Unweigerlich kommen schon Kinder heute in jeder größeren Stadt mit dem Gaza-Krieg in Kontakt, spätestens auf dem Schulhof. Und ab einem zweistelligen Lebensalter fragen sie nach und suchen Informationen. Solche zu liefern, ist aber schwer. Denn beim Thema „Nahost“ sind Kinder und Jugendliche noch mehr als im Fall des Ukraine-Kriegs einer Situation ausgesetzt, in der private und öffentliche Deutungen stark auseinanderfallen können – und sich Positionen nicht selten nach familiären Hintergründen sortieren.
Der Autor Martin Schäuble weiß das offenbar. Er bringt das Problem, das daraus entsteht, am Ende seiner knappen Geschichte der Israelis und Palästinenser auf den Punkt. Die auf ein Publikum ab 14 zielende Darstellung des Ko
Darstellung des Konflikts seit „uralten Zeiten“ läuft geradezu auf ein Zitat von Elad heraus, einem der Zeugen beider Herkünfte, die er zu Wort kommen lässt: „Was für Aiyub Fakten sind“, sagt der junge Israeli nach einem Gespräch mit einem gleichaltrigen Palästinenser, „sind für mich keine, und umgekehrt.“In diesem Satz steckt ein Kardinalproblem nicht nur dieses, sondern jedes populären Geschichtsbuchs. Wir dürsten nach „historischen Fakten“, an denen wir uns „orientieren“ wollen. In der Historik ist das aber kein unproblematischer Begriff. Es gibt Ereignisse, die quellenmäßig untersuchbar sind: Kämpfe, Koalitionen, Attentate, Verhandlungen, Reden, Resolutionen, Verträge. Doch bleibt es eine Frage von Deutung und Gewichtung, wie man Ereignisse überhaupt intelligibel macht, sie also in erzählbare Zusammenhänge bringt. Das leisten die „historischen Fakten“, die wir für ein Heute im Vergangenen suchen. Sie sind, der Wortsinn von „Faktum“ – etwas Gemachtes – erinnert daran, bereits zu Bausteinen von Narrationen formatierte Ereignisse.Gibt es das „reine Ereignis“?Die Krux dabei: Bei Lichte betrachtet fällt es uns schwer, so etwas wie ein „reines Ereignis“ überhaupt zu denken. Lässt man die orientierende Erzählung weg, werden uns vergangene Begebenheiten schnell nichtssagend; sie „machen keinen Sinn“. Dieses Gefühl ruft auch Schäubles Buch bisweilen hervor – auch an einer wichtigen Stelle: Wieso endete der „Friedensprozess“ de facto so abrupt schon mit dem Mord an Jitzchak Rabin? Gewiss, Radikale beider Seiten taten alles, um ihn abzuwürgen. Aber was passierte mit den Mehrheiten, die ihn einmal getragen hatten? Die Darstellung lässt ihr Publikum hier etwas ratlos zurück.Die Schwäche, die sich an dieser Stelle zeigt, ist wohl der Strategie des Autors geschuldet, einen Umgang mit dem Elad-Aiyub-Problem zu finden: Planvoll oder unwillkürlich versucht das Buch, Ereignis und Erzählung möglichst konsequent zu trennen. Weitgehend enthält sich Schäuble eigener Erzählungen – vulgo Thesen – zu all jenen Kämpfen, Koalitionen, Attentaten, Verhandlungen, Reden, Resolutionen und Verträgen, die er knapp, fast tabellarisch aufführt. Die widerstreitenden Erzählungen hierzu dagegen expliziert er aus dieser Distanz als solche, wobei die Vielzahl dialogischer O-Töne hilft: So wird, was auf der Ereignisebene Fragen offenlässt, auf der Ebene der Narrationen zu einer Stärke: Was den einen der Sechs-Tage-Krieg ist, ist den anderen die Naksa; der Jom-Kippur-Krieg und der Ramadan-Krieg meinen zwar dieselbe Begebenheit, spielen aber in verschiedenen Welten. Seine sinngebungsabstinente Schreibhaltung erlaubt es dem Autor, all die Erzählungen über den Nahostkonflikt nicht nach „richtig“ und „falsch“ zu sortieren, sondern sie selbst als Ereignisse zu behandeln, sie also zu historisieren: Sie sind nun einmal da, und man hat mit ihnen umzugehen.Ein deutschsprachiges Sachbuch kann zur „Lösung“ des Konflikts gewiss nicht viel beitragen, zumal man Schäubles eher pessimistischen Ausblick auf das Geschehen wohl teilen muss. Was es vielleicht kann: die Neugier auf uns fremde Perspektiven wecken, in diesem Konflikt wie in anderen Angelegenheiten. Man mag diesem Buch viel Publikum wünschen – auch über die jugendliche Zielgruppe hinaus.