Es geht um sehr viel mehr

Sterbehilfe Ein Gutachten wirft Fragen auf, die über den staatlich geförderten Suizid hinaus gehen
Ausgabe 04/2018
Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio kam zu dem Ergebnis, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht haltbar ist
Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio kam zu dem Ergebnis, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht haltbar ist

Foto: Jürgen Heinrich/Imago

Darf der Staat einem lebensmüden Menschen den Giftbecher reichen? Mehr noch, ist er sogar verpflichtet, ihm die Mittel dafür zu beschaffen, seinem Leben ein Ende zu setzen? Ja, urteilte das Bundesverwaltungsgericht 2017 in einem Aufsehen erregenden Urteil, das juristische Kreise kritisch bis ablehnend beurteilen. Die Richter wiesen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an, „in Ausnahmefällen“ das tödliche Gift bereitzustellen, und rekurrierten dabei auf das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen. Seither liegen 83 entsprechende Anträge von Sterbewilligen bei der Behörde.

Doch statt deren Wunsch nachzukommen, das todbringende Barbiturat zur Verfügung zu stellen, gab das BfArM bei dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo Di Fabio ein Gutachten in Auftrag. Er sollte prüfen, ob die „Erwerbserlaubnis letal wirkender Mittel zur Selbsttötung in existenziellen Notlagen“ verfassungskonform und vereinbar ist mit dem 2015 novellierten Paragrafen 217 StGB, der derzeit beim Verfassungsgericht anhängig ist.

Di Fabio kommt zu dem Ergebnis, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht haltbar ist. Die Rechtslage sei eindeutig: Dem Staat sei die Abgabe von Betäubungsmitteln nur erlaubt, wenn sie therapeutischen Zwecken diene. Das von den Klägern vorgebrachte und von den Verwaltungsrichtern bestätigte Selbstbestimmungsrecht sei nicht absolut, sondern immer in sozialen Kontexten zu beurteilen. Das bedeutet, und das führt Di Fabio auch aus, dass immer Umfeld und Folgen zu berücksichtigen sind, die mit der Durchsetzung einhergehen.

Di Fabio denkt dabei etwa an die Frage, welche Auswirkungen der staatliche geförderte Suizid in einer „durchrationalisierten säkularen Gesellschaft“ zeitigen könnte, auch für das medizinische Personal. Diese kontextuelle Einbettung des Selbstbestimmungsrechts hat, über den engen Bereich der Sterbehilfe hinaus, aber noch eine sehr viel weiter gehende Bedeutung, etwa wenn es um die Beurteilung eines in der Schwangerenvorsorge einzuführenden Bluttests geht, der in der Konsequenz behindertenfeindlich ist. An dem Gutachten des Ex-Verfassungsrichters Di Fabio wird jedenfalls auch das Bundesverfassungsgericht bei der Behandlung von Paragraf 217 nicht vorbeikommen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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