Steht die Pride Parade in Amsterdam für „Regenbogenkapitalismus“?
Niederlande Hollands Hauptstadt war Schauplatz der ersten gleichgeschlechtlichen Hochzeiten 2001, die Pride Parade hat große Tradition. Nun stören sich Klimaschützer an Konzernen und deren Logos – vor allem aber überschattet Queerfeindlichkeit das Fest
Es ist ein rauschendes Fest im Regen, das sich vergangenen Samstag auf den Amsterdamer Grachten abspielt: 80 Boote waren zum Abschluss und Höhepunkt der hiesigen Pride-Veranstaltung an der Canal Parade beteiligt, darunter Stadtverwaltung, niederländische Regierung, Amnesty International, UNHCR, Polizei, Feuerwehr, Gesundheitsamt sowie lokale Universitäten. „Phantastisch“, jubelt die organisierende Stiftung Pride Amsterdam. Entlang der Route wird von morgens bis abends gefeiert.
Konzerne zahlen viel, um bei der Pride dabei zu sein
„#You are included“ lautet das diesjährige Motto. Das Programm, das bereits Ende Juli begonnen hatte, umfasst Kunst aus der Schwarzen Queer Community, sexuelle Diversität in der Natur, eine ganztägige „Dyke
elle Diversität in der Natur, eine ganztägige „Dykes-on-Bikes“-Fahrrad- und Motorradtour, Drag-Bingo für Über-50-Jährige, einen Regenbogengottesdienst, Beschäftigung mit homosexuellem Widerstand im Zweiten Weltkrieg und einige spezielle Asian-Pride-Termine. Eine enorme Vielfalt – vor allem, wenn man bedenkt, dass die Parade am Anfang, 1996, rein hedonistischen Charakter hatte. Davon ist die aktuelle Pride nicht nur weit entfernt. Vielmehr liegt sie mitten in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld, bei dem der Aspekt der Kommerzialisierung noch der kleinste ist. Tatsächlich springt einem auf der Internetseite nicht nur umgehend das Logo der Stadt, für die der erste Samstag im August „City-Marketing“ erster Güte ist, ins Auge, sondern auch das der Online-Reiseagentur booking.com, bei der Parade ebenso mit eigenem Boot vertreten wie Delta Airlines, Foot Locker und Durex.Unternehmen müssen dafür nicht allein eine aktive Diversitätspolitik nachweisen, sondern auch Startgeld zahlen. Mindestens 45.000 Euro sind es bei multinationalen Konzernen, was wiederum die Teilnahme kleiner Stiftungen subventioniert. „Die Kanal-Parade ist sehr kapitalistisch geworden“, begründete ein Extinction-Rebellion-Mitglied eine Aktion, die Boote von Rabobank und Mastercard mit Spanntüchern an Brücken zu begrüßen. Dass große Betriebe sich mit Diversität beschäftigen, während sie klimaschädliche Investitionen tätigten, lehnte der Mann als „Regenbogenkapitalismus“ ab.Zwei PridesWer die Linie solcher ideologischer Unterschiede weiterverfolgt, landet schnell bei der Tatsache, dass das vielfältige Programm der vergangenen Wochen erstmals eigentlich aus zwei Teilen bestand, für die neben besagter Stiftung Pride Amsterdam das aktivistisch orientierte Bündnis Queer Amsterdam zuständig ist. Es sah sich in der Stiftung nicht mehr ausreichend repräsentiert. Ihm ist die Bootsparade zu kommerziell und die gesamte Veranstaltung zu wenig inklusiv.„Mit einem Fest beschützen wir unsere Rechte nicht“, zitiert das TV-Magazin Een Vandaag den Theatermacher Lou Mertens während der Pride-Walk-Demonstration Ende Juli. Gleichwertigkeit, Chancengleichheit, die sozial-ökonomische Situation „aller Menschen, die sich als LGBTQIAP+“ bezeichnen, sind als Prinzipien auf der Webseite Queer Amsterdam festgeschrieben. Auch Intersektionalität und „Anti-Diskriminierung in allen Bereichen“ werden genannt. Queer Amsterdam will „mehrere emanzipatorische Bewegungen aneinanderkoppeln“, mit besonderem Augenmerk auf Dekolonisierung.Was Bildungsminister Robbert Dijkgraaf sagtIm Laufe der Jahre entstand für Teile der hier genannten Kämpfe und Anliegen durchaus auch bei der „großen“ Pride Amsterdam mehr Bewusstsein. So gab es in der Vergangenheit ein marokkanisches und ein jüdisches Boot. 2023 