„Konjunktur der Männlichkeit“: Die rechte Sexualitätspanik
Identitätspolitik Birgit Sauer und Otto Penz denken in ihrem Buch „Konjunktur der Männlichkeit“ Ökonomie und Psychologie zusammen, um zu erklären, warum der Rechten das Spiel mit den Gefühlen so gut gelingt
Adams Er- oder Abschaffung? Jedenfalls ein Weg, mit kleinen Penissen (in Michelangelos Werken) umzugehen...
Foto: Guy Bolongaro
Die gewalttätigen Übergriffe gegen Frauen in der Kölner Silvesternacht kommentierte die erzkatholische Publizistin Birgit Kelle Anfang 2016 im Focus so: „Ja, wir wollen Helden! Wann genau haben Männer eigentlich begonnen, Memmen zu werden?“ Angeblich verweichlichte weiße Männer hätten ihre Begleiterinnen nicht vor aufdringlichen Migranten geschützt, behauptete Kelle, CDU-Mitglied und Autorin von antifeministischen Büchern wie Dann mach doch die Bluse zu und Gender-Gaga. Unterstützung erhielt sie von Björn Höcke: Der thüringische AfD-Rechtsaußen klagt seit Jahren über den „identitätsgestörten Mann“ und fordert eine neue „Wehrhaftigkeit“.
Mit diesem Helden-Topos leiten Birg
Mit diesem Helden-Topos leiten Birgit Sauer und Otto Penz ihre Studie über Affektive Strategien der autoritären Rechten ein. Sauer ist emeritierte Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Penz lehrte dort Soziologie. In ihrer Forschungsarbeit suchen sie nach Erklärungen für den Erfolg autoritärer Parteien und Bewegungen in Deutschland und Österreich. Über das Thema ist in jüngster Zeit schon viel geschrieben worden, der wissenschaftliche Ansatz von Sauer und Penz ist allerdings ungewöhnlich. Denn sie legen großen Wert darauf, ökonomische und psychologische Aspekte gemeinsam zu behandeln, untersuchen die „neoliberale Transformation“ vor dem Hintergrund „sich verändernder Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse“. Diese gedankliche Verknüpfung ist in der Debatte um Männlichkeiten und Rechtsextremismus bislang unterbelichtet. Das macht das Buch interessant und lesenswert, auch wenn die Lektüre wegen des ausgeprägt akademischen Duktus manchmal mühsam ist.Mit Hilfe Antonio GramscisEine gewisse Verwirrung stiftet schon der wenig eingängige Titel Konjunktur der Männlichkeit. Das Wort Konjunktur wird im deutschen Sprachraum meist zur Bezeichnung wirtschaftlicher Zyklen benutzt. Sauer und Penz aber verwenden den Begriff, unter Bezugnahme auf den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci, als kulturwissenschaftliche Kategorie. Das diene ihrem Anliegen, die „Komplexität gesellschaftlicher Veränderungsprozesse einzufangen“. Ökonomische Rahmenbedingungen spielten dabei zwar eine grundlegende Rolle, aber nur in Kombination mit sozialen und kulturellen Faktoren komme man zu schlüssigen Folgerungen. Der Aufstieg des Rechtspopulismus erkläre sich eben nicht nur aus der zunehmenden Prekarisierung von Erwerbsarbeit, und „auch nicht alleine aus der wachsenden Autonomie von Frauen und Transpersonen“. Erst ein analytisches Konzept, das wirtschaftliche und emotionale Strukturen der „neuen autoritären Konjunktur“ zusammen betrachtet, liefere interessante Verbindungslinien und neue Erkenntnisse. Es geht den beiden Wissenschaftler:innen um die Wechselwirkung, an deren Ende „eine neue gesellschaftliche Formation erkennbar wird“.Die Rechte, so das Forschungsduo, strebe ein rassistisches und national orientiertes Gesellschaftsmodell der „Ungleichheit und Ausschließung“ an. Zur Mobilisierung für diese Ideen werde eine „spezifische Affektstruktur aus Bedrohung, Angst, Wut und Hoffnung“ angesprochen. Anfällig für solche Strategien seien vor allem deklassierte Männer, die sich durch den Niedergang industrieller Arbeit in ihrer Ernährerfunktion entwertet fühlen und zudem durch die erweiterten Rollen von Frauen im Privatleben verunsichert sind. Im deutlichen Kontrast zum Mainstream der Politikwissenschaft