Sport macht glücklich – wegen dieses seltsamen Gefühls, eine Art Geheimnis zu haben
Euphorie Die Entspannung des Körpers nach dem „Air“ beim Skaten, das „Runner’s High“ oder die Bananenflanke direkt ins Tor: Sport ist Glück, wenn der Kopf gegenüber dem Körper ins Hintertreffen gerät. Das kann nur erahnen, wer sich selbst bewegt
„Wusch-Wusch“, „Wusch-Wuuuuusch“, „Bonk“, „Klack“ und schließlich „Bfuuuuuuuuh“: Mit diesen Worten lässt sich das Glück des Skaters auf dem Rollbrett noch am ehesten beschreiben.
Foto: Laura Kaczmarek
Wusch-wusch … wusch-wuuuuusch … bonk-klack … bfuuuuuuhhhh: Zur Faszination des Sports gehört, dass er sich kaum verbalisieren lässt. Natürlich können wir im Stil der Sportreportage beschreiben, was Sporttreibende tun, wir können auch allerlei passende und unpassende Sprachbilder oder Adjektive dafür finden, wie sie dabei aussehen. Was aber das konkrete Erlebnis des Sporttreibens ausmacht, wie sich also dessen Vollzug anfühlt, dafür fehlen uns die Worte. Dabei betreibt man Sport ja gerade um dieses Erlebens willen.
Noch die lautmalerischste und comic-sprachlichste Annäherung gibt nicht wider, was zum Beispiel ich erlebe, wenn ich mit dem Skateboard erst durch eine kurze Ecke eines sogenannten Bowls „pushe“ (wusch-wusc
eboard erst durch eine kurze Ecke eines sogenannten Bowls „pushe“ (wusch-wusch). Ein Bowl ist das englische Wort für Schüssel, für Skater große in den Boden eingelassene Becken. Oder wenn ich in der folgenden langen Ecke noch mehr Druck und damit Schwung aufbaue (wusch-wuuuuusch), damit ich schnell genug werde, die Hinterräder an die Oberkante der Steilwand poppen zu lassen, auf die ich jetzt zufahre (bonk), wodurch das Brett mir in die Hand springt und beim Greifen der Ring an meinem Finger ein charakteristisches Geräusch verursacht (klack) – und ich dann nach dem Sprungmanöver die Räder im vertikalen Teil jener Steilwand möglichst sanft aufsetze und diese herunterfahre, wobei sich der Körper im Gelingensfall streckt und kurzzeitig entspannt (bfuuuuuuuuh), bevor er sich daran machen muss, die nun aufgenommene Geschwindigkeit in der nächsten Ecke der Anlage zu kanalisieren und zu nutzen, die ich in einer knappen Sekunde erreicht haben werde.Unbeschreiblich sportlichKönnen Sie nach dieser wortreichen Beschreibung nachempfinden, was mich an dieser Bewegung so reizt, ja glücklich macht? Vermutlich eher nicht. Und diese Unbeschreibbarkeit ihres tatsächlichen Vollzugs betrifft alle Sportarten, nicht nur bewegungstechnisch recht komplexe wie meine, das Rollbrettfahren auf Rampen mit Rundungen.Wie genau geht etwa ein Schwimmzug in der Butterfly-Lage? Versuchen Sie sich mal an einer Ausformulierung unterhalb von 200 Wörtern. Na? – Ich wette, wirklich nachvollziehbar beschreiben werden Sie die Schwimmbewegung auch mit 300 Wörtern nicht. Selbst das Erleben der bei oberflächlicher Betrachtung simpelsten aller Sportarten entzieht sich erstaunlich weitgehend der sprachlichen Kommunizierbarkeit: nämlich dem Laufen.Wie genau sich ein „Runner’s High“ anfühlt, also die rauschähnliche Euphorie, die sich nach einiger Zeit einstellen kann, können Worte konkret nicht wiedergeben. Gleiches gilt für die körperlich-emotionalen Zustände, die jenem Stimmungshoch vorangehen oder nachfolgen können. Aus vermutlich genau diesem Grund gibt es so viele, so lange und oft sehr liebenswerte, aber letztlich eben immer blumig-abstrakte Intellektuellen-Texte gerade über das Langstreckenrennen, nur ein Beispiel von vielen ist das Buch 42,195: Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken