Im Windschatten der Krise

Patientendaten Weitgehend unbeachtet hat Jens Spahn seine umstrittene Digitalisierung des Gesundheitssystems weiter vorangetrieben
Ausgabe 15/2020
Die Krise schützt Spahn vor zu viel Aufmerksamkeit für sein Lieblingsprojekt
Die Krise schützt Spahn vor zu viel Aufmerksamkeit für sein Lieblingsprojekt

Foto: Martin Schutt/Pool/AFP/Getty Images

Die Drohkulisse hatte Jens Spahn schon vergangenen Sommer aufgebaut: Wer sich weiter gegen die elektronische Patientenakte sperre, würde den Gesundheitsminister kennenlernen: „Wir nehmen den Widerstand der Ärzte nicht einfach hin.“ Die Digitalisierung des Gesundheitssystems ist das Lieblingsprojekt Spahns. Mit dem Termin- und Versorgungsgesetz, welches uns unter anderem die von der Kasse bezahlte Gesundheits-App bescherte, brachte er sie im Januar in Fahrt. Die Patientenakte musste damals allerdings ausgegliedert werden: Das Justizministerium und der Datenschutzbeauftragte hatten Bedenken, nachdem im vorigen September Leaks von Gesundheitsdaten öffentlich geworden waren.

Mitten in der Corona-Krise und weitgehend unbeachtet hat Spahn nun das sogenannte Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) durchs Kabinett gebracht. Die Digitalakte soll schon 2021 starten und Ärzte und Krankenhäuser verpflichten, sie zu befüllen. 2022 sollen auch Impf- und Mutterpass und das Zahnbonusheft gespeichert werden.

Vorerst ist die Nutzung der Akten für Patienten noch freiwillig. Doch den Ärzten winken von der Krankenkasse finanzierte Ausgleichszahlungen für das Anlegen der Akte und die Beratung, für manchen vielleicht ein willkommenes Zubrot. Außerdem funktioniert die e-Akte vorerst nach dem Prinzip „Alles oder nichts“, das heißt Patienten können nicht auswählen, welcher Arzt welche Informationen erhält, ein datenschutzrechtliches Unding. Von 2023 an haben Patienten dann auch die Möglichkeit zur „Datenspende“ und können ihre Gesundheitsdaten der medizinischen Forschung zur Verfügung stellen.

Digitalisierung im Gesundheitswesen als Wirtschaftsförderung, kritisiert der Linken-Abgeordnete Achim Kessler. Doch das greift zu kurz, es geht vor allem um Wirtschaftsförderung durch Big Data. Denn Gesundheitsdaten sind das Gold der Zukunft, wie der Deutsche Ethikrat vor zwei Jahren in einer Stellungnahme belegt hat. Offen profitorientiert oder versteckt hinter altruistischen Forschungszielen stehen schon viele Player als moderne Goldschürfer bereit. Statt Corona zum Anlass zu nehmen, das Gesundheitssystem umzubauen, geraten nun auch die sensiblen Gesundheitsdaten in den Warenverkehr.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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