fuhren erstmals Queers mit kognitiver Behinderung mit; dazu nahmen ein Boot Jugendlicher und zwei surinamische Boote an der Parade teil; eines von ihnen erinnerte an die Abschaffung der Sklaverei vor 150 Jahren.Dafür, dass auch der Mainstream heute deutlich politischer daherkommt als noch vor zehn oder 15 Jahren, gibt es eine so einfache wie beklemmende Erklärung: Weltweit hat der Druck auf die Rechte von LGBTQ-Personen drastisch zugenommen. Kurz vor der Bootsparade auf den Grachten verlas Robbert Dijkgraaf, Bildungsminister in Den Haag, den Wetterbericht: „Der Wind weht aus der falschen Richtung.“ Gender-Rechte, so der liberale Politiker, seien zur „Munition in einem politischen Streit“ geworden.An diese Entwicklung referierte auch die Botschaft, die COC Nederland, die älteste noch aktive queere Organisation der Welt, mit Spanntüchern entlang der Route der Parade verbreitete: „Stopp die Stagnation von LGBTI+-Emanzipation“. Auf ihrer Internetseite findet sich eine Rangliste europäischer Länder zum Thema Menschenrechte für Queer-Personen, auf der die Niederlande nur noch den 14. Rang belegen, ein Platz übrigens vor Deutschland. „Der Ton wird härter, vor allem in sozialen Medien“, so die COC-Nederland-Vorsitzende Astrid Oosenbrug, „leider führen Worte des Hasses auch immer öfter zu Taten des Hasses“.Todesdrohung gegen Miss NederlandTatsächlich fallen gerade die Niederlande und ihre vermeintliche Gay Capital Amsterdam – weltweit bekannt als Schauplatz der ersten gleichgeschlechtlichen Hochzeiten 2001 – in letzter Zeit mit einigen bedenklichen Vorfällen und Entwicklungen auf. So erhielt Rikkie Kollé, die im Juli dieses Jahres als erste Transgender-Frau zur Miss Nederland gekürt wurde, kurz darauf Morddrohungen. Wenige Tage später wurde in Amsterdam die bekannte Drag Queen Miss Envy Peru in einem Bus von vier jungen Männern mit einer Waffe bedroht. Im April belagerten Eindhovener Hooligans ein queeres Jugendtreffen in einem COC-Büro.Welches Ausmaß der Hass selbst in einem Land angenommen hat, das gemeinhin als Vorbild einer progressiven, liberalen Gesellschaft gilt, musste zuletzt ein anderer Minister erfahren: Rob Jetten, ein liberaler Parteikollege von Bildungsminister Dijkgraaf. Sein Ressort – Klima und Energie – prädestiniert ihn in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Stimmung zweifellos als Shitstorm-Zielscheibe. Das, was Jetten neulich in einer Video-Botschaft präsentierte, zielt jedoch rein auf seine sexuelle Orientierung.Eine Umkleide für Drag Queens am Bahnhof„Stinkhomo“ ist fast noch eine der harmlosen Formulierungen, die den Minister über digitale Medien erreichen. „Man müsste Rob Jettens Privat-Adresse bekanntgeben“, regt jemand an. „Schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: einen ungläubige Hund und einen Homo zugleich.“ Ein weiterer Vorschlag: einer von Jettens Freunde solle „einen Schwanz in seinen Mund stecken, dann kann kein Unsinn herauskommen“. Schließlich droht ein User, wenn es nach „dem durchschnittlichen Muslim“ ginge, flöge Jetten als erster mit dem Kopf voran von einem Wohnblock. Bei der Amsterdamer Bootsparade am Wochenende rücken solcherlei Exzesse vorübergehend in den Hintergrund. Der Enthusiasmus auch zahlreicher ziemlich heterosexueller Anwohner zeugt davon, dass die Pride wesentlich mehr ist als Stadtmarketing, sondern Ausdruck eines lokalen Selbstverständnisses, das unter Freiheit auch sexuelle Selbstbestimmung versteht.Am Ende bleibt eine Ambivalenz, für die eine speziell eingerichtete Garderobe im Amsterdamer Hauptbahnhof symptomatisch war. Eingerichtet wurde sie in einer gemeinsamen Anstrengung dort ansässiger Geschäfte, um Drag Queens einen Raum zum Umkleiden zu bieten. Allgemeiner Tenor, von Zugpersonal bestätigt: Das war nicht nur eine Aufmerksamkeit, sondern nötig, da eine Zugfahrt „in Drag“ nicht sicher wäre.