In den USA wird 2016 ein Präsident auch deshalb gewählt, weil er offen frauenfeindlich auftritt. In den sozialen Medien werden Frauen mit Hass- und Mobbingkampagnen überzogen. MeToo hat gezeigt, wie weit verbreitet sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz sind, und in der Pandemie nahm die häusliche Gewalt zu. Waren wir nicht eigentlich auf dem Weg zur Gleichberechtigung? In Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen beschreibt die Journalistin Susanne Kaiser, wie der zunehmende sichtbare Erfolg von Frauen mit der zunehmenden Gewalt gegen sie zusammenhängt.
der Freitag: Frau Kaiser, Ihr Buch „Backlash“ dreht sich im Grunde um ein Paradox, das die feministische Bewegung hervorgebracht hat. Welches ist das?
Susanne Kaiser: Die Gleichberechtigung ist in der Öffentlichkeit inzwischen viel weiter vorangeschritten als das, was die Lebensrealität von Männern und Frauen bestimmt. Auf der einen Seite wird Gleichberechtigung überhaupt nicht mehr in Zweifel gezogen: Wir hatten eine Kanzlerin, haben eine Außenministerin und Fußballkommentatorinnen. Mädchen wachsen in dem Glauben auf, dass sie alles sein können. Gleichzeitig haben wir immer noch einen riesigen Gender Pay Gap.
Und einen Anstieg der Gewalt gegen Frauen.
Genau. Das feministische Paradox beinhaltet auch ein Tabu: Wir sprechen zwar über Gewalt gegen Frauen, aber nicht über das Strukturelle, das dahinter steht. Im Netz ist es aber total sichtbar und auch, dass diese Gewalt einseitig ist und dass Machtverhältnisse dahinter stehen.
In Tiktok-Videos werden Fantasien von romantischen Dates, die mit brutalen Morden enden, als humoristische Challenge gefeiert. Ausgerechnet junge Männer verherrlichen Gewalt gegen Frauen.
Männer wachsen heute immer noch mit toxischen Eigenschaftenauf, sie werden immer noch anders sozialisiert als Frauen, aber inzwischen mit sehr ambivalenten Erwartungen: Auf der einen Seite müssen sie Grenzen akzeptieren, beispielsweise wenn die Frau „Nein“ sagt. Männlichkeit gilt heute oft als toxisch und problematisch. Das kriegen ja schon kleine Jungs mit.
Und wiederholen das dann trotzdem.
Ja, denn unsere Kultur ist eine andere. Die hochkarätigen Ideale sind Johnny Depp, Andrew Tate, Jerome Boateng oder Cristiano Ronaldo, die alle Vorwürfe der Vergewaltigung oder der häuslichen Gewalt gegen sich laufen haben. Marvel-Superheros lösen ihre Probleme mit Gewalt und eben nicht durch Sprechen. Wir leben in einer knallharten neoliberalen Kultur, die sagt: „Du musst ein Macher sein, du musst dir die Sachen nehmen, sonst kannst du keinen Erfolg haben.“ Junge Männer können sich dann aussuchen: Nehme ich diese ungewisse Männlichkeit als Identität, bei der ich gar nicht genau weiß, was das ist? Oder nehme ich ganz einfach diese Alpha-Männlichkeit? Damit sind Privilegien verbunden: Frauen liegen mir zu Füßen und ich verdiene eine Menge Geld. Gleichzeitig sehen sie, wie sich das Männlichkeitsbild wandelt, dass Männer Privilegien einbüßen. Das ist wie ein Kontrollverlust. Deshalb ist eine Tiktok-Challenge, die Femizide verharmlost, eine Möglichkeit für junge Männer, dem zuvorzukommen, dass ihr Anspruch auf eine Frau durch deren Ablehnung gekränkt werde könnte. So erlangen sie wieder die Kontrolle über die Situation.
Aber diese Alpha-Männlichkeit scheitert, insbesondere in Beziehungen. Männer bleiben immer häufiger einsam und Single, eben weil Frauen mehr Gleichberechtigung fordern. Die Befürchtung ist, dass diese Männer sich im Netz in Incel-Foren radikalisieren und die Gewalt gegen Frauen dadurch weiter zunimmt.
Genau. Sie kommen aus dieser Gewalt nicht raus. Das zugrunde liegende Problem, gerade bei den Incels, ist ja, dass sie schon misogyne Einstellungen haben, die sich im Netz verhärten, wenn sie nur noch unter Gleichgesinnten sind, wo es kein Korrektiv mehr gibt.
Der Untertitel Ihres Buchs ist „Die neue Gewalt gegen Frauen“. Ist das Internet das „Neue“ an der Gewalt?