von Matthias Politicki.Mit Vernunft funktioniert es nichtUnd es geht noch weiter: Unserem Kopf fehlen nicht nur die Worte, um das Erleben eines Sports Außenstehenden sprachlich-verständlich nahezubringen; wir können auch Sportbewegungen, die wir beherrschen, nicht einmal für uns selbst rational durchdringen. Wenn man einen Fußball so schießt, dass er „passt“, dass er also den gerade richtigen Schwung und Effet hat, um eine gute Vorlage zu werden oder sich gleich ins Tor zu senken, dann merkt man das oft, bevor der Ball sein Ziel erreicht: fast schon im Moment des Schießens. Aber wo und wie genau muss der Fuß den Ball so treffen, dass der Schuss zur gefährlichen „Bananenflanke“ gerät? Oder so – das eher für Fortgeschrittene –, dass er tückisch in Richtung des Tores „flattert“? Wie findet man beim Laufen in einen Tritt, der die Anstrengung zumindest zeitweise überlisten kann?Der auf eine Sportart eingestellte Körper weiß es ganz genau, doch in dem Moment, in dem man über eine Sportbewegung im Wortsinn „nachzudenken“ begänne, würde sie ziemlich sicher misslingen. Einwandfrei wiederholen lässt sich der Schwimmzug, der Schuss oder Pass oder in meinem Fall der „Air“ nur dann, wenn diese Bewegungen nicht (mehr) vergedanklicht werden. Nur technisch ließe sich der Air beschreiben: Man wirft das Board (Brett) horizontal durch die Luft (englisch air), stößt sich gleichzeitig ab und dreht es.Sport ist zweckfreiDer Kopf, das kann man bis hierher also festhalten, ist im Sport gegenüber dem Körper stets im Hintertreffen. Da scheint es zunächst fast paradox, dass der Sport gerade im Kopf so viel macht, nämlich Glücksgefühle. Dass er das kann, ist offenkundig. Es gibt zwar heute auch Leibesübungen wie „Bauch-Beine-Po“, „Sixpack“ oder vielleicht Yoga, die teils weniger ob des Vollzugserlebens ausgeübt werden als wegen bestimmter erhoffter Resultate, die sich außerhalb des zweckfreien Sports zur Geltung bringen lassen sollen – in Form etwa optimierter Körper oder gewisser mentaler Fähigkeiten. Und sicher ist avancierter Sport heute auch eine vielversprechende Berufslaufbahn. Dennoch gäbe es keinen Sport, wenn er nicht glücklich machte. Da lohnt sich die Frage, wie er das macht.Leicht zu beantworten ist die freilich nicht. Klar, da sind die üblichen Verdächtigen: körpereigene Drogen, darunter vielzitiert die Endorphine. Doch gerade die kann man getrost vergessen. Die Endorphin-These ist wissenschaftlich mindestens so umstritten wie im Alltagswissen verbreitet: Diese körpereigenen Opioidpeptide sind erstens gerade dort, wo Glücksgefühle entstehen, klinisch nicht nachweisbar, nämlich im Gehirn. Und zweitens handelt es sich nicht um Wohlfühlmacher, sondern um Schmerzminderer. Sie helfen also vielleicht dabei, einen Langstreckenlauf überhaupt fortsetzen zu können, machen aber noch kein „Runner’s High“. Hierfür kommen medizinisch eher zwei andere Gruppen von Substanzen in Betracht, die der menschliche Körper im Regelfall vorhält, nämlich einerseits die in den 1990er Jahren entdeckten Endocannabinoide, die ähnlich heißen und wirken wie die Entspannungsdroge Cannabis. Und andererseits biochemische Botenstoffe wie Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin und Serotonin, dem so genannten „Glückshormon“ (mehr dazu steht in der Freitag, Ausgabe 33 vom 10. August).Macht Erfolg stoned?Es ist unbestritten, dass das Glück überhaupt diese biochemische Seite hat und Sport die Ausschüttung solcher Substanzen fördert. Dennoch sind sporttreibende Körper nicht einfach nur stoned. Auch ließe sich das Glück des Sports auch theoretisch nicht durch das Einwerfen noch so virtuos gepanschter Serotonin-Dopamin-Endocannabinoid-Pillen substituieren. Man kann das Sport-Glück nicht einfach anknipsen. Denn wäre es so, müsste sich das gleiche Ausmaß an körperlicher Anstrengung auch immer gleich gut anfühlen. