Es ist, als hätte sich das glanzvollste aller Festivals, die Salzburger Festspiele, das allzu Böse vorgenommen, um zu beweisen, dass es der schönsten Musik nichts anhaben kann. Da ist das grauenvolle Ehepaar Macbeth, das sich auf den Thron mordet. In Magda-Goebbels-Manier werden dazu noch zwei Dutzend Kinder vergiftet und Babyfleisch auf Brokkoli zum Festmahl serviert. Mozarts gar nicht mehr heitere „Commedia“ Le Nozze di Figaro wiederum handelt in Salzburg heuer nicht wie gewohnt von einem Grafen, dem Frauenlist das ius primae noctis verhagelt, sondern von Familienzwist in einem Mafiaclan. Da wird mit Pistolen herumgefuchtelt und der Graf/Padrone schießt scharf. Leichen pflastern seine Amouren.
Der politische Kern des Stücks kommt dabei zu kurz. Statt v
kommt dabei zu kurz. Statt vorrevolutionärer Spannung im Schloss postkapitalistische Kälte zwischen Sichtbetonwänden eines Hotels. Das macht das Stück aber nicht interessanter und versimpelt noch dazu das Chaos der Gefühle. Zwar geht es unentwegt um Sex, doch selten wurde lustloser verführt als ausgerechnet von Regisseur Martin Kušej, der vor Jahren in seinem legendären Salzburger Don Giovanni alle weiblichen Figuren in weißen Dessous aufspielen ließ. Die Gräfin betrachtet während ihrer betörenden Liebesleidarie versonnen Courbets berühmtes Bildnis einer behaarten Vulva, und eine nackte Frau wartet vergebens auf sie in der Badewanne. Zu spüren ist statt Liebe aber nur Eigenliebe. Schon während der Ouvertüre stehen die elf Personen der Handlung beziehungslos nebeneinander und werfen Drogen ein. Egomanie beherrscht ausgerechnet die Oper mit den schönsten Ensemblenummern, die jemals geschrieben wurden. Was für ein Paradox!Konterkariert wird die Vereinzelungsorgie immer wieder vom fleischgewordenen Eros namens Cherubino. Der elektrisierend liebestolle, von einer Frau (Lea Desandre) gesungene Jüngling ist in dieser Inszenierung sinnigerweise weder Mann noch Frau. Leider produziert der Regisseur aber auch zu viele einfallslose Szenen, vor allem im letzten Akt, wenn das nicht enden wollende Täuschen und Paaren buchstäblich in die mannshohen Binsen der Kulisse geht.Musikalisch und sängerisch überzeugt dieser Figaro ungemein. Biegsame, kraftvolle junge Stimmen überraschen mit Appreciaturen, die nicht in den Noten stehen. Möglich macht das der Spezialist für historische Aufführungspraxis, Raphaël Pichon, am Pult. Da klingen die Wiener Philharmoniker ungewohnt straff und transparent, wenn auch manchmal zu laut. Herausragend Adriana Gonzáles als Gräfin. Wieder einmal ein Durchbruch in Salzburg, wie vor zwei Jahrzehnten der von Anna Netrebko in Kušejs Don Giovanni. Die Stärke der jungen Sängerin aus Guatemala ist gesungenes Flüstern – sottovoce, die Stimmlage der Verzweiflung.Davon bietet auch Lady Macbeth eine Menge. Giuseppe Verdi verlangt „eine raue, erstickte, dumpfe Stimme“. Damit kann Asmik Grigorian nicht dienen. Allzu strahlend ihr Sopran, aber nie nur schön, immer auch von bebender Hysterie. Nach der politisch missliebig gewordenen Russin Netrebko ist die Litauerin derzeit die einzige Salzburger Großdiva. Der Netrebko ist sie zwar nicht stimmlich, doch darstellerisch überlegen.Zu Beginn ihrer Auftrittsarie singt sie nicht, sondern liest einen Brief vor, ehe sie sich in schrille Höhen hinaufschraubt, die den Wahnsinn ahnen lassen. Diese extreme Steigung wird in Salzburg leider verschenkt, weil den Brief eine fremde Stimme aus dem Off spricht.Wie beim Figaro steht auch bei Macbeth ein Paar auf der Bühne, das nicht durch Liebe verbunden ist. Hier gilt es allein der Gier nach Macht. Regisseur Krzysztof Warlikowski inszeniert vor allem den psychologischen Hintergrund. Während Macbeth sich von Hexen seinen Aufstieg prophezeien lässt, liegt die Lady auf dem Gynäkologenstuhl und erfährt von ihrer Unfähigkeit, Kinder zu gebären. Unfruchtbarkeit ist der Fluch dieses Paares, Kinder die Furien, die es jagen. Ihr erster Mord, ein Königsmord, schreit unweigerlich nach dem nächsten Blutvergießen. Alle Mordopfer erscheinen Macbeth in Kindergestalt. Aber die Mordlust ist der Realität nicht gewachsen. Wahnsinn überlagert die nachtschwarze Realität. Auch in dieser Inszenierung tritt die politische Dimension des Stücks zurück.Die Titelpartie überlässt Verdi nicht einem Tenor, wie es die Regeln der Konvention vorsahen. Doch auch im betörenden Bariton-Timbre von Vladislav Sulimsky bebt die Verzweiflung. Er sitzt entmannt im Rollstuhl, während sich die Lady die Pulsadern öffnet. Verdi wollte „keinen jener üblichen süßen Tode“.Auch Nebenrollen sind groß besetzt. Schade, dass der profunde Bass des Tareq Nazmi als frühes Mordopfer Banco nur mit einer Arie brillieren darf. Mit Jonathan Tetelmann als Macduff behält dann doch noch ein strahlender Tenor das letzte Wort.Das Orchester begleitet die Sänger nicht nur, sondern kommentiert das Geschehen. Wie in einem antiken Drama auch der gewaltige Wiener Staatsopernchor. Philippe Jordan lässt die Wiener Philharmoniker mit Wucht und kantablem Schmelz aufspielen, als sei das Italienische ihre zweite Natur. Jubel für den Dirigenten.