Schutzbefohlene

Geflüchtete Seit Anfang des Jahres unterstütze ich eine syrische Familie beim Deutschlernen, bei der Jobsuche, bei Behörden und was sonst so ansteht. Ein Erfahrungsbericht

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Ankommen ist nicht immer leicht
Ankommen ist nicht immer leicht

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Ausgangspunkt

Ende letzten Jahres hatte ich die Diskussionen rund um die so genannte Flüchtlingskrise satt. Ich wollte mir selbst ein Bild verschaffen und wandte mich an einen Helferkreis in einer niederbayrischen Stadt. Dort wurde mir sehr schnell eine Patenschaft zu einem syrischen Ehepaar auf ehrenamtlicher Basis vermittelt. Ich sollte mich darum kümmern, dass das Ehepaar seine Deutschkenntnisse verbessert und sie in Alltagsfragen unterstützen. Nach einer ersten Begegnung in einem Café mit dem Familienvater wurde ich zu ihm nach Hause eingeladen. Dort lernte ich in Etappen die ganze Familie kennen. Seine Frau, seine 6 Kinder im Alter zwischen und 27 und 15 Jahren, davon 5 Töchter und 1 Sohn, seine 2 Enkelkinder, zwei seiner Töchter sind verheiratet, sowie seine 2 Schwiegersöhne. Die Familie mit insgesamt 12 Personen lebt nebeneinander in 2 Wohnungen zu je 100 qm. Die Wohnungssituation kann man als gut bezeichnen, wenngleich es auch Spannungen gibt. Bei der Familie handelt es um syrische Christen. Der Familienvater betrieb in Syrien eine Möbelfabrikation und einen Möbelhandel. Er gehörte mit Sicherheit dort zur Oberschicht. Das hat die Familie allerdings nicht vor Vertreibung und Flucht geschützt. Eines Tages kam der IS und hat in seiner Fabrik alles demontiert, was nicht niet- und nagelfest war. Dann kam die syrische Luftwaffe und hat sein Haus zerstört, und dann blieb nur noch die Flucht in den Libanon, von dort aus die Familie als so genannte Kontingentflüchtlinge im Herbst 2014 ausgeflogen wurden. Ihnen blieb also die beschwerliche und riskante Flucht über das Meer über die damals noch offene Balkanroute erspart.

Erste Erfahrungswerte

Wer sich einmal mit der arabischen Schrift und deren Aussprache beschäftigt hat, der weiß, was es bedeuten würde, als Europäer die arabische Sprache in Wort und Schrift zu erlernen. Umgekehrt verhält es sich nicht anders. Ein Araber muss sich beim Erlernen der deutschen Sprache mit komplett anderen Schriftzeichen beschäftigen, die Aussprache ist komplett anders, von der Grammatik einmal ganz abgesehen. Umso erstaunlicher ist es ist, welche Fortschritte gerade die Jüngeren gemacht haben. Die meisten von ihnen haben den B1 oder sogar den B2 Schein. Die Jüngste der Kinder (15 Jahre alt) geht auf ein bayrisches Gymnasium in eine so genannte Vorbereitungsklasse. So wie es aussieht, geht sie ab nächstem Schuljahr in die reguläre 10. Klasse und macht also in 3 Jahren das Abitur. 2 Töchter haben in Syrien studiert und können eine Bachelor-Abschluss nachweisen. Eine davon möchte einen deutschen Abschluss als Master im Rechtsbereich machen, die andere wartet ab, bis sie ihr zweites Kind bekommen hat. Der Sohn macht ein Praktikum bei einem weltweit agierenden Automobilzulieferer und wird, wenn alles normal verläuft, im Herbst eine Ausbildung beginnen. Eine Tochter hat einen Job in der Flüchtlingsverwaltung. Die Bezahlung ist ordentlich, aber zeitlich befristet. Eine weitere Tochter möchte Architektur studieren, eine berufliche Ausrichtung, die in Deutschland keine große Aussicht auf Erfolg hat, sich aber in Syrien anders darstellen würde.

So einfach sich die Jüngeren mit der deutschen Sprache anfreunden können, so schwer ist es für den Familienvater und seine Frau, obwohl beide viermal die Woche jeweils am Nachmittag Deutsch lernen. Die Fortschritte gehen gegen Null, wobei dies ein subjektiver Eindruck von mir ist, weil ich automatisch den Vergleich zu den Kindern herstelle.

Was läuft gut und weniger gut?

Ich habe mich in erster Linie auf die Jobsuche des Familienvaters konzentriert und gleichzeitig Möglichkeiten ausgelotet, wie die Tochter mit dem Jura-Abschluss in Syrien, in Deutschland ein adäquates Master-Studium absolvieren kann. Die Unterstützung seitens der Universität kann ich als sehr gut bezeichnen. Keinerlei Vorbehalte gegenüber Ausländern, im Gegenteil ein hohes Maß an Unterstützungsbereitschaft auch in der Ausrichtung des Studiums.

Was den Familienvater betrifft, er ist gelernter Schreiner, gestaltet sich die Jobsuche als nicht so einfach, schon allein deshalb, weil er über 50 Jahre alt ist. Aber auch hier bin ich fündig geworden, und es wird in der nächsten Woche ein Vorstellungsgespräch bei einem größeren mittelständischen Betrieb stattfinden. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.

