Eine nicht bewilligte Reha. Ein Anspruch auf ein Pflegebett. Die Erläuterung eines ärztlichen Befunds oder eines ablehnenden Krankengeldbescheides: Die Anlässe, sich an die kostenlose Unabhängige Patientenberatung (UPD) zu wenden, sind so vielfältig wie die Gesundheitslandschaft. Und wie die Bemühungen der Krankenkassen, überall Geld einzusparen.
Doch genau diesen Bock macht Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun zum Gärtner, indem er dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) in der neu zu errichtenden Stiftung Durchgriffsrechte zugesteht, die einer unabhängigen Beratung spotten. So sollen die im Stiftungsrat vertretenen Kassen nicht nur den Vorstand bestellen, sondern auch darüber entscheiden dürfen, zu welchen
u welchen Themen die UPD überhaupt beraten darf. Brisantes wie Pflege oder Reha ist von der GKV aus nachvollziehbaren Gründen nicht erwünscht.Denn: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing, das weiß der Volksmund, und das Brot für die Stiftung soll künftig aus Versicherungsgeldern fließen, weil Lauterbach auch in diesem Fall nicht Manns genug war, die 15 Millionen Euro, die die Stiftung jährlich kostet, bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) lockerzumachen. Seit Monaten protestieren nicht nur Patientenverbände gegen die Pläne des Ministers, die Stiftung, die die Beratung endlich dauerhaft sicherstellen und ihre Autonomie garantieren sollte, von den Krankenkassen finanzieren zu lassen.Ursprünglich lehnte die GKV ein solches Modell auch ab und zog sich im Juni sogar aus der Mitarbeit an der Stiftungssatzung zurück, weil der Spitzenverband fürchtete, zu wenig Einfluss auf die Arbeit der UPD nehmen zu können. Daraufhin wurde gekungelt, mit dem besagten Ergebnis. Der Minister, so Patienten- und Verbraucherschutzverbände unisono, liefere die UPD vollständig den Krankenkassen aus. Doch diese seien gerade Teil des Problems und nicht dessen Lösung.Eine verkorkste KonstruktionDer Vorgang erinnert an die Neuorganisation des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), der bis Juni 2021 ebenfalls als Teil der Gesetzlichen Krankenkassen organisiert und in seiner Gutachtertätigkeit von ihnen abhängig war. Um die Gutachter:innen unabhängiger von deren Vorgaben zu machen, wurde der MDK in eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts überführt. Ebendies war auch der Grundgedanke des Stiftungsmodells, denn auch an der im Jahr 2000 als Modellprojekt gegründeten, seit 2016 faktisch jedoch privatisierten UPD, die seither von der Tochter des Gesundheitsdienstleisters Sanvartis GmbH betrieben wird, gab es vielfach Kritik.Verantwortlich für den Deal mit Sanvartis war der damalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Insofern ist der lautstarke Protest von dessen Parteifreund Tino Sorge, dem gesundheitspolitischen Sprecher der Union im Bundestag, ein Stück weit heuchlerisch. Zumal sich dieser gerade mit dem Vorschlag unbeliebt macht, Patienten und Patientinnen finanziell künftig stärker zur Kasse zu bitten, um deren „Flatrate-Mentalität“ zu begegnen.Inzwischen rechnet niemand mehr damit, dass die Stiftung am 1. Januar 2024 ihre Arbeit aufnehmen kann. Dabei wird die Beratungstätigkeit der UPD zum 8. Dezember eingestellt, Betroffene haben dann keine Anlaufstelle mehr. Den hoch qualifizierten Beratern und Beraterinnen, die dringend für die Arbeit in der Stiftung gehalten werden sollen, wie Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) versichert, wird demnächst gekündigt. Der Abwicklungsvertrag ist bereits in Arbeit, die Büros werden im Dezember geräumt.Auch eine im August von der rührigen Gesundheitspolitikerin Kathrin Vogler (Linke) einberufene Sondersitzung des Gesundheitsausschusses, auf der sich Lauterbach gar nicht blicken ließ, brachte keine Wende. Wie sich die Patientenorganisationen, die sich bei der Neuorganisation der UPD übergangen fühlen, weiter verhalten, ist noch offen. Sie seien bereit, heißt es, am Aufbau einer tatsächlich unabhängigen UPD mitzuarbeiten, wollen aber nicht an einer Beratung mitwirken, die von den Krankenkassen bestimmt wird. Ähnlich sehen es Sozial- und Verbraucherschutzverbände.Selbst der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), übt Kritik am Vorgehen von Ministerium und GKV. Er zweifle daran, dass so „beste Beratung für Patienten und Patientinnen erreicht werden“ könne. Es ist hohe Zeit, dass ein paar gestandene Gesundheitspolitiker:innen aus der Ampel Lauterbach zurückpfeifen.