Unter anderem. Das Internet bietet ganz neue Möglichkeiten der Gewaltausübung: Mobbing- und Hate-Kampagnen gegen Frauen, Drohungen durch Fremde. Neu ist auch, dass Männer ihre Partnerinnen mit Technologien verfolgen können oder dass jemand seine Partnerin vergewaltigt und dieses Video anschließend auf eine Pornoseite hochlädt.
Und außerhalb des Internets?
Die Gewalt gegen Akademikerinnen nimmt zu. Inzwischen sind sie neben armen Frauen eine der vulnerablen Gruppen. Arme Frauen haben die Ressourcen nicht, um sich aus einer gewalttätigen Partnerschaft zu befreien. Bei Akademikerinnen sehen wir, dass Männer es offenbar sehr schwer ertragen, wenn ihre Frauen mit ihnen auf Augenhöhe oder sogar erfolgreicher sind.
Sind es dann insbesondere konservative Männer, die gewalttätig werden?
Nein, auch Männer, die sich feministisch geben und wirklich glauben, dass sie es sind, können zu Tätern werden. Die fördern Frauen in ihrem beruflichen Umfeld, benutzen gendergerechte Sprache und machen die Frau für die Gewalt verantwortlich: „Sie ist doch schuld, sie hat mich provoziert.“ Da wird eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Gerade bei der Gewalt akademischer Männer gegen ihre akademischen Frauen sehen wir, dass genau das rückgängig gemacht wird, was die Frauenrechtsbewegung erreicht hat, zum Beispiel die Macht über das eigene Geld.
Was früher der Staat mit Gesetzen verboten hat, verbietet also jetzt der Partner?
Ja, oder er verbietet es gar nicht, sondern er manipuliert seine Partnerin dahin. Dazu gehört auch das Isolieren aus dem sozialen Umfeld, bis die Frau keine sozialen Kontakte mehr hat, nur noch den Mann. Und wenn der dann das Konto kontrolliert und noch Kinder im Spiel sind, dann wird es unglaublich schwer, sich daraus zu befreien.
Das klingt, als stünde Methode dahinter.
Ja, zum Teil. Man merkt, wie das ein über Jahre gespanntes Netz ist, das immer engmaschiger wird. Auch wie systematisch die Täter vorgehen, anfänglich erst mit psychischer Gewalt: demütigen, das Selbstwertgefühl klein machen. Diese Täter arbeiten mit Gaslighting, manipulieren die Wahrnehmung, bis sich die Frau nicht mehr darauf verlassen kann, was sie sieht, hört und fühlt. Auch Gefühle können gut manipuliert werden.
Geht es da um Kontrolle? In den USA sehen wir mit dem Ende des Rechts auf Abtreibung, wie die politische Kontrolle über den Körper zurückkehrt.
Der Kampf um den Körper ist das typisch Patriarchale. Der Frauenkörper gehört eigentlich Männern oder dem Staat und wird von denen kontrolliert. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und auch zu entscheiden, dass ich mehr bin als dieser Körper, eine Mutter oder eine Ehefrau, das ermöglicht ein Heraustreten aus der klassischen Rolle und das Hineingehen in die Gesellschaft, in politische und wirtschaftliche Funktionen. Der Backlash zeigt sich am deutlichsten, indem diese Selbstbestimmung rückgängig gemacht wird. Es ist kein Zufall, dass genau jetzt ein 50 Jahre währendes Abtreibungsrecht in den USA zurückgefahren wurde. Es ist logisch, dass es nach Europa überschwappt. In Schweden ist die feministische Regierung gerade von den Rechten abgelöst worden.
Die Rechten kämpfen aber nicht nur gegen Frauenrechte, sondern auch gegen Minderheitenrechte.
Hier tun sich unterschiedliche Akteure und Gruppen zusammen, weil sie gleiche Interessen verfolgen. Das Wichtigste scheint da inzwischen die Verteidigung von Patriarchat und Männlichkeit als Ideologie zu sein. Da sehen wir auch, wie sehr diese Ideologie vom „Großen Austausch“ inzwischen die Runde gemacht hat, laut dem der Feminismus westliche Gesellschaften verweichlicht. Weil unsere Männer nicht mehr alpha-männlich erzogen werden, ist die Gesellschaft nicht mehr wehrhaft und kann leicht von fremden Mächten eingenommen werden. Deshalb passen da Rechte, Religiöse und Maskulinisten wunderbar zusammen. Es geht um weiße Männlichkeit als Ideologie.
Dieser Backlash geht aber nicht nur von weißen Männern aus. Bei meiner Familie in Indien sehe ich das ganz krass. In Südkorea ist der antifeministische Backlash politisch und digital extrem.
Auch da merkt man, wie es neue Zusammenschlüsse gibt. Andrew Tate ist beispielsweise zum Islam konvertiert, beziehungsweise zu seiner rassistischen Vorstellung davon. Er sagt: Die Probleme, die der Westen hat – „islam will fix it“. Der Islam wird es richten, wenn deine Frau dir nicht gehorcht. Diese Verherrlichung von islamistischem Dschihadismus finden wir schon bei Anders Breivik, dem Oslo-Attentäter von 2011. Der ist rechtsradikal, aber der verherrlicht auch den Dschihadismus.
