KI killt den Radio Star? Klarer Fall von Fauxtomatisierung

Künstliche Intelligenz Ob ChatGPT oder DALL-E: Künstliche Intelligenz ist plötzlich überall. Einige Fernsehsender lassen sie schon Nachrichten produzieren – und jetzt auch noch Radio? Titus Blome blickt hinter die Kulissen des KI-Radiosenders
Ausgabe 27/2023
Kann KI Radio?
Kann KI Radio?

Foto: Imago/Pond5

Wer Stimmen hörte, die nicht von Menschen stammten, hatte bislang allen Grund, sich Sorgen zu machen. Doch in diesem Sommer ändert sich das: Ein mit Künstlicher Intelligenz betriebener Radiosender geht live in Deutschland. Skript, Playlist, und eben auch die Stimmen der Moderator:innen – alles wird von einer KI erzeugt. „Die Automatisierung macht vor nichts Halt!“, fürchten sich jetzt manche. Aber nein, der neue Sender ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass KI Arbeiter:innen unsichtbar macht, statt sie zu ersetzen.

Dem Projekt der Sendergruppe Audiotainment Südwest (unter anderem bigFM, Radio Regenbogen) liegt GPT-4 zugrunde, die nächste Generation der KI, die der inzwischen weithin bekannte Chatbot ChatGPT verwendet. Das Problem: Die Technologie hat klare Grenzen. Sie ist in keinem eigentlichen Sinn intelligent, sie ist ein statistisches Datenverarbeitungssystem. Sie errechnet, welches Wort in einem gegebenen Kontext am wahrscheinlichsten auf ein anderes folgt. So gesehen tut sie das Gleiche wie die Autokorrektur in unseren Handys – nur auf so hohem Niveau, dass sie fast menschlich wirkt. Aber eben nur wirkt.

Denn genau wie Autokorrektur versteht auch GPT nicht, was die Worte bedeuten, die es da aneinanderreiht. Es hat kein Konzept von Wahrheit und Lüge und erfindet regelmäßig Fakten, die irgendwie richtig klingen, es aber absolut nicht sind. Nicht die beste Voraussetzung für eine Live-Sendung. Audiotainment Südwest weiß das.

Man wolle „die KI zu jeder Minute live überwachen“, sagt die Gruppe dem Verbrauchermagazin Imtest. Alles muss von Menschen gecheckt werden. Derzeit überprüfen sieben Mitarbeitende die Arbeit der KI.

Der KI-Sender ist ein charmantes Beispiel für „Fauxtomatisierung“ (von Französisch „faux“ für „gefälscht“). Der Radiosender wird „von einer Künstlichen Intelligenz betrieben“? Im Hintergrund überprüfen Menschen jede Bewegung der KI. Das Amazon-Warenhaus ist von Robotern bevölkert? Menschen räumen die Produkte ein und warten die Geräte. Selbst ChatGPT ist nicht reine Maschine, sondern beschäftigt menschliche Moderator:innen in Kenia, die für zwei Euro die Stunde der KI abtrainieren, rassistische oder sexistische Inhalte zu produzieren. Menschen vorne und hinten.

Wir können uns also von der Vorstellung verabschieden, Automatisierung vernichte unausweichlich Jobs. Vielmehr verändert sie die Arbeit und erhöht oft die Anforderungen an menschliche Aufsicht und Intervention. Auch das kann zum Problem werden: Maschinen müssen nicht schlafen und können so das menschliche Pensum sogar steigern. Wer aber von „Vollautomatisierung“ spricht, will entweder etwas verkaufen oder menschliche Arbeit entwerten. Die Roboterübernahme, die menschliche Arbeit obsolet macht, ist oft nur eine Schreckensvision, mit der Arbeitgeber:innen ihren Angestellten drohen: „Werd nicht frech, sonst ersetzt dich die Maschine.“

Festzuhalten bleibt: Der KI-Sender ist gar keiner. Es ist ein menschlicher Sender, der KI nutzt. Will er dauerhaft Qualität garantieren, wird sich das nicht ändern. Das ist ein Muster, das sich bei angeblicher Automatisierung immer wieder wiederholt: Die Maschine wird nach vorne gerückt, doch dahinter steht immer der Mensch.

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