Gewalt gegen Männer: Eine Telefonhotline hilft Betroffenen
Beratung Wer Gewalt erlebt, muss sich Unterstützung suchen. Ein niedrigschwelliges Angebot für Männer in Krisensituationen leistet bundesweite Pionierarbeit
Manche Männer melden sich immer wieder auf der Hotline, sind als „Daueranrufer“ bekannt
Foto: Hayden Verry/Plainpicture
Gewalt gegen Männer: Das ist ein besonders heikles Thema in der geschlechterpolitischen Debatte. Antifeministische Maskulinisten greifen das Thema auf und stilisieren sich selbst zum Opfer. Sie verharmlosen die Tatsache, dass im häuslichen Umfeld überwiegend Frauen die Leidtragenden sind. Umgekehrt war es lange ein Tabuthema, dass manche Männer ebenso gewaltbetroffen sein können. Ein Pilotprojekt in Ostwestfalen bietet ihnen seit knapp vier Jahren Hilfe an.
„Spezifische, auf männliche Probleme zugeschnittene Angebote sind in Deutschland Mangelware“, sagt der Psychologe und Buchautor Björn Süfke. Er engagiert sich seit über zwei Jahrzehnten in der Bielefelder Beratungsstelle „man-o-mann“, einer der wenigen Einrichtungen die
tungen dieser Art. Denn vorrangig finanziert werden hierzulande Frauen-, Familien- und Erziehungsberatungsstellen, in denen häufig kein einziger männlicher Mitarbeiter tätig ist. Dass auch das angeblich „starke Geschlecht“ Unterstützungsbedarf hat, klingt banal, hat sich in der Praxis aber noch nicht überall durchgesetzt.Süfke ist einer der Wegbereiter des „Männerhilfetelefons“. Das Angebot wird von der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Kooperation mit vier weiteren Bundesländern – anfangs nur Bayern, später Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern, neuerdings auch Rheinland-Pfalz – finanziell unterstützt.Die Nachfrage war von Anfang an groß, zumal der Projektstart im April 2020 mit dem ersten Corona-Lockdown zusammenfiel und deshalb Beratungen in Präsenz zeitweise nicht möglich waren. Die Anrufe kommen aus ganz Deutschland und auch aus den Nachbarländern. Das Team besteht nicht nur aus Bielefelder Mitarbeitern, hinzu kommen weitere Fachkräfte aus Psychologie, Pädagogik und Therapie in anderen Städten, darunter auch einige wenige Frauen. Man-o-mann war bereits in den 1990er-Jahren etabliert und hatte innerhalb Nordrhein-Westfalens früh eine Pionierfunktion. So ist es kein Zufall, dass hier die Idee für das Hilfetelefon entstand. „Wir wollen über die Hotline sowie über Mail- und Chatkontakte jene Männer ansprechen, die in erreichbarer Nähe kein entsprechendes Angebot nutzen können“, erläutert Süfke. Gemeint sind Betroffene in ländlich geprägten Gebieten, aber auch in urbanen Regionen, wo keine auf ihren Bedarf ausgerichtete Beratungsstelle existiert.Inhaltlicher Schwerpunkt des Hilfetelefons und „einziger Grund für die öffentliche Förderung“, so Süfke, ist das Thema Gewalt. Lange wurden Männer in diesem Kontext fast ausschließlich als Täter wahrgenommen, die ohnehin dürftigen Angebote beschränkten sich auf Anti-Gewalt-Trainings. Im privaten Umfeld hat diese Akzentsetzung auch ihre Berechtigung.Raus aus der TabuzoneNach Daten des Bundeskriminalamtes sind vier von fünf Betroffenen weiblichen Geschlechts. Allerdings gibt es laut Polizeistatistik auch knapp 20 Prozent männliche Opfer. Im öffentlichen Raum sind Männer sogar deutlich mehr von Gewalterfahrungen betroffen als Frauen – die Täter sind allerdings meist ebenfalls männlich.Das Thema ist schon deshalb umstritten, weil der Begriff Gewalt in Politik wie Wissenschaft sehr unterschiedlich definiert wird. „Gewalt hat viele Gesichter“ heißt es treffend auf der Website des Männerhilfetelefons. Schwere körperliche Verletzungen im häuslichen Bereich erleiden eindeutig mehr Frauen. Viele flüchten vor ihren Männern und suchen, oft mit ihren Kindern, Schutz in Frauenhäusern. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 64 solcher Einrichtungen mit knapp 600 Plätzen, aber nur zwei Schutzwohnungen für Männer mit lediglich 16 Plätzen. Bei diesem sehr konkreten Hilfeangebot beträgt das Geschlechterverhältnis also nicht 1:4, sondern 1:39.Placeholder infobox-1Je mehr der Begriff Gewalt auf Demütigung, Bedrohung, Beschimpfung, umfassende Kontrolle oder andere psychische Angriffe ausgedehnt wird, desto mehr nähern sich die Erfahrungen von Frauen und Männern an. Björn Süfke und sein Beratungsteam hören am Hilfetelefon erschütternde Geschichten. Neben Gewalterlebnissen im engeren Sinne geht es um die Folgen von Trennung und Scheidung, um sexuellen Missbrauch in Kindheit und Jugend, um massive gesundheitliche Probleme oder um Depressionen bis hin zu Suizidabsichten. Häufig sind lange Gespräche notwendig, um Vertrauen herzustellen. Manche Männer melden sich immer wieder auf der Hotline, sind als „Daueranrufer“ bekannt – was die Grenzen dieser in der Sozialarbeit als niedrigschwellig bezeichneten Beratungstätigkeit aufzeigt. Die telefonische Unterstützung kann zwar Hilfe anbieten und Anstöße für persönliche Veränderung geben, aber keinen langfristigen Therapieprozess ersetzen.Das Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg hat das Männerhilfetelefon wissenschaftlich evaluiert. Laut der im April 2023 veröffentlichten Expertise steigerten sich die Kontaktaufnahmen von knapp 1.500 im Jahr 2020 in zwei Jahren auf über 4.500 Anrufe. Seither sind die Zahlen in etwa stabil. Die Auswertung erklärt das mit dem wieder möglichen Hilfeangebot in Präsenz. Der Bedarf an Beratungen für Männer sei aber „vermutlich sehr viel größer, als bisher sichtbar wird“, heißt es in der Studie, es existiere ein erhebliches „Dunkelfeld“. Über die Auswirkungen von Gewalt, die sich gegen Männer richtet, gibt es in Deutschland nur wenig gesicherte Erkenntnisse. 2013 befragte das Robert-Koch-Institut (RKI) im Rahmen eines bundesweiten Gesundheitssurveys 6.000 erwachsene Männer zwischen 18 und 64 Jahren zu ihren Erfahrungen. Frauen, so ein Ergebnis dieser Befragung, seien in Partnerschaft und Familie zwar „tendenziell häufiger Opfer“, aber durchaus auch „Täterinnen von körperlicher und psychischer Gewalt im häuslichen Bereich“. Beim Nationalen Netzwerk Frauen und Gesundheit und bei feministisch orientierten Wissenschaftlerinnen stieß diese Behauptung auf Widerspruch.„In hohem Maße geschlechterdifferent“Die Herangehensweise sei „genderunsensibel“ und verfolge ein „einseitiges Erkenntnisinteresse“, formulierte es die Soziologin Monika Schröttle, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zur Gewalt gegen Frauen geforscht hat. Sie beanstandete, dass „das eingesetzte Modul keine differenzierte Erfassung von Schweregraden und Folgen von Gewalt in Geschlechterverhältnissen erlaubt“. Es sei unklar, welche konkreten Handlungen den Opfern widerfahren seien: ob es sich zum Beispiel um eine einmalige leichte Ohrfeige oder wütendes Wegschubsen gehandelt habe. Oder ob es sich „um Verprügeln, Waffengewalt, eventuell auch um fortgesetzte schwere Gewalt in Beziehungen“ handele, führt sie weiter aus. Zudem würden „sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung“ in der Untersuchung „vollständig ausgeblendet“. Wegen dieser methodischen Mängel, argumentierte Schröttle, sei das RKI zu anderen Ergebnissen gekommen als die meisten internationalen Studien. Die „Schweregrade und kumulativen Effekte von häuslichen Gewalterfahrungen“ seien „in hohem Maße geschlechterdifferent“. Soll heißen: Es macht einen Unterschied, ob Frauen Männer anschreien oder provozieren, vielleicht auch mal stoßen – oder ob Männer ihre Partnerinnen krankenhausreif schlagen. Ein sehr weit gefasster Gewaltbegriff verzerrt die Ergebnisse.Daraus, so die hinter der Forschungskontroverse steckende Auseinandersetzung, ergibt sich die Legitimation für den höheren Förderbedarf weiblicher Opfer. Die RKI-Studie wurde als Reaktion auf die Kritik aus frauenpolitischen Kreisen überarbeitet, die Wissenschaftler räumten Versäumnisse ein. Allerdings finden sich auch blinde Flecken in der feministischen Diskussion: Männliche Opfer verdienen unabhängig von ihrem Geschlecht ebenso Unterstützung. Auch sie brauchen Fluchtpunkte, wo sie Ruhe finden und sich über ihre Zukunft klar werden können. Hilfe- und Beratungsangebote für Männer, die sich nicht konfrontativ gegen Frauen aufstellen, sind sinnvoll – und, wie das Bielefelder Modellprojekt, durchaus förderungswürdig.
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