US-Geheimdienstpapiere veröffentlicht: Die dunklen Ecken der Plattform Discord
Leak Washington ist nervös, weil geheime Dokumente über den Ukraine-Krieg auf der Chatplattform Discord geteilt wurden. Die App hat eine bewegte Geschichte hinter sich – diese ist nur das neueste Kapitel
Auf Discord sind längst nicht mehr nur Gamer unterwegs
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Akten mit geheimen Informationen zum Ukraine-Krieg vermutet man an vielen Orten, jedoch nicht in einem Online-Forum, wo sich sonst Fans des Videospiels Minecraft austauschen. Anfang März wurden jedoch genau dort, in der Chat-App „Discord“, solche Dokumente geteilt, die unter anderem auch über den Frontverlauf in der Ukraine informieren. Rasch verbreiteten sich die Dateien im Netz. Was ist das für eine Plattform, die die US-Regierung jetzt ins Schwitzen bringt?
Was Discord genau ist, lässt sich schwer einfangen. Je nachdem, auf welchen Aspekt des Chatprogramms man sich konzentriert, bietet sich ein anderer Vergleich an. Es erlaubt Gruppen-Videoanrufe, wie bei Zoom oder Microsoft Teams. Man kann eigene Kanäle eröffnen wie bei Slack, in denen man aber
onzentriert, bietet sich ein anderer Vergleich an. Es erlaubt Gruppen-Videoanrufe, wie bei Zoom oder Microsoft Teams. Man kann eigene Kanäle eröffnen wie bei Slack, in denen man aber auch miteinander sprechen kann, wie bei Clubhouse. Die App hat keine zentrale Timeline zum Runterscrollen, wie bei Twitter, Facebook oder Instagram, stattdessen spaltet sich Discord, vergleichbar mit Reddit, in mehrere Millionen separate Sub-Seiten, welche „Server“ genannt werden.Von diesen Servern sind manche öffentlich, andere nur mit Einladung betretbar. Man kann sich mit Freund:innen verbinden und unter sich bleiben oder auf großen Servern mit fremden Menschen über Memes, Musik oder Videospiele diskutieren. Nutzer:innen identifizieren sich über selbst gewählte Spitznamen und können daher vollständig anonym bleiben. Nur grobe Verstöße gegen die Discord-Community-Richtlinien werden vom Unternehmen selbst geahndet. Das meiste regeln die Server unter sich oder durch Moderator:innen, die den Server entweder gegründet oder von den Nutzer:innen ausgewählt wurden. Am besten zu verstehen ist Discord als eine digitale Stadt, die in lose miteinander verbundene Nachbarschaften aufgeteilt ist – manche davon größer, manche kleiner. Manche davon harmlos und manche, die man lieber nicht betreten möchte.Angefangen hat Discord jedoch nicht als Chatprogramm, sondern als Spiel für Tablets. 2014 gründeten Jason Citron und Stanislav Vishnevskiy, zwei junge Entrepreneure aus der Spielebranche, die Firma Hammer & Chisel. Citron hatte zuvor das soziale Gaming-Netzwerk OpenFeint geführt und letztendlich für 104 Millionen Dollar verkauft – im Alter von nur 26 Jahren. Nun entwickelten er und Vishnevskiy ein eigenes Spiel: Fates Forever. Das Game floppte, doch Citron erkannte das Potenzial der darin eingebauten Chatfunktion. Er feuert kurzerhand sein Gamedesign-Team und macht den Chat-Teil zum einzigen Produkt der Firma.Zocken beim ersten DateCitron ist selbst ein großer Fan von Videospielen, der nach eigenen Angaben fast durch sein Studium gefallen wäre, weil er so viel Zeit mit World of Warcraft verbrachte und für das erste Date mit seiner zukünftigen Frau mit ihr Arcade-Spiele spielen ging. Er betont sehr den sozialen Aspekt des Computerspielens. In diesem Geiste wollte Discord wollte Gamer:innen eine einfache Möglichkeit bieten, während des Zockens miteinander zu sprechen und ein Ort sein, an dem sie sich zwischen Partien austauschen konnten. Der Durchbruch in den Mainstream kam Anfang 2020 mit der Corona-Pandemie. Ähnlich wie Zoom und andere digitale Dienste profitierte Discord enorm davon, dass alle Welt plötzlich online war. Das Unternehmen kündigte im Juni 2020 an, nicht mehr nur eine Plattform für Gamer:innen zu sein, sondern für alle Menschen, verkörpert vom neuenSlogan: „your place to talk.