Aber das ist doch total irre.
Ist es, aber es hat eine Systematik: Der Feind, der hier alles einnehmen will, wird gleichzeitig für seine Alpha-Männlichkeit bewundert. Bei Breivik gibt es Pläne, wie sich weiße Alpha-Männer und Islamisten die Welt aufteilen können. Dass Ideen adaptiert werden, sehen wir zum Beispiel in der „White Sharia“, derzufolge weiße Männer einfach weiße Frauen vergewaltigen müssen, damit wieder weißer Nachwuchs gezeugt wird.
Gegen welche Frauen richtet sich dieser männliche Hass online?
Also potenziell alle Frauen. Jede zweite Frau will ihre politische Meinung online nicht mehr kundtun, was dramatische Folgen für unsere Gesellschaft oder Öffentlichkeit hat. Den meisten Hass bekommen Frauen ab, die nicht dem männlichen Ideal entsprechen: Ricarda Lang zum Beispiel, die hat nicht Politikerin zu sein, sondern die hat schlank und schön zu Hause zu sein.
Bei Annalena Baerbock, einer anderen Grünen, kommen die misogyn aufgeladenen Angriffe insbesondere aus einer männlich-linken Ecke.
Ja, in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass linke Männer auch Männer sind. Links zu sein schützt vielleicht vorm Rechtssein, aber nicht davor, toxisch männlich zu sein.
Aber was ist es, dass es ausgerechnet Annalena Baerbock trifft?
Dass die wahnsinnig erfolgreich ist und zwar erfolgreich als sichtbare Frau. Das ist der Unterschied zu Angela Merkel, die alles dafür getan hat, um ihr Frausein zu kaschieren. Bei Baerbock ist das anders. Die tritt geschminkt auf, mit schön gemachten Haaren, hat tolle Kostüme an, häufig Kleider, es ist bunt, sehr weiblich. Sie betont ihre Rolle als Mutter und macht eine feministische Außenpolitik.
Und ihre öffentlichen Äußerungen sind emotional.
Genau wie bei Jacinda Ardern oder Sanna Marin. Das ist ein weibliches Performen von Politik. Und dann ist sie damit auch noch erfolgreich gegen Friedrich Merz, wenn der im Bundestag die feministische Außenpolitik lächerlich macht. Und ich glaube, dass das sehr vielen linken Männern, gerade auch älteren linken Männern, einfach aufstößt. Da sind die auch in ihrer Männlichkeit gekränkt.
Früher hatten wir eine Wechselbewegung: Auf feministische Erfolge folgte ein Backlash. Aktuell laufen die Bewegungen parallel auseinander.
Die Schere, die wir gerade sehen, die gibt es, weil wir im Internetzeitalter leben. Alle können jederzeit reagieren, Reichweiten erzeugen. Dieser ganze Backlash, der ganze Aufstieg der Autoritären in der Politik, im Netz und auch im häuslichen Bereich, das ist reaktionär. Aber Männlichkeit als Ideologie ist sichtbar geworden und kann als solche nicht wieder unsichtbar werden. Deshalb gibt es kein gesellschaftliches Zurück in die 60er-Hausfrauenehe.
Das heißt, in Zukunft gibt es sicherlich kein Patriarchat mehr?
Oder keine Demokratie mehr, sondern eine Diktatur, wo Frauen unterdrückt werden und wo das ganz öffentlich passiert. Aber Männlichkeit kann nie wieder die Norm sein, nach der sich alles richtet, weil sie als solche sichtbar gemacht wurde.
Kriegen wir die Männer dazu, mitzumachen?
Vielleicht müssen wir es gar nicht. Irgendwie nervt es mich auch, dass so oft gesagt wird: Wir müssen doch die Männer abholen. Und der arme, gekränkte Mann, wir müssen ihm doch Anreize liefern, damit er mitkommt.
Da behandelt man ihn dann auch ein bisschen wie ein Kind.
Ja, total! Vielleicht müssen die einfach selber mal auf die Idee kommen, da mitzumachen. Die haben ja auch Mütter, Schwestern, Kinder. Sollen die sich selber überlegen, wie gewalttätig sie sein wollen und wie sie sich für Frauen und andere Minderheiten einsetzen.
Da stehen wir nun wieder vor dem Problem, dass hauptsächlich Männer in den Machtpositionen sitzen, das zu ändern.
Das ist das Problem. Genau.
Zur Person
Susanne Kaiser, geboren 1980, ist Journalistin und Autorin. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit den Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen in muslimischen und in westlichen Gesellschaften. Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen (224 S., 22 €) ist bei Klett-Cotta erschienen
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