Lauterbachs Krankenhausreform: OP-Termin schon wieder verschoben
Krank Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will erreichen, dass sich in Zukunft sehr viel weniger Menschen im Krankenhaus behandeln lassen. Doch für seine Großreform läuft dem SPD-Minister die Zeit davon
Na, gut genug qualifiziert, um weitermachen zu dürfen? Herzchirurgin in Hamburg
Foto: Patricia Kühfuss/Laif
Immer wenn in der Politik der Begriff „alternativlos“ fällt, ist Hellhörigkeit angesagt. Die von Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) zu fragwürdiger Prominenz gebrachte Formel, etwas sei alternativlos, reizt zu Misstrauen. Dennoch scheute sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht, Mitte April auf einer Pressekonferenz seine Krankenhausreform mit ebendiesen Worten zu beschwören, nachdem er sie eine Woche zuvor noch „auf die Zielgerade“ eingeschwenkt sah: „Es klärt sich immer mehr“, behauptete er und kündigte an, das Mammutwerk gehe am 24. April ins Kabinett. Als das absehbar nicht klappte, peilte er den 8. Mai an.
Kerstin von der Deckens Kritik aus Kiel
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Termin ist gerissen. Das deutete sich schon an, als im April die derzeitige Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Kerstin von der Decken (CDU) aus Schleswig-Holstein, mit nicht zu überhörender Schärfe die Einwände der Länder reklamierte. Sie forderte von Lauterbach die immer noch ausstehende Auswirkungsanalyse, die es den Ländern erlaubt, die finanziellen Folgen der Reform abzusehen. Vom Bund wünschte sich die Ministerin „mehr Beweglichkeit“ in Bezug auf Planung und weitergehende Kompetenzen der Länder bei der sektorenübergreifenden Versorgung. Statt der sonst bei solchen Terminen auftretenden Ländervertreter scharte Lauterbach jetzt lieber Unterstützer:innen aus der Ampelkoalition um sich, die die „dramatische Situation der Krankenhäuser“ zum Anlass nahmen, die Alternativlosigkeit des Unternehmens zu bekräftigen.Der von Lauterbach vorgelegte Referentenentwurf, urteilen die Länderminister nun auch in ihrer einmütigen Stellungnahme, sei „ungenügend“. Die Liste der „Korrekturanforderungen“ ist lang. Weder sei die „Ausgestaltung der gewünschten Vergütungssystematik“ noch seien deren Auswirkungen klar, zudem berücksichtige der Entwurf die Finanzierung bedarfsnotwendiger kleiner Häuser nicht ausreichend. Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) moniert „erkennbare Fehlanreize und Fehlallokationen“. Ihr nordrhein-westfälischer Kollege, Karl-Josef Laumann (CDU), im eigenen Land ein Vorreiter in Sachen Krankenhausschließungen, geht sogar so weit zu behaupten, die bisherigen Vorschläge des Bundesgesundheitsministeriums gefährdeten „die Krankenhäuser und damit die Daseinsvorsorge“. Die Länderfürsten wollen bei diesem Gesetz nachdrücklich mitreden, sie fordern eine Zustimmungspflicht des Bundesrats, was Lauterbach strikt ablehnt. Seine Vorlage hat er so gestrickt, dies zu umgehen. Bayern erwägt deshalb Verfassungsklage.Atlas für ambulante AngeboteDie geplante Reform ist fraglos kompliziert, viele technische Details sind zu berücksichtigen. Aber um die Einwände aus dem gesundheitsökonomischen Kauderwelsch herunterzubrechen: Die Reform zielt darauf ab, darin sind sich alle einig, sehr viel weniger Menschen im Krankenhaus behandeln zu lassen und Standorte zu schließen oder sie zu zwingen, sich zu spezialisieren bzw. Kooperationen einzugehen. Um reale Bedarfe geht es also nicht. Damit die Länder aber planen können, müssen sie wissen, welche Kliniken auf welchem Gebiet qualitativ hochwertige Leistungen erbringen, wie viel Geld über die leistungsunabhängigen Vorhaltepauschalen in ein Haus fließen wird und welchen Teil die Krankenhäuser weiter über konkret erbrachte Behandlungen (Fallpauschalen) erwirtschaften müssen. Was in einem Krankenhaus gemacht wird, bildet sich in Leistungsgruppen ab, die nur das Haus zugewiesen bekommt, das nachweist, dafür gut qualifiziert zu sein. Eine solche Qualitätsanalyse hat gerade das wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) erbracht. Lauterbach seinerseits stellt sich eine Art Atlas vor, der zeigt, wo es welche Leistungen gibt, wo sie überflüssig sind und wo gegebenenfalls Ausgleich durch ambulante Angebote geschaffen werden muss. „Denn wohin sollen die Leute eigentlich gehen“, fragte von der Decken im April, „wenn sie nicht mehr im Krankenhaus behandelt werden?