“Besonders populär wurde Discord bei jungen Menschen, die in den Zeiten von Lockdowns und Quarantäne auf der Seite oder in der App Hausaufgaben besprachen, sich einfach unterhielten oder (nach wie vor) miteinander Computerspiele spielten. Die Aufmerksamkeit der heranwachsenden Generation ist stets hart umkämpft, weswegen 2021 ein Gigant namens Microsoft anbot, Discord für beeindruckende 12 Milliarden Dollar zu kaufen. Ein Angebot, das Gründer und Geschäftsführer Citron letztendlich ablehnte. Ein mutiger Zug für ein gerade mal acht Jahre altes Unternehmen.Vor allem, da die Geschichte Discords sehr leicht eine andere hätte sein können. Nach der Gründung 2015 gewann die Plattform nicht nur bei Gamer:innen rasch an Popularität, sondern auch bei anderen, weniger friedlichen Gruppe: weißen Nationalisten, Neo-Nazis und anderen Mitgliedern der Neuen Rechten. Online-Gaming-Kultur hat seit Jahren nachgewiesene Überlappungen mit rechtsextremer Politik, die sich hier erneut zeigten. Angezogen von der Anonymität der Seite strömten Tausende auf Discord-Server der neuen Rechten – darunter einige, auf denen man die eigene weiße Hautfarbe nachweisen musste, um Zutritt zu erhalten.Am Ende starb eine FrauDie „Unite the Right“-Rallye, die 2017 in Charlottesville, USA, stattfand, wurde maßgeblich auf Discord organisiert. Hier protestierten rechte, rechtsextreme anti-islamische und antisemitische Gruppierungen gemeinsam und gewaltsam gegen einen Plan der Stadt, die eigene rassistische Geschichte aufzuarbeiten. Die Protestete endeten damit, dass ein Rechtsextremer mit voller Absicht mit seinem Auto in die Gegendemonstrant:innen rammte und dabei eine junge Frau tötete und 35 weitere Menschen verletzte.Zwei Tage später verkündete Discord, sie hätten mehrere prominente Server der neuen Rechten gesperrt. Man stünde für „Inklusivität. Nicht Hass. Nicht Gewalt.“ hieß es in einem Tweet.Seit 2019 gibt das Unternehmen auch Transparenzberichte heraus, in denen sie ihre Bemühungen in der Content-Moderation nachzeichnen, für die inzwischen 15 Prozent des Unternehmens verantwortlich sind. Allein für das zweite Halbjahr 2022 wurden knapp 340.000 Accounts und 33.000 Server gesperrt.Rechtsextreme Aktivität ist jedoch weiterhin ein Problem auf der Plattform, da viele der Server privat sind und Discord daher meist darauf angewiesen ist, dass problematische Inhalte von Server-Nutzer:innen selbst gemeldet werden. Auch in Deutschland koordinierte das bis Ende 2019 bestehende rechtsextreme Netzwerk „Reconquista Germanica“ die eigenen Online-Troll-Armeen über Discord. Die Landesregierung Brandenburg warnte vor einigen Jahren in einem Bericht davor, dass Neo-Nazis die Plattform als Rekrutierungsort verwenden.Doch wie der Erfolg während der Pandemie beweist, hat Discord es geschafft, sich davon nicht beeinträchtigen zu lassen. 2021 betitelte Zeit-Online die App als „Der heißeste Chatdienst seit WhatsApp.“ Junge Menschen nutzen die Plattform ständig. Viele Stars oder Streamer:innen haben eigene Discord-Server, wo sich ihre Fans austauschen können, immer in der Hoffnung, dass sich ihre Idole auch einmal einmischen – was gelegentlich auch passiert. Discord erweitert den eigenen Dienst immer mehr und hat zuletzt zum Beispiel eine Live-Video-Funktion eingeführt, um Seiten wie dem Live-Streaming-Portal Twitch Konkurrenz zu machen. Mit jeder dieser Erweiterungen fällt es schwerer, festzunageln, was Discord genau ist. Seit neuestem ist es nun wohl auch eine Plattform, auf der manchmal Geheimdokumente einfach in den Gruppenchat gepostet werden.