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall: Läuft es schlecht, kann Sport auch deprimierend sein. Offensichtlich legt sich hier ein kultureller Faktor entscheidend über die Biochemie: die Einschätzung des Gelingens, des Erfolgs jener zweckfreien Bewegungen.Diese Bindung von Glück an Erfolg ist nun ein Reizthema, zumal in progressiven Kreisen. Doch je mehr sich jemand darüber empört, desto wahrscheinlicher ist, dass diese sich ereifernde Person dem Sport recht fern steht. Denn der kann mehr als „Sieg“ und „Niederlage“: Gelingen ist mitunter eine höchst subjektive Kategorie. Im Teamsport kann man mit dem eigenen Spiel zufrieden sein, auch wenn die Mannschaft vielleicht verloren hat. Und in Individualsportarten wie der meinigen ist das Spektrum noch viel breiter: Es können mich auch hoffnungsvolle Fehlversuche bei Manövern, die ich noch nie oder schon lange nicht mehr versucht habe und die mir daher vielleicht Angst machen, geradezu euphorisch stimmen und mit Erfolgsgefühlen nach Hause gehen lassen.Den Flow finden – nicht suchenSo hat das Glück des Sports einen paradoxen Charakter: Es entsteht im Kopf dadurch, dass dieser „ausgeschaltet“ wird. Es ist das Versinken in einem gelingenden Können, in einem praktizierten impliziten Wissen, das sich zwar erfahren, aber kaum rationalisieren lässt. Glücklich macht am Sport also das Gefühl, eine Art Geheimnis zu haben, ein Geheimnis quasi vor dem bewussten Teil des eigenen Selbst. Die psychologisch-medizinischen Wissenschaften nennen das Geheimnis den „Flow“. Diesen seltsamen Bewusstseinszustand im Schnittpunkt von körperlicher Bewegung und mental-emotionaler Aktivität gibt es zwar nicht nur im Sport. Er tritt etwa beim Musizieren auf, wenn nicht mehr die Finger die richtigen Saiten der Gitarre suchen müssen, sondern die Töne zu den Fingern kommen. Es gibt ihn beim Zeichnen und Malen, sogar beim Schreiben, wenn ein Wort das andere gibt und der Text sich selbst zu denken scheint.Der Flow füllt Bibliotheken, seit sich der ungarisch-amerikanische „Glücksforscher“ Mihály Csíkszentmihályi (1934–2021) in den 1970ern mit ihm zu befassen begann. Man versucht ihn zu vermessen, anhand von Hormonausschüttungen oder Hirnfrequenzen. Es gibt sehr alte und ganz neue Psychotechniken und Therapieansätze, die ihn herbeizuführen und nutzbar zu machen trachten. Und doch bleibt er ein Rätsel. Man spürt ihn, wenn er da ist. Aber wer es zu sehr auf ihn anlegt, der wird ihn oft verpassen. Der Sport aber ist immerhin ein Feld, auf dem die Suche lohnt.So ist das mit dem Flow. Und dem Sport und auch dem Glück im allgemeinen. Sie alle sind sich ähnlich darin, dass sie sich der Ratio entziehen und zur Sprache recht flüchtig verhalten. Und das ist auch ziemlich gut so. Wäre es nämlich anders, könnte man das Glück – oder sein Gegenteil, die Verzweiflung – genau bestimmen, definieren, festnageln, dann gäbe es kaum Literatur, zumindest keine Lyrik. Das Glück empfinden wir als meistens abwesend, aber es treibt uns um, es treibt uns an, es hält uns in Bewegung. Es gibt viele Wege, nach ihm zu suchen: Künste, Lüste, Religionen. Ich habe für mich einen anderen gefunden. Ich bleibe bei Wusch-wusch … wusch-wuuuuusch … bonk-klack … bfuuuuuuhhhh.