Die beiden Töchter leben mit ihren Kindern und Ehemännern in einer Wohnung. Unter den Familien gibt es Spannungen, die in erster Linie auf die beengte Wohnungssituation zurückzuführen sind, aber auch auf den Umstand, dass die Erwachsenen entweder keine Arbeit oder die Arbeitssituation als prekär eingestuft werden muss.

Große Freude bereitet mir die jüngste Tochter, die auf das Gymnasium geht. Sie ist vielseitig interessiert und pfiffig. Natürlich beschäftigen sie auch Themen, die einen Teenager in ihrem Alter zentral tangieren. Nach anfänglichen Schwierigkeiten in ihrer Klasse, hat sich aber alles mehr oder weniger in Wohlgefallen aufgelöst. Hier kann man erkennen, was Integration in all seinen Facetten wirklich bedeutet.

Und was macht die Politik?

Manchmal frage ich mich schon, in welchen Land ich eigentlich lebe. Meine Kritik ist aber in erster Linie eine Gesellschaftskritik.

Ca. 10% der Menschen hier im Lande betreiben eine Willkommens-Kultur, unterstützen die Flüchtlinge, wie es in ihrer Macht steht. Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wäre die Flüchtlingshilfe längst zusammengebrochen. Das wissen die politischen Verantwortlichen sehr wohl und sind voll des Lobes für diese Leute. Wohin allerdings die Fördermittel fließen, hat die ehrenamtlichen Helfer nicht zu interessieren. Ja, so ist das nunmal „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“.

Ca. 10% der Bevölkerung ist strikt gegen die Flüchtlinge, wollen sie nicht hier haben, auch dann nicht, wenn sie das Land wieder verlassen. Es sind Rassisten, und sie sind wahrscheinlich auch noch stolz darauf. Ich erspare mir weitere Kommentare und warte geduldig auf den Shit-Storm.

80% der Bevölkerung geht die Flüchtlingsfrage mehr oder weniger am A……. vorbei, es sei denn, ihr Besitzstand ist gefährdet. Der Bau eines Flüchtlingsheims in der unmittelbaren Nachbarschaft, das geht gar nicht, weit weg aber schon und was ist mit dem Wert meiner Immobilie, wenn in meinem Stadtteil ein Flüchtlingsheim entsteht? Und was ist mit meinem Job, wenn ein (anerkannter) Flüchtling diesen zu einem deutlich geringeren Lohn erledigt? Bekomme ich überhaupt noch eine Wohnung, wenn auch noch die Flüchtlinge auf den Wohnungsmarkt drängen? Wenn mich das alles nicht wirklich tangiert, möchte ich dreimal im Jahr in Urlaub fahren, der Job ist schon stressig genug.

Die Politik hat ja den besorgten Bürger entdeckt. Dabei wird Besorgnis sehr gerne mit Angst gleichgesetzt. Und da schlägt dann die Stunde der Populisten, Hetzer und Angstmacher, die in der AfD ein politisches Sprachrohr gefunden haben. Aber nicht nur dort. Auch in den etablierten Parteien, in erster Linie in der CSU werden Töne angeschlagen, die sehr nahe an den politischen Positionen der AfD sind. Rechts von CSU darf sich keine politische Gruppierung aufhalten oder sogar etablieren, so die Devise der CSU-Führungsspitze. Nur, meine Herrschaften, die Leute wählen dann doch lieber das Original als die (schlechte) Kopie. Aber auch in der CDU ist Bundeskanzlerin Merkel eingeknickt. Der Türkei-Deal zeigt dies mehr als deutlich. Und was macht die SPD? Das was sie immer macht: hinterherdackeln.

So leid es mir tut, aber Europa mit seiner politisch verantwortlichen Elite hat kläglich versagt. 20 EU-Staaten nehmen praktisch überhaupt keine Flüchtlinge auf, der Rest Europas soll es dann richten. Wir zeigen mit dem Finger auf die Türkei, vergessen aber, dass die Türkei mit knapp 3 Millionen beherbergten Flüchtlingen mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als die „Wertegemeinschaft“ EU mit insgesamt 500 Millionen Einwohnern.

Aber ist Politik nicht letztendlich Ausfluss einer gesellschaftlichen Entwicklung? Wenn den Deutschen aber auch anderen Europäern morgen ihr Handy – Entschuldigung, habe ich ganz vergessen, das heißt ja jetzt Smartphone – abgenommen würde, käme es übermorgen zu einem Volksaufstand. Wenn aber im Mittelmeer tausende Menschen ertrinken, ist es doch am besten, wenn wir diese Bilder erst gar nicht zu sehen bekommen.

Als vor kurzem das Bild eines ertrunkenen Babys um die Welt ging, spürte ich Zorn und Ohnmacht. Fast schien es so, als ob dieses Baby gar nicht tot ist, sondern nur schlafen würde. Dem war aber nicht so. Jeden Tag ertrinken hunderte oder gar tausende von Menschen und den politischen Funktionseliten fällt nichts anderes ein, als dass nun endlich den Schleusern das Handwerk gelegt werden muss. Nicht nur die Schleuser verdienen sich eine goldene Nase, sondern auch diejenigen, die durch unfaire Handelsabkommen oder durch Waffenexporte zu den jetzigen Krisensituationen massiv beigetragen haben, gestützt durch eine willfährige und zudem menschenverachtende Politik. Ausbaden dürfen es dann die anderen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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