“Was Lauterbach als Planungsinstrument nun vorgelegt hat, scheint den Ländern von zu vielen nicht validen Annahmen begleitet, auf deren Grundlage keine verantwortbare Planung möglich ist. Zu viel Unsicherheit steckt auch in den noch gar nicht festgezurrten Leistungsgruppen, die die Voraussetzung für die pauschale Mittelzuweisung sind und um die Kliniken konkurrieren. Kritik gibt es auch an den vielen neuen Prüfaufträgen, die der Medizinische Dienst schultern soll und, so die Befürchtung, den Häusern neue bürokratische Aufgaben aufbürden, statt die Entbürokratisierung voranzutreiben und das Personal zu entlasten. Zudem muss festgelegt werden, welche Leistungen die sektorenübergreifenden Einrichtungen, also Medizinische Versorgungszentren und Ähnliches, erbringen dürfen und wer das bestimmt.Hier kommt das gleichzeitig von Lauterbach vorbereitete Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz ins Spiel. Mit Primärversorgungszentren (PVZ) und Gesundheitskiosken sollte der ambulante Bereich in den Regionen ausgebaut werden, übrig geblieben sind einzig neue ärztliche Vergütungsordnungen. Charlotte Kugler von der Initiative „Poliklinik Syndikat“, die sich für die Einrichtung niedrigschwelliger Gesundheitszentren starkmacht, kritisiert „eine vertane Chance“.Gerade die besonderen medizinischen Bedürfnisse älterer und multimorbider Patient:innen verlangten ein gut integriertes Angebot aus ärztlichen und nichtärztlichen Fachberufen. Angesichts von 11.000 nicht besetzten Landarztpraxen bis 2035, wie eine Studie der Robert-Bosch-Stiftung berechnet, hätten kommunal oder gemeinnützig gesteuerte PVZs Abhilfe schaffen können.Privatversicherte im VorteilRichtig Ärger hat sich Lauterbach jedoch mit seinem Vorschlag eingehandelt, den Anteil, den der Bund zur Finanzierung der Krankenhausreform beitragen muss, über die gesetzlichen Krankenkassen, das heißt aus dem Gesundheitsfonds zu finanzieren. Der geplante Transformationsfonds soll 50 Milliarden Euro umfassen und über zehn Jahre gefüttert werden, hälftig von Bund und Ländern. Nun wollen die Länder den Transformationsfonds verkleinern und ihrerseits 15 Milliarden aus dem Gesundheitsfonds entnehmen, was bedeuten würde, dass die gesamte Reform am Ende fast ausschließlich von den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) finanziert würde. Ein Rechtsgutachten der Universität Hamburg erklärt dieses Vorgehen inzwischen für verfassungswidrig, weil die Privatversicherten dabei außen vor blieben und Beitragsgelder zweckentfremdet würden. Es sei „ein Unding“, sagte AOK-Chefin Carola Reimann (SPD) anlässlich der Vorstellung der WIdO-Studie, „dass der Umbau der Krankenhauslandschaft von den GKV-Versicherten getragen werden soll“. Strukturanpassungen seien Teil der Daseinsvorsorge und die notwendigen Mittel von Bund und Ländern aufzubringen.Offiziell will das Kabinett nun am 15. Mai über die Krankenhausreform beraten, eine Woche später steht das Versorgungsstärkungsgesetz auf dem Plan. Um beide Projekte noch vor der Sommerpause in Bundesrat und -tag zu behandeln, sind Fristverkürzungen nötig, denen der Bundesrat zustimmen muss. „Too big to fail“, zu groß, um zu scheitern, gab Lauterbach als Parole aus. Vielleicht aber auch „too wrong to go“, einfach zu schlecht, um zu funktionieren.
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