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Europa Die Sozialdemokratie steckt in der Krise. Jetzt haben die Genossen in Dänemark einen Wahlsieg errungen. Taugen sie als Blaupause für die SPD? Bedingt

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Die Sozialdemokratin Mette Frederiksen löst den Liberalen Lars Løkke Rasmussen an der Regierungsspitze ab
Die Sozialdemokratin Mette Frederiksen löst den Liberalen Lars Løkke Rasmussen an der Regierungsspitze ab

Foto: Rene Schutze/AFP/Getty Images

Lange galten EU-Wahlen als demokratischer Non-Event oder bestenfalls als Wählerentscheid zweiter Klasse – mitnichten! In einer Reihe von EU-Mitgliedsstaaten bleibt nach dem Votum vom vorletzten Sonntag kaum ein Stein auf dem anderen. Jüngstes Beispiel: der SPD-Absturz auf derzeit etwa 12% und folglich der Abgang der Parteichefin.

Man mag über Nahles‘ Linie und Führungsstil auch geteilter Meinung sein, so war doch rasch klar, dass das Wahldebakel nicht ohne Folgen bleiben konnte. Die große Koalition in Berlin will ihre Arbeit fortsetzen. Ob sie dies in dieser Situation bis 2021 kann, ist ungewiss. Vorgezogene Neuwahlen würden vor allem den Grünen nutzen. Ein Aussitzen bis zur regulären Bundestagswahl spielte der AfD in die Hände, die dann wohl eine reelle Chance auf Regierungsbeteiligung bekommen könnte. Der fliegende Wechsel zu Jamaika ist wenig aussichtsreich und für niemanden außer einigen in der CDU wirklich verlockend. Wenn aber Deutschland in Neuwahlen schlittert, wären bereits drei europäische Länder ohne handlungsfähige Regierung. Belgien und Österreich sind bekanntermaßen in dieser Lage, wobei ersteres angesichts einer nie dagewesenen Polarisierung seinen 541-tägigen Weltrekord der für eine Regierungsbildung notwendigen Verhandlungsperiode einstellen dürfte. Frankreichs Präsident Macron steht allein auf elysischer Flur gegen Marine Le Pen und die Gelbwesten. Ob er bis zum Ende seines Quinquennats im Amt bleiben kann, wird wohl auf der Straße entschieden werden. Europapolitisch durchsetzungsstark ist Macron allemal nicht. Italiens Rechtsregierung rettet sich einstweilen mit einer teuren und geradezu tolldreisten Budgetakrobatik, die sowohl in der EU-Kommission als auch der EZB Entsetzen auslöst und in allen Ratingagenturen die Alarmglocken schrillen lässt, über die Runden.

Diese Volatilität ist in ihrer Dringlichkeit doch einigermaßen besorgniserregend. Wer soll während eines solchen Interregnums Europa führen, wer die Bildung von Allianzen und die Besetzung der Schlüsselpositionen koordinieren? Driftet die EU fortan als richtungslose, sich selbst verwaltende Verwaltungsentität gleich einem politischen Geisterschiff unter Volldampf in einer zeitgeschichtlichen Zwischenwelt dahin? Oder ist dies die Stunde der Rechtspopulisten und (Möchtegern-)Autokraten, die endlich die heraufbeschworene Götterdämmerung ihrer Machtergreifung gekommen sehen? Wahrscheinlich ist eher eine variable Geometrie der Kräfte, in der Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne je nach Thema in wechselnder Konstellation das Ruder übernehmen und die transnationale Agenda setzen.

Das Fiasko der SPD ist indes kein Einzelschicksal in der Riege der europäischen Sozialdemokraten. Die einst stolze französische Parti Socialiste etwa landete in den Europawahlen bei verheerenden 6,5%, und in Italien hat sich der Stimmenanteil die Paritido Democratico im Vergleich zu den EU-Wahlen 2014 auf ca. 20% der Stimmen halbiert. In Österreich ist die Lage der SPÖ, wenngleich derzeit weniger dramatisch, jener der SPD nicht ganz unähnlich. Aufgerieben in Koalitionsregierungen, Sinnkrise, personeller Verschleiß und Verlust der Wählergunst. Wenn SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner vor den Wahlen zum österreichischen Nationalrat am 29. September die Trendwende schaffen will, dann muss sie sich die wenigen Erfolgsmodelle zum Vorbild nehmen – und die richtigen Schlüsse ziehen. Dasselbe gilt für die SPD. Beide sollten dazu über Deutschland hinausblicken, auf dessen nördlichen Nachbarn. Dänemark wählte am Mittwoch und stimmte für einen Machtwechsel. Die Sozialdemokratin Mette Frederiksen löst den Liberalen Lars Løkke Rasmussen (Venstre) an der Regierungsspitze ab. Die rechtsgerichtete Dänische Volkspartei (Danske Folkeparti) erleidet eine krachende Niederlage und fällt auf die Hälfte ihrer Mandate zurück.

Wie ist dies möglich? Die Antwort liegt in der Themensetzung: Zum einen konnten sich die Dänischen Sozialdemokraten – neben ihren Kernanliegen der sozialen Gerechtigkeit und Wohlfahrtsstaat, Steuererhöhung für Reiche – als Klimavorkämpfer positionieren und damit quer durch alle Bevölkerungsgruppen, vor allem aber bei den Jungen punkten. Zum anderen, so wird behauptet, hätten sie es im Unterschied zu ihren Parteikollegen in Deutschland und Österreich verstanden, Wähler von den Rechten zurückzuholen, indem sie tabulos über Zuwanderung diskutierten und ein tragfähiges Konzept dafür vorgelegt hätten, ohne gleich in Populismus und Radikalität zu kippen. Ein gelungenes dänisches Rezept – bekömmlich und gut verdaulich auch in Berlin und Wien?

Vorsicht ist angebracht, denn der Teufel steckt wie üblich im Detail. Das Resultat der dänischen SP war entgegen allen Prognosen das schlechteste seit Langem. Die klaren Gewinner im linkem Parteibündnis (Rød Blokk) sind Pia Olsen Dyhr von der Socialistisk Folkeparti und Morten Ødegaard von der Radikalen Venstre, die sich Frederiksens härterem Einwanderungskurs offen entgegenstellten. Wahlanalysen zeigen demgegenüber, dass es eine echte Klimawahl war – 40% der Wähler betrachten die Klimapolitik als Priorität. Auch die Dänischen Grünen konnten davon profitieren und ihren Stimmenanteil deutlich erhöhen. Und die rechte Folkeparti stürzte vor allem deshalb ab, weil sie diesen Trend völlig verkannt hat und Klimaschützer als hysterische „Idioten“ (#Klimatosser) verunglimpft hatte. Zuwanderungspolitik ist ein zweitrangiges Wahlmotiv, was auch daran ersichtlich ist, dass die islamfeindlichen Rechtsradikalen („Stram Kurs“) mit ihrer Anti-Immigrations-Linie komplett untergegangen sind.

Frederiksen ist also von Socialistisk Folkeparti und Radikale Venstre abhängig. Diese werden ihre Zuwanderungspolitik nicht mittragen. Ernsthafte Klimapolitik – und nicht Populismus – sind also gefragt in Kopenhagen. Und es ist davon auszugehen, dass sich dies auch bei den neuen Herren in der Christiansborg schon herumgesprochen hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas Henökl

Associate Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Agder, Norwegen.

Thomas Henökl

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