruktur wie Brücken, Wasserversorgung und Häfen zu kartieren, ist für Russland sehr wichtig, und ich glaube, dass sie das tun“, sagt Michael Rozmara, der Kommandeur des Grenzschutzes, in seinem Büro in Høybuktmoen. Denn trotz der scheinbar guten Beziehungen auf dem Wasser haben sich die Dinge in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch verändert.Nach dem Ende des Kalten Krieges seien sich die russischen und norwegischen Grenzschützer so nahe gekommen, dass sie 2007 eine gemeinsame Weihnachtsfeier mit ihren Familien veranstalteten. Im Jahr darauf marschierte Russland jedoch in Georgien ein, und 2014 annektierte es die Krim. Das norwegische Konsulat in Murmansk ist jetzt geschlossen; wo früher jährlich etwa 300.000 Zivilisten die Grenze in Storskog überquerten, ist es jetzt nur noch ein Bruchteil davon, da die Visa abgelaufen sind. Die meisten Menschen, die von Russland nach Norwegen einreisen, haben entweder ein Schengen-Visum oder sind Arbeiter auf Fischerbooten, die in norwegischen Häfen die Besatzung wechseln, sagt Rozmara.Placeholder image-2„Wir haben viele Jahre lang geplant: Wie verteidigen wir Norwegen, wenn Russland ein Aggressor sein sollte?“, fügt er hinzu. Bis vor kurzem war „dieser Gedanke sehr weit weg.“ Obwohl Rozmara über den Abbruch der Beziehungen traurig ist, ist er bereit, Norwegen zu verteidigen. „Jetzt ist wirklich die richtige Zeit, um für das einzutreten, woran man glaubt, und für seine Werte und sein Land und die Nato und diejenigen, die die gleichen Werte wie wir vertreten.“ In der Barentssee läuft die Kooperation zwischen Norwegen und Russland hingegen weiter – vorerst.
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