Vor Wochen wurde Frans Timmermans von der Zeitschrift EW interviewt, die zu den Medien des bürgerlich-rechten Spektrums in den Niederlanden zählt. Dort hegt man für den bisherigen Vizepräsidenten der EU-Kommission alles andere als Sympathien. Wie kein zweiter Politiker des Landes verkörpert er die bedingungslose Hinwendung zum vereinten Europa. Doch ist Timmermans als Galionsfigur eines vermeintlichen „Brüsseler Superstaates“ manchem Marktradikalen auch deshalb suspekt, weil er als „Mister Green Deal“ für Umweltauflagen steht, die unter niederländischen Konservativen als hysterisch empfunden und als Bevormundung der Bürger verworfen werden.
In jenem Interview ging es freilich mehr um Geopolitik, ein Spezialgebiet des heute
ialgebiet des heute 62-Jährigen, der bis 2014 in Den Haag das Außenministerium führte und in dieser Funktion an seiner Expertise keinen Zweifel ließ. Gegen Ende des Gesprächs bekannte Timmermans, dessen sozialdemokratischer Großvater noch in den Limburger Minen arbeitete, dass er unbeirrt an den Fortschritt glaube. „Das Einzige, was wir uns nicht leisten können, ist Verzweiflung. Verzweiflung führt zu Lähmung, und damit schafft man nichts.“Dass Timmermans etwas schaffen will, ist unstrittig. Als Kommissar für die grüne Transition der EU sorgte er in den vergangenen Jahren für einen ehrgeizigen europäischen Klimaplan. Er wurde zu dessen Gesicht und war der Sündenbock, an dem sich die Konservativen im EU-Parlament abarbeiten konnten. Nach der Sommerpause steht Timmermans dafür nicht mehr zur Verfügung. Ende Juli gab er bekannt, nach Den Haag zurückkehren zu wollen, um dort Regierungschef zu werden und ab sofort Spitzenkandidat der Arbeitspartei (PvdA) wie der Grünen (GroenLinks) zu sein. Schließlich will die Mitte-links-Opposition mit einer gemeinsamen Liste bei den auf November vorgezogenen Parlamentswahlen antreten. Um Chancen auf den Wahlsieg zu haben, bedarf es des Anstoßes von außen. Timmermans, ein notorischer Macher, eignet sich wie kein anderer als Frontmann eines solchen Projekts. Bei den Europawahlen 2019 verhalf er als Spitzenkandidat der seinerzeit heftig kriselnden PvdA zu unerwarteten 19 Prozent und Platz eins. Sollte er tatsächlich Premier werden, wäre das die Krönung einer bemerkenswerten Laufbahn und für ihn eine nachträgliche Entschädigung dafür, dass er vor vier Jahren nicht Präsident der EU-Kommission wurde, was er selbstbewusst angestrebt hatte, was aber an Ursula von der Leyen scheiterte. Frans Timmermans löst Euphorie und Misstrauen ausGeboren in Maastricht, der Stadt des EU-Vertrags von 1992, wuchs er in bescheidenen Verhältnissen im Bergbaugebiet Limburg auf, kam jedoch früh in Kontakt mit dem diplomatischen Parkett. Sein Vater arbeitete als Botschaftsangestellter in den Vertretungen der Niederlande in Brüssel und Rom. Bald beherrschte Timmermans sieben Sprachen und musste erfahren, dass die Rangfolge im diplomatischen Dienst viel mit der Herkunft zu tun haben konnte. Inmitten des Epochenbruchs und der daraus folgenden Turbulenzen in Osteuropa landete er in den 1990er Jahren an der niederländischen Botschaft in Moskau, stieg danach zum Europa-Staatssekretär auf und wurde 2012 zum Außenminister berufen.In seiner Person vereint er ein volkstümliches Charisma – Timmermans ist begeisterter Anhänger eines Limburger Fußballclubs aus der Zweiten Liga – mit der Getriebenheit eines Politikers, dem „ein enormer Geltungsdrang“ nicht fremd ist, wie er selbst einräumt. In der Öffentlichkeit wird ihm zuweilen als Eitelkeit ausgelegt, was sein Sendungsbewusstsein ausmacht. Er könne sich damit abfinden, meinte er 2016 in dem Porträtfilm The European, solange sich derartige Urteile nicht auf Äußeres, sondern auf seine Ambitionen bezögen. In der Überzeugung, seine programmatischen Botschaften erreichten die Wähler, strebt er nun das Amt des Regierungschefs in Den Haag an, um eine Ära der Mitte-rechts-Regierungen zu beenden. In den Reaktionen auf seine Kandidatur begegnen sich Euphorie und Misstrauen. Teile des sozialdemokratischen wie linksgrünen Milieus beseelt Zuversicht, zumal Timmermans’ politische Vita eine Brücke zwischen diesen Partnern schlägt. „Die Klimakrise, ein Krieg in Europa, viel Ungleichheit in der Gesellschaft“ – das nannte er beim öffentlich-rechtlichen TV-Sender NOS „gigantische Herausforderungen“ und erweckte den Eindruck, dem gewachsen zu sein. Seine Kandidatur macht Timmermans in jenem Teil der niederländischen Bevölkerung suspekt, der Klimapolitik ebenso überbewertet findet wie eine Europäische Union, die Nationalstaaten zum Verzicht auf Souveränität nötigt. Dass da ein Sozialdemokrat der forschen Sprüche auftrumpfen und die Grünen in Regierungsverantwortung hieven will, geht vielen gehörig gegen den Strich. Zumindest im kommenden Wahlkampf werden sie sich daran gewöhnen müssen, dass Timmermans einer der maßgeblichen Akteure sein wird. Auf ihn warten fraglos einige populistische Shitstorms, aber das war er bisher als EU-Kommissar für Klimaschutz durchaus gewohnt.