White Trash talks

Rassismus Alexi Zentner erzählt von weißem Hass und dem Klassenproblem dahinter
Ausgabe 27/2020
Lässt sich menschenfeindliche Ideologie zu etwas menschlich Begreifbarem machen?
Lässt sich menschenfeindliche Ideologie zu etwas menschlich Begreifbarem machen?

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Wem gehört das Land? Diese Frage, steht zu befürchten, wird den US-Wahlkampf 2020 prägen. Den kosmopolitischen Küsten- und Großstadtbewohnern und den von ihnen protegierten bunten Minderheiten? Oder den Einwohnern des „heartland“, die im Niedergang des industriellen Amerika zu White Trash degradiert wurden und sich nun ihr Land zurückerobern wollen?

Der kanadisch-amerikanische Autor Alexi Zentner verarbeitet in Eine Farbe zwischen Liebe und Hass ein Erlebnis in den frühen 1990ern: Neonazis steckten das Haus seiner Eltern, zweier bekannter Aktivisten gegen Rassismus und Antisemitismus, in Brand. Doch Zentner erzählt seine Geschichte nicht aus der Perspektive des „politisch korrekten“ Opfers, sondern aus der der Täter. Vor dem Hintergrund der heutigen Grabenkämpfe ist das revolutionär. Jessup ist – wie Zentner zur Zeit des Anschlags – 17, im letzten Jahr auf der Highschool und lebt in einem Wohnwagen im Hinterland einer Universitätsstadt im Staat New York. Seine Familie ist Teil einer White-Nationalist-Gemeinde. Vier Jahre zuvor hat Jessups älterer Bruder Ricky zwei schwarze Studenten getötet, die ihn wegen seiner Hakenkreuztattoos angegriffen hatten. Trotz der auf Video dokumentierten Notwehr bekam Ricky 20 Jahre und Rickys und Jessups Stiefvater David John fünf Jahre. Der war an der Tat nicht beteiligt, hat aber die gleichen Tattoos wie Ricky.

Zu Beginn des Romans wird David vorzeitig entlassen. Es ist der Tag, an dem Jessup seine Football-Mannschaft zum ersten Mal seit 40 Jahren in die Play-offs führt. Sein Talent wird ihn wahrscheinlich an eine Elite-Uni bringen – obwohl er ein White-Trash-Junge ist, der nebenher Geld dazuverdienen und sich um seine kleine Schwester kümmern muss.

Zwischen Jessup und seinem Traum steht nur die Sippenhaft. Tattoos trägt er keine, und seit vier Jahren hat er keinen Fuß mehr in die „Heilige Kirche des Weißen Amerika“ gesetzt. Er ist der beste Spieler im Team, doch hat ihn der schwarze Coach nicht zum Kapitän gemacht. Und weil er im Spiel den reichen Schwarzen Corson umgehauen hat, zertritt der ihm das Auto-Rücklicht und versucht ihn zu rassistischen Beleidigungen zu provozieren. Da wundert es kaum, dass sich Jessup, nachdem er Corson bei einem Autounfall versehentlich getötet hat, nicht der Polizei stellt. Indem er exemplarisch weißen Rassismus rationalisiert, entlarvt Zentners Roman strukturellen Klassismus. Das ist gewagt, sprechen die Zahlen doch eine deutliche Sprache: In den USA sind, gemessen am Bevölkerungsanteil, etwa fünfmal mehr Schwarze in Haft als Weiße. Doch Zentners Kunstgriff gelingt etwas Unerhörtes: Er macht eine menschenfeindliche Ideologie zu etwas menschlich Begreifbarem.

Melodramatisch, aber okay

Der stille Held des Romans ist Stiefvater David, ein Klempner, der Jessups und Rickys Mutter aus dem Suff gerettet, die Jungs wie seine eigenen Söhne erzogen und sich nach Feierabend Highschool-Mathematik beigebracht hat, um den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Er zögert nicht, zum Schutz seiner Familie Schuld auf sich zu laden, bleibt aber stets bereit, eigene Fehler anzuerkennen und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Bei solch einem Vorbild kann man sich denken, worauf es bei Jessup hinauslaufen wird. Doch erst wird er wider Willen in den Versuch der weißen Kirchenmiliz hineingezogen, seinen Unfall zum Anlass für den „Heiligen Rassenkrieg“ zu nehmen. Die Ereignisse von Charlottesville 2017 standen hier Pate. Das alles funktioniert – trotz einiger Konstruiertheit – aber nicht nur als Diskurs- und Thesenroman, weil Zentner sich so sicher zwischen den Frontlinien bewegt und weil er die ideologischen Konflikte gekonnt in eine berührende Charakterentwicklung hineinarbeitet. Dass dabei irgendwann das Melodramatische überhandnimmt, kann man Zentner auch deshalb verzeihen, weil es einen beim besten Willen nicht kaltlässt.

So erscheint Zentners Buch zum rechten Zeitpunkt, als Plädoyer für mehr Toleranz, was eben nicht Akzeptanz bedeutet. Sogar weißen Suprematisten gegenüber – solange der Bürgerkrieg noch Fantasie bleibt.

Info

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass Alexi Zentner Werner Löcher-Lawrence (Übers.), Suhrkamp 2020, 376 S., 18 €

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Geschrieben von

Tom Wohlfarth

Politische Theorie und Kultur

Tom Wohlfarth

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