Unabhängig von China: Am Fjord der großen Hoffnung in Norwegen
Kolumne „Europa transit“ Posphate, Titanium, Vanadium: Unter Egersund liegen Bodenschätze, die Europas Abhängigkeit von China beenden könnten. Doch nötig haben sie das hier nicht. Ein Besuch
40 Kilometer entfernt, in Jøssingfjord, fördern sie schon Titan. „Wir müssen es nicht machen“, sagt Egersunds sozialdemokratischer Bürgermeister Odd Stangeland.
Foto: Marek Slusarczyk/Alamy
Fährt man an einem frühen Sommermorgen in Richtung Ozean hinaus, sieht man auf den Wegen und nass glitzernden Wiesen vollkommen angstfreie Häschen hocken. Das südwestnorwegische Städtchen Egersund wirkt insgesamt sorglos: Beim Fischereihafen greifen Uferbetriebe und Strandvillen ineinander, das weiß gestrichene Holzhaus des Seemannsverbands lockt mit seinem Saloon, das „Dressmagasinet“ lässt seine Schaufensterpuppen über Nacht nackig stehen. Die sehenswürdige Felsformation „Trollpenis“, 2017 von unbekannter Hand entmannt, wurde dank einer Egersunder Spendensammlung sogleich wieder aufgerichtet.
Norwegen, das in seinem weltweit investierten Ölfonds rund 1,3 Billionen Euro für eine Bevölkerung von nur 5,4 Mill
r 5,4 Millionen angespart hat, kennt keine ernsthaften Sorgen. 2021 elektrisierte Norge Mining, ein Start-up des Schweizer Investors Michael Wurmser, insbesondere EU-Europa mit der Nachricht, unter Egersund gigantische Vorkommen von Phosphaten, Titan und Vanadium gefunden zu haben. Das sind alles „kritische Rohstoffe“, welche die Europäische Kommission auf ihrer Spezialliste führt.Vanadium für Batterien – besser als LithiumBesonders Vanadium kann einen zum Träumen bringen: Angeblich lässt sich eine Vanadium-Batterie zehnmal häufiger und schneller laden und auch leichter recyceln als eine Lithium-Ionen-Batterie, die im Verdacht steht, im Brandfall ein mit 3.800 Autos beladenes Schiff ausräuchern zu können. Das wenige zurzeit verfügbare Vanadium kommt zu 60 bis 90 Prozent aus China.Ich rede mit den Leuten, darunter erstaunlich viele mit Spanien-Bezug. Demnächst ist Kommunalwahl, das Bergbauprojekt ist umstritten, zwei kleinere Oppositionsparteien sind kategorisch dagegen. Auch weil Rogaland die norwegische Provinz mit dem höchsten Anteil von Industriearbeiterschaft ist, ist der Bürgermeister Sozialdemokrat. Dieser hält sich nach anfänglicher Freude bedeckt.Gewinne ins AuslandNur die junge Mitarbeiterin einer Tankstelle würde sofort in den besser bezahlten Bergbau wechseln, „ich bin so ein Typ, ich scheue keine Gefahr“. Alle anderen sind skeptisch: Eine Oma (Ferienhaus in Spanien), ihre erwachsenen Enkelsöhne und ein Handwerker, der aus dem Holz eines alten Kirschgartens fein gearbeitete Kochutensilien schnitzt, fürchten Umweltschäden, eine Mitarbeiterin des Spielautomaten-Bratwurst-Tabakladens (sie hat in Spanien gejobbt) klagt an, dass „die Gewinne ins Ausland gehen“.Ich betrete einen sterilen Büroblock am Hafen, die Zentrale der Norge-Mining-Tochter Norge Mineraler. Seit 2018 hat die Firma hier 61 Betriebslizenzen erworben, im Februar wurden die insgesamt 171 bis zu 2.201 Meter tiefen Probebohrungen abgeschlossen. Auch wenn noch nicht entschieden ist, ob man im Tagebau oder unter Tage fördern würde, verspricht man schon fossilfreie „Nullemission“. Zwei junge norwegische Geologen schulen mich zwei Stunden in Fachchinesisch: Parallel zu den Begriffsebenen „probable“ und „proved“ werde zwischen „inferred“, „indicated“ und „measured“ unterschieden, und für die Förderwürdigkeit eines Vorkommens müsse der „JORC Code“ über 50 Prozent liegen. Liegt Egersund über 50 Prozent? Sie antworten, dass sie das noch nicht wissen, oder dass sie es wissen, aber noch nicht sagen dürfen, vielleicht aber bald. Und können sie Europa unabhängig von China machen? „Das können wir, aber es hängt von vielen Faktoren ab.“ Das Misstrauen in Egersund erklären sie auch damit, dass der Profit eines hiesigen Windparks schnurstracks nach China geht.Arbeitslosigkeit in Eggersund: 1,5 ProzentIn der hölzernen Altstadt fällt mir ein turnschuhfedernder Herr in einem blauen Poloshirt von „Boss Orange“ auf, der eingehend ein Wahlplakat von Bürgermeister Odd Stangeland studiert. Es ist (frisch aus dem Spanien-Urlaub zurück) Bürgermeister Odd Stangeland. Der frühere Schuldirektor lobt Norge Mining dafür, dass „sie die Eigentümer der Bohrgrundstücke sehr gut behandelt haben, die sind zufrieden“.Placeholder image-1Auch im nahen Sokndal, wo eine US-Firma seit 1960 Titan fördert, werde der Bergbau positiv gesehen. Der Stadtgemeinde Egersund liege jedoch bis dato nichts Konkretes vor, worüber sie entscheiden könnte: „Wir brauchen Unterlagen, auch über die Umweltverträglichkeit, um Ja oder Nein zu sagen. Wenn es aber Länder gibt, die umweltgerecht fördern können, dann ist Norwegen eins davon.“ Dass die Lizenzen in ausländischer Hand sind, ist für ihn „ein großes Thema“. Im Einklang mit der „neuen Mineralienstrategie“ der sozialdemokratisch geführten norwegischen Regierung fordert er: „Wenn sich hier eine neue Branche ansiedelt, muss die lokale Community mehr davon haben.“ Bei einer Arbeitslosigkeit von 1,5 Prozent seien die Ansprüche an diese Art von Projekt hoch.Elektromobilität seit 1798Ich entgegne, dass ich es unfair vom lieben Gott finde, dass er ausgerechnet Norwegen auch noch mit diesen kritischen Rohstoffen beschenkt hat und nicht etwa Moldawien oder den Kosovo: „Ihr braucht das Geld gar nicht, oder?“ Der Bürgermeister von Egersund reagiert nicht etwa beleidigt, sondern mit leuchtenden Augen: „Ja, das ist absolut richtig. Wir haben die Öl- und Gaslotterie gewonnen, wir haben viel Wind, Wasser und Wasserfälle, wir haben das Meer mit dem Fisch und die Fjorde mit dem Lachs. Wir müssen es nicht machen.“Norwegen hat wohl wirklich keine Sorgen. Das Königreich ist auch ohne Vanadium führend bei der Elektromobilität, über der Außensteckdose eines stolzen gelbgrünen Bürgerholzhauses steht geschrieben: „Egersunder Ladestation seit 1798“.Ich verlasse Egersund mit gemischten Gefühlen. Wenn es ein Land gibt, das es nicht nötig hat, Europa vor China-Abhängigkeit und minderwertigen Batterien zu retten, dann ist es Norwegen.Placeholder infobox-1