Die Beteiligung an Selbsttötungen gehöre nicht zu den ärztlichen Aufgaben, stellte der neue Chef der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt nach dem gestrigen Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in Leipzig klar. Er habe die Pflicht, Leiden zu lindern und Sterbende zu begleiten. „Fatal“ wäre es, wenn das Urteil in der Bevölkerung die Erwartung auf ärztlichen Beistand zum Suizid wecke, so Reinhardt, der einmal als Hausarzt tätig war. Ähnlich äußerte sich auch Rudolf Henke vom Marburger Bund und der Hamburger Ärztepräsident Pedram Emami, der das Urteil „enttäuscht“ zur Kenntnis nahm. Einer der beiden verhandelten Fälle stammte aus dem Stadtstaat.
Solche Einmütigkeit seitens der Ärzteschaft ist selten und ein Beleg dafür, dass es sich bei der juristischen Auffassung von Sterbehilfe tatsächlich eine Kehrtwende andeutet. Beurteilt wurde die Frage, ob die beiden Ärzte in Hamburg und Berlin, die kranke Menschen beim Sterben begleitet hatten, lebensrettende Maßnahmen hätten einleiten müssen, nachdem diese eine todbringende Medikamentendosis eingenommen hatten und komatös geworden waren. Im Hamburger Fall hatten sich die beiden 81- und 85-jährigen Frauen an einen Sterbehilfeverein gewandt. In Berlin ging es um eine 44-jährige Patientin, der der Arzt starke Schlaftabletten verschrieben und sie nach Einnahme einer tödlichen Dosis hatte sterben lassen. Alle drei Patientinnen litten nicht unter lebensbedrohlichen Krankheiten.
Das Gericht bestätige nun den Freispruch der beiden Vorinstanzen. Es argumentierte mit dem Selbstbestimmungsrecht der sterbewilligen Frauen, die zu retten die Ärzte nicht verpflichtet gewesen seien. Die Patientinnen seien in der Lage gewesen, frei zu entscheiden und ihr Entschluss basiere auf einer länger entwickelten „bilanzierenden Lebensmüdigkeit.“ In beiden Fällen war der 2015 veränderte §217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt, allerdings noch nicht anwendbar.
Was aber bedeutet dieses Urteil für die künftige Praxis der Sterbehilfe? Werden Ärzte, wie Reinhardt befürchtet, künftig genötigt, lebensmüden Patienten beim Sterben zuzusehen, ohne eingreifen zu dürfen? Können wir uns demnächst die vergleichsweise teure Palliativbegleitung sparen, wenn Patienten einmal ihrem Sterbewillen Ausdruck verliehen haben? Wer eigentlich beurteilt, ob es sich dabei nur um einen momentanen, aus einer fragilen Situation entstandenen Wunsch handelt? Pedram Emami jedenfalls ist überzeugt, dass dies die Kompetenz eines einzelnen Arztes übersteigt. Und nicht jeder Akt der Selbstbestimmung ist gesellschaftlich wünschbar – und in diesem Fall unumkehrbar.
Immerhin gibt das Urteil denjenigen Aufwind, die durchaus „geschäftsmäßig“ in Sachen Sterbehilfe unterwegs sind wie vom Hamburger Richter Roger Kusch gegründeten Verein Sterbehilfe Deutschland. Dieser bezeichnete das Urteil„epochal“. Wie es mit dem hippokratischen Eid und den ärztlichen Berufsordnungen zu vereinbaren ist, steht auf einem anderen Blatt. Noch in diesem Jahr wird ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Sterbehilfe erwartet. Es könnte die künftige Gesetzgebung beeinflussen.
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