halten Sauer und Penz Geschlecht und Sexualität für zentrale Faktoren, die wesentlich zu den Wahlerfolgen von Parteien wie der deutschen AfD oder der österreichischen FPÖ beigetragen haben.Nicht nur der Islam, auch ein so wahrgenommener, die eigene Identität gefährdender „Individualismus der westlichen Moderne“ sei zum stimmigen Feindbild geworden. Der „Kampf um die Körperlichkeit“ erscheine besonders bedrohlich, weil queere Emanzipationsbewegungen „feste Zuschreibungen ablehnen und sie aufzulösen suchen“. Die rechtspopulistischen Kampagnen, so fassen Sauer und Penz zusammen, zielten auf die „Feeling rules“, wie sie die US-amerikanische Sozialforscherin Arlie Hochschild schon 1979 genannt hat. Antidemokratische Haltungen würden „in den Körpern der Menschen“ verankert mit dem Ergebnis, dass diese rechte Positionen gleichsam von sich aus unterstützen. So habe sich eine „neue affektive Form des steuernden Zugriffs“ etabliert.Die Emotionsstarre traditioneller Parteien„Sind Emotionen also per se demokratiegefährdend?“, fragen sich die Autor:innen, um gleich selbst eine Antwort zu geben: „Wir würden dies verneinen und denken vielmehr, dass die Tatsache, dass der autoritären Rechten dieses Spiel mit Affekten und Gefühlen gelingt, nicht zuletzt an der Emotionsstarre traditioneller Parteien liegt.“ Sie plädieren deshalb, in einem an die Politik wie an zivilgesellschaftliche Organisationen gerichteten Appell, für die „demokratisch-emanzipative Aneignung von Leidenschaften“.Der wohlfahrtsstaatliche Konsens nach dem Zweiten Weltkrieg, schauen Sauer und Penz zurück, basierte in (West)Deutschland und Österreich bis weit in die 1970er Jahre hinein auf Geschlechterungleichheit, vor allem auf der Trennung von bezahlter Lohn- und unbezahlter Sorgearbeit. Frauen waren daher „nur prekär in den hegemonialen demokratischen Kompromiss“ integriert, in den Parlamenten blieben sie deutlich unterrepräsentiert. Zum „Signum der neoliberalen Konjunktur“ wurden dann erhebliche Transformationen nicht nur der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch der Geschlechterbeziehungen, und das gefährdete die Rollenentwürfe vor allem traditionell orientierter Männer. Die wachsende finanzielle Autonomie von Frauen durch eigene Erwerbstätigkeit erleichterte die Scheidung von Ehen, und auch die sich langsam etablierende Gleichstellungspolitik veränderte die Machtbalance und die Gefühlsstrukturen innerhalb privater Beziehungen.Spätestens seit Mitte der Nullerjahre artikulierten sich Gegenbewegungen, männliche Antifeministen mobilisieren gegen einen vermeintlichen „Gender-Wahn“. Charakteristisch dafür, so die Autor:innen, sei ein „doppelter moralischer Antagonismus“. Vertikal konstruiere man einen Widerspruch zwischen unten und oben, zwischen dem „kleinen Mann“ und einer abgehobenen Elite; ein typisches Beispiel sei die rechte Polemik gegen die EU-Strategie des Gender Mainstreaming. Horizontal wiederum sollen Gruppen ausgegrenzt werden, die „die Homogenität und Identität, das ,Eigene‘ des Volkes infrage stellen“ – das zielt auf queere Lebensentwürfe, aber auch auf Migrant:innen und hier vor allem auf Muslime.Es öffne sich ein „affektiver Raum“, die präsentierten Bedrohungsszenarien erweckten Ängste, manchmal gar eine „Geschlechter- und Sexualitätspanik“. Auf diese Weise habe sich im rechten Milieu eine „maskulinistische Identitätspolitik“ entwickelt. Deren Ziel sei, ganz im Sinne des eingangs zitierten Björn Höcke, die Wiederherstellung einer althergebrachten und vor allem „wehrhaften“ weißen Männlichkeit. Inzwischen wird dieses Narrativ im Umfeld der „Zeitenwende“-Rhetorik leider auch von Politikern anderer Parteien – etwa vom „kriegstüchtigen“ SPD-Rüstungsminister Boris Pistorius – aufgegriffen und damit salonfähig gemacht.Placeholder infobox-1
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