Was haben Robert Habeck, Olaf Scholz, Campino von den Toten Hosen, Württembergs protestantischer Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl sowie – zum Beispiel – der Spiegel-Kulturjournalist Tobias Rapp gemeinsam? Sie haben seit März 2022 öffentlich erklärt, dass sie den Wehrdienst heute nicht mehr verweigern würden. In etwa vor Jahresfrist waren solche Appelle imaginierter Vaterlandsverteidigung eine ärgerliche Mode. Wohltuend war da die Haltung des Schriftstellers Christian Baron: „Ich werde mein Land nicht mit der Waffe verteidigen, sondern fliehen“, schrieb er im Freitag, „gerade in Zeiten eines Krieges mitten in Europa ist es wichtig, dem Rückfall ins heroische Zeitalter zu widerstehen“.
Dieses „Plädoyer für
sam? Sie haben seit März 2022 öffentlich erklärt, dass sie den Wehrdienst heute nicht mehr verweigern würden. In etwa vor Jahresfrist waren solche Appelle imaginierter Vaterlandsverteidigung eine ärgerliche Mode. Wohltuend war da die Haltung des Schriftstellers Christian Baron: „Ich werde mein Land nicht mit der Waffe verteidigen, sondern fliehen“, schrieb er im Freitag, „gerade in Zeiten eines Krieges mitten in Europa ist es wichtig, dem Rückfall ins heroische Zeitalter zu widerstehen“. Dieses „Plädoyer für die Schwäche“ möchte ich noch heute unterschreiben. Trotzdem scheint es mittlerweile geboten, den Chor der Habeck-Gohl-Campinos noch zu übertreffen: Wir sollten die Wehrpflicht wieder aktivieren, die 2011 ja nur ausgesetzt wurde. Der „Spannungsfall“, für den das vorgesehen ist, liegt ja längst vor, wenn führende Parlamentarier öffentlich sagen, man müsse jetzt „den Krieg nach Russland tragen“. Und mehr noch: Wir sollten den grundgesetzlichen Gewissensvorbehalt – „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ – möglichst restriktiv ausgestalten. Also eher à la 1960 als 1990.Eine erneuerte Wehrpflicht fordert auch Boris Pistorius, der Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen will. Wie wohl dem Bundesverteidigungsminister geht mir seit der „Zeitenwende“ das antike Sprichwort nicht mehr aus dem Kopf: Si vis pacem para bellum. Wer den Frieden will, bereite den Krieg vor? Ja, auch mir geht es um Abschreckung – Im Unterschied zu Pistorius meine ich freilich eine Abschreckung nach innen statt nach außen. Denn während es zu den Errungenschaften der bundesrepublikanischen Gesellschaft zählt, dass man sich eine Bundeswehr kaum noch vorstellen kann, vor der fremde Mächte Angst hätten, hat das öffentliche Reden über den Krieg in der Ukraine einen dermaßen laxen Umgang mit militärischen Eskalationspotenzialen zutage gefördert, dass einem schwindelig wird. Auffällig ist dabei nun eins: Regelmäßig fallen in Umfragen zwei Werte krass auseinander, die doch zusammengehören sollten: einerseits die Entschlossenheit, immer schärfere kriegerische Mittel einzusetzen – und andererseits die Bereitschaft, selbst ins Feld zu ziehen.Der Mut zum Riskieren der Kinder anderer LeuteMan blicke nur auf die schwelende Diskussion um Taurus-Marschflugkörper für Kiew, die viele für geeignet halten, den Krieg tatsächlich nach Russland zu tragen: Wer damit verbundene Eskalationsrisiken am ehesten in Kauf nehmen würde, ist in Umfragen zugleich am wenigsten bereit, selbst zur Waffe zu greifen. Am tiefsten klafft diese Redlichkeitslücke in der Grünen-Bubble: Hier wurde bei einer persönlichen Kampfbreitschaft von nur neun Prozent eine Raketen-Befürwortung von 68 Prozent gemessen. Dieser Mut zum Riskieren der Kinder anderer Leute nähme ab, wenn bewusster wäre, dass nicht nur Kevin aus Anklam und Dustin aus Altenessen zum Verrecken geschickt werden können, sondern auch Finn-Ludwig vom Berliner Helmholtzplatz. Eine erneuerte Wehrpflicht riefe in Erinnerung, dass der Staat noch immer das Recht hat, auf die Leben aller männlicher Erwachsenen zuzugreifen. Und ihre Handhabung nach Art der 1960er schlösse es aus, Waffenlieferungen zu befürworten, sich aber selbst vor dem Schießen zu drücken. Und dass die Kriegsbesorgnis steigt, je näher man dem Mündungsfeuer kommt, zeigen Daten aus der Truppe: Die Zahl derer, die als Berufssoldaten eine nachträgliche Verweigerung eingereicht haben, hat sich zuletzt verfünffacht.Der wirklich unschöne Gedanke, dass eine Wehrpflicht heute nicht mehr – wie ich früher an diesem Punkt stets sagte – als Militarisierung der Gesellschaft zu kritisieren wäre, sondern im Gegenteil zu deren Pazifizierung beitrüge, ist ein Teil meiner ganz persönlichen Zeitenwende. Ein anderer ist der Umstand, dass ich in der Diskussion um Waffen und Krieg inzwischen eher den Militärs vertraue als Leuten wie Robert Habeck, Campino oder Tobias Rapp. Es ist bestürzend, wo wir angekommen sind – und zu hoffen bleibt derweil, dass sich die Zeitenwende doch noch einmal wendet.