Am 9. Februar 1980 schießt Justin Fashanu „das Tor seines Lebens“. So wird es seine Nichte später nennen. Es ist ein wunderschönes Tor: Der Stürmer des englischen Fußballclubs Norwich City steht am Strafraum mit dem Rücken zum Tor, lupft den Ball in der Annahme an und hämmert ihn volley ins lange Eck. Wer den Fußball liebt, der tut das auch wegen solcher Tore.
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Für Fashanu verändert dieser Tag sein Leben. Aus dem 19-jährigen Talent wird der nächste große Star. Doch heute ist Fashanu vor allem als erster Profifußballer bekannt, der sich als schwul geoutet hat. Das war 1990 und in Großbritannien ein Tabubruch. Bis heute scheint sich daran wenig geändert zu haben. Das zeigt der
t, der sich als schwul geoutet hat. Das war 1990 und in Großbritannien ein Tabubruch. Bis heute scheint sich daran wenig geändert zu haben. Das zeigt der Dokumentarfilm Das letzte Tabu. Die titelgebende These mag angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 30 Jahre erstaunlich erscheinen, doch dass man beim Thema Homosexualität im Männerfußball noch immer von einem Tabu sprechen muss, zeigen allein schon die Zahlen: Aktuelle Schätzungen gehen von rund 500.000 männlichen Fußballern aus. Nicht einmal zehn bekennen sich offen zu ihrer Homosexualität.Da drängen sich unweigerlich Fragen auf. Warum ist das im Jahr 2024 noch so? Aber natürlich auch: Was bedeutet es für die Männer selbst? Regisseur Manfred Oldenburg entscheidet sich in seiner Annäherung für diesen persönlichen Blick. Im Zentrum stehen die Gespräche mit den Protagonistinnen und Protagonisten. Dazu gehört Thomas Hitzlsperger, der mit seinem Coming-out kurz nach seiner aktiven Karriere Homosexualität und Profifußball 2014 in Deutschland zu einem großen Thema gemacht hat. Marcus Urban kommt zu Wort, ebenfalls ehemaliger Fußballer, der sich gegen eine Profi-Karriere entschieden hat, um seine Homosexualität nicht länger verstecken zu müssen. Für Justin Fashanu spricht Amal Fashanu, seine Nichte. Ihr Onkel hat sich 1998 das Leben genommen – „schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart“, hat er in seinem Abschiedsbrief geschrieben.Doch es kommen auch aktive Sportler zu Wort. Matt Morton zum Beispiel, schwuler Trainer in Großbritannien, oder der US-Amerikaner Collin Martin, der 2018 als zweiter noch aktiver Profi überhaupt seine Homosexualität öffentlich machte.Eingebetteter MedieninhaltIn diesen persönlichen Annäherungen kristallisieren sich viele Gemeinsamkeiten heraus. Da ist etwa der Konflikt zwischen der großen Liebe Fußball, dem Traum, Profi zu sein, einerseits – und der eigenen Identität sowie der Frage, wie man leben kann, ohne sie auszuleben, andererseits. Er habe sich für das Leben entschieden und gegen seinen Traum, sagt Marcus Urban an einer Stelle – und muss auch 30 Jahre nach dieser Entscheidung mit den Tränen kämpfen.Eine andere Parallele ist das Gefühl der Lüge, das viele Spieler kennen – die Selbstverleugnung ebenso wie die Lüge nach außen. Sie wird zum Begleiter, die Einsamkeit auch. Das zeigt sich an beinahe banalen Alltagsfragen: Was erzählen schwule Profifußballer, mit wem sie das Wochenende verbracht haben? Wer steht an ihrer Seite, wenn heterosexuelle Spieler mit ihren Partnerinnen zu öffentlichen Terminen kommen? Kontrastiert wird diese Frage im Film mit Fotos von Profispielern – von Oliver Kahn bis Lionel Messi – und ihren Frauen. Es sind Abziehbilder der heterosexuellen Paarbeziehung, die viel über die Welt aussagen, mit der homosexuelle Fußballer konfrontiert sind.Aus all diesen Darstellungen spricht sehr viel Einfühlungsvermögen – und doch gelingt es Manfred Oldenburg, dabei nicht in eine Betroffenheitserzählung abzurutschen. Es würde auch den Protagonist:innen nicht gerecht, denn Opfer sind sie nicht – wohl aber Betroffene von Strukturen, die sie marginalisieren und beinahe unsichtbar machen.Per Mertesacker weiß, was Druck bedeutetDiese strukturellen und auch kulturellen Fragen kommen bei solch persönlichen Annäherungen gerne zu kurz. Auch bei Das letzte Tabu spielen diese Themen eine untergeordnete Rolle. Aber sie kommen vor. Etwa wenn es um die Männlichkeitsbilder im Fußball geht – die nicht zu den stereotypen Vorstellungen von schwulen Männern zu passen scheinen. Oder wenn Per Mertesacker und der ehemalige Schiedsrichter Babak Rafati schildern, wie groß der Druck ist, vor Zehntausenden Zuschauern zu spielen.Und was ist mit den Verbänden? All jenen Institutionen, die sich schnell und gerne eine Regenbogenflagge anpappen? Sie kommen im Film nur am Rande vor – in Form von Archivzitaten, in denen sie beispielsweise Thomas Hitzlsperger Respekt zollen. Dass sich in den vergangenen Jahren so wenig geändert hat, zeigt die ganze Zaghaftigkeit solcher Verbände. Er habe versucht, sagt Regisseur Oldenburg, mit Funktionären zu sprechen. Doch alle hätten abgesagt. Auch das ist ein Zeichen. Zumal einige Fans oft schon weiter sind. Das zeigen diverse Faninitiativen, aber auch der Umgang der Fans mit den Spielern, die sich geoutet haben. Es ist einer der Punkte, die Hoffnung machen. Ein anderer ist die Solidarität innerhalb der Teams. Als der US-Fußballer Collin Martin homophob beleidigt wird, verlässt die ganze Mannschaft solidarisch den Platz – und opfert dafür sogar das Weiterkommen im Wettbewerb. Diese eine Szene des Teamgeists, in der die Homophobie zum Tabu erklärt wird, ist auch so ein Moment, weswegen man Fußball lieben kann. Und welche Veränderung er möglich machen könnte. Er muss es nur noch tun.Placeholder infobox-1