Im Leben des Boris Pistorius gibt es zwei Konstanten, eine feministische und eine friedenspolitische. 2019 sagte er in einem Interview mit der Bunten: „Ich war mein ganzes Leben umgeben von starken Frauen. Meine Mutter, meine verstorbene Frau, meine Töchter und nun Doris.“ Da war er gerade mit der Ex-Frau von Ex-Kanzler Gerhard Schröder liiert. Sie arbeitete als Landesbeauftragte für Migration, er hatte als niedersächsischer Innenminister auch mit Integrationsfragen zu tun. Doch selbst nach der Trennung der beiden im Sommer 2022 war Doris Schröder-Köpf noch voll des Lobes für ihren Verflossenen: „Er ist die perfekte Verbindung aus Erfahrung und Offenheit, Erdung und Vorstellungskraft, Verantwortungsgefühl und Großzügigkeit
voll des Lobes für ihren Verflossenen: „Er ist die perfekte Verbindung aus Erfahrung und Offenheit, Erdung und Vorstellungskraft, Verantwortungsgefühl und Großzügigkeit. Und er ist ein ‚Kind der Mitte‘ – privat und politisch.“ Das einzige Handicap, das sie nennen wollte, war: Er hat eine Schwäche für Süßes. Kein Wunder, dass ein solcher Mann der beliebteste Spitzenpolitiker der Deutschen ist. Zu verdanken hat er das vor allem seiner Mutter.Der Vater der Redenschreiberin von Boris Pistorius veröffentlichte im „Spiegel“ eine Lobeshymne auf den MinisterUrsula Pistorius, geborene Raabe, stammte aus Frankfurt (Oder). 1949 übersiedelte sie nach Osnabrück und heiratete dort den aus Packebusch in der Altmark stammenden Ludwig Pistorius. Als die drei Kinder des Paars aus dem Gröbsten heraus waren, trat Mutter Ursula 1970, mit 37 Jahren, in die SPD ein, wobei sie Willy Brandts Ostpolitik als Motiv nannte. Anschließend saß sie 24 Jahre im Stadtrat von Osnabrück, holte drei Mal das Direktmandat für den Wahlkreis Osnabrück-Ost und war von 1986 bis 1990 stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag – zur gleichen Zeit wie Gerhard Glogowski, der kurz darauf Innenminister wurde. Und wie es der Zufall so will, begann genau hier Boris Pistorius’ Polit-Karriere. Der frischgebackene Jurist startete 1991 als persönlicher Referent und späterer Büroleiter des Innenministers Gerd Glogowski, dessen Ressort er 2013 übernehmen sollte.Im Amt des Innenministers erwarb sich Pistorius das Medien-Etikett des „roten Sheriffs“, welches vor ihm schon Otto Schily und Henning Voscherau getragen hatten. Für den Bundestagswahlkampf 2017 entwarf er das Law-and-Order-Programm der SPD und war als Bundesinnenminister gesetzt. Daraus wurde bekanntlich nichts, genauso wenig wie aus seiner Kandidatur für den SPD-Vorsitz – gemeinsam mit der starken Frau Petra Köpping, der sächsischen Staatsministerin für Gleichstellung und Migration. Das Duo landete abgeschlagen mit 31.230 Stimmen auf dem vorletzten Platz.Seiner Beliebtheit schadete das nicht. Nicht nur Doris Schröder-Köpf bewundert seine „Meinungs- und Führungsstärke“, auch viele Journalisten begleiten ihn mit übergroßer Sympathie. „Zum Durchgreifen verdammt“, schrieb ehrfürchtig der Tagesspiegel, „Alles hofft auf sein Kommando“, schwärmte der Spiegel in einer Titelstory über den Anfang 2023 ins Amt gekommenen Bundesverteidigungsminister. Ein „Vollblutpolitiker“, der „Klartext redet“, schien endlich „aufzuräumen“, Versager zu feuern und überhaupt ein strammes Regiment zu führen. Dass die Tochter des Spiegel-Autors zur gleichen Zeit als Redenschreiberin für Pistorius tätig war, musste das Blatt später kleinlaut einräumen.Es ist – zugegeben – für Minister keine leichte Zeit. Überall Krisen, dazu die doppelte Anforderung von ökologischer Transformation und sicherheitspolitischer Zeitenwende. Da trifft es sich gut, dass Pistorius’ neue Lebensgefährtin die Ex-Frau des Osnabrücker Ex-SPD-Abgeordneten Martin Schwanholz ist. Die Politologin Julia Schwanholz forscht nämlich genau zu diesem Problem: dem schwierigen „Regieren in Ausnahmezeiten“.Pistorius wählte Russisch als Abiturfach und war Oberbürgermeister der „Friedensstadt“ OsnabrückWomit wir bei der zweiten Konstante im Leben des Boris Pistorius wären, der friedenspolitischen Verpflichtung, die schon seine Mutter zur SPD führte. Der Sohn – benannt nach dem russischen Schriftsteller Boris Pasternak – hatte Jura in Münster und Osnabrück studiert, also in jenen Städten, in denen 1648 der Westfälische Frieden zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges verhandelt wurde. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn Pistorius nicht, vor seiner Amtszeit als Innenminister, sieben Jahre lang Oberbürgermeister von Osnabrück gewesen wäre. Dort hatte er am alten Rathaus täglich jene Türklinke in der Hand, die in Gestalt einer Friedenstaube an das Kriegsende von 1648 erinnert. Osnabrück nennt sich „Die Friedensstadt“ und betrachtet den Leitsatz „Frieden als Aufgabe – dem Frieden verpflichtet“ nicht als Leerformel.Die Aussöhnung mit dem Osten, die für seine Mutter so wichtig war, prägte auch Boris Pistorius. Er wählte Russisch als Abiturfach, war später Mitglied der deutsch-russischen Freundschaftsgruppe des Bundesrats, warb noch 2018 für einen freundlich-kritischen Umgang mit Russland, lehnte Sanktionen ab und sagte, es könne keine europäische Friedenspolitik ohne Russland geben.Das will er heute nicht mehr hören. Aber wenn ein Politiker von der Gesellschaft plötzlich „Kriegstüchtigkeit“ verlangt und verbal den starken Mann markiert, darf man auch mal an die eigentlichen Konstanten in seinem Leben erinnern.