Wie man den Spieß umdreht

Rhetorische Katastrophe In der Asyl-Debatte werden oft Naturmetaphern bemüht. Plötzlich sind nicht Flüchtlinge, sondern die Städte in Not. Und die Rechte wird mobilisiert
Ausgabe 31/2015
Zumindest im Inneren haben sie ihren Frieden: Flüchtlingsunterkunft in Dresden
Zumindest im Inneren haben sie ihren Frieden: Flüchtlingsunterkunft in Dresden

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Es ist die Rede von gewaltigen Strömen, die es einzudämmen gelte. Als handele es sich um einen über die Ufer tretenden Fluss, der das Land überschwemmt. Nötig seien „neue Sicherungsmaßnahmen“, um dem „Zustrom“ Herr zu werden. Verfolgt man die Debatte über Flüchtlinge, hat man den Eindruck, es handele sich eher um eine Naturkatastrophe als um eine von Menschen verantwortete humanitäre Situation. Kaum ein Artikel, kaum eine Politikerrede, die nicht Naturmetaphern bemühte, um das eigene Gefühl des Ausgeliefertseins zu beschreiben und die Betroffenheitslage einfach um-zukehren: Dann sind plötzlich nicht die Asylsuchenden, sondern Länder und Kommunen in Not, überwältigt von einer „Menschenflut“.

Auch der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann griff anlässlich des Flüchtlingsgipfels in Stuttgart zu solchen Begrifflichkeiten. Und wie ein echter Deichgraf schultert er sinnbildlich Sandsäcke und lässt entlang von Autobahntrassen Zeltstädte aufbauen. Wie in großen Auffangbecken werden die Flüchtlinge dort konzentriert, um sie dann möglichst schnell in umgekehrter Richtung in ihre Heimatländer zu „kanalisieren“.

Von 9.000 auf 20.000 Plätze werden die Erstaufnahmeeinrichtungen mit der hübschen Abkürzung LEA bis 2016 aufgestockt. Das soll es erleichtern, Asylsuchende „ohne Aufnahmechance“ möglichst schnell wieder abzuschieben. Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge dagegen sollen künftig ganz ohne Erstaufnahmeverfahren auf die Kommunen verteilt und den übrigen, Chancenreicheren, möglichst schnell eine Wohnung zugewiesen werden, auf dass diese „Wasser“ den Standort Deutschland befruchten. Auf die in Aussicht gestellte Aufstockung der Mindestwohnfläche von 4,5 auf 7 Quadratmeter pro Person – Letzteres entspricht nach der Tierschutzverordnung der Größe eines mittleren Hundezwingers – werden die Flüchtlinge dagegen noch lange warten müssen.

Tausche sicheres Herkunftsland gegen Einwanderungsgesetz

Um andererseits den Rückgang der Asylbewerberzahlen zu befördern, sind nach Serbien, Mazedonien und Bosnien mittlerweile auch Albanien, Montenegro und das Kosovo als „sichere Herkunftsländer“ im Gespräch. Für sinnvolle und wirkungsvolle Maßnahmen, bekundet Kretschmann, sei er immer offen. Wenn alles nichts hilft, hat der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, die Wiedereinführung der Visumspflicht angeregt. Die Bundesregierung will nun auch mehr Sachleistungen statt Taschengeld.

Dass es um die Auslese von produktiven, für die Wirtschaft brauchbaren Leuten aus dem Flüchtlingsstrom geht, ist nichts Neues und wird nun auch in der SPD ohne Scham diskutiert: Weitere sichere Herkunftsländer im Tausch gegen ein Einwanderungsgesetz, so der Deal. Ein solches Gesetz soll sicherstellen, dass nur noch diejenigen kommen, die man haben will. Für das in die Flüchtlinge investierte Kapital würde am Ende eine Rendite winken. Das Schlimmste an dieser Art von Rede über Flüchtlinge ist aber, dass sie rechte Kräfte mobilisiert. Im sächsischen Freital, berüchtigt für die von einer Minderheit betriebene Hetze gegen Asylbewerber, wurde das Auto eines linken Kommunalpolitikers zerstört. Solche Einschüchterungsaktionen zielen auf die gutgewillte Mehrheit im Land, die die „Naturkatastrophe“ als das wahrnimmt, was sie ist: als Folge von Kriegen und ungerechten Verteilungsverhältnissen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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