Heimat - nein danke!

Polemik Der Heimatbotschafter Heino freut sich, "dass das Wort Heimat wieder in den Mund genommen wird". Vielleicht sollte der Freude ein Nachdenken vorangehen

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Heimat – fast so, wie Manni sie sieht. Vielleicht sollten wir darüber doch noch einmal nachdenken
Heimat – fast so, wie Manni sie sieht. Vielleicht sollten wir darüber doch noch einmal nachdenken

Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images

Da ist sie wieder, die Heimat, dieses, wie Helmut Kohl, der fast vergessene Kanzler, wusste, unübersetzbare heilige Wort. Heimat ist etwas Heiles, etwas, das geschützt werden muss, bewahrt vor der Unbill der Moderne, vor der sie wiederum uns schützt. Heimat ist unversehrte Landschaft, ein Dorf mit Fachwerkhäusern, eine Kirche in der Mitten, ein Gasthaus, vor dem im Mai die Heimattanzgruppe der Burschen und die Mädels jauchzen. Heimat ist männlich, vertreten durch die Herren Gutsherr, Landrat, Pfarrer, Förster, Lehrer. Heimat ist das Vaterland en miniature, das darum auch locker Heimatland genannt wird. Heimat ist einfach authentisch. Sie wird wieder gebraucht, die Heimat.

Heimatkonjunktur

Sie blieb sich treu, trotz aller Veränderungen. In der napoleonischen Zeit als Land der germanischen Stämme, in der wilhelminischen als Heimatverein, im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Heimatfront, in der Nazizeit als Heimatschutz und Heimatsterne, in den 50er Jahren als Heimatfilm, in den 70ern und 80ern als Heimat des grünen Widerstands, nach 1989 sogar in atemlosen Abständen – und nun erblickt sie per politisch exekutierten Kaiserschnitt erneut das Licht der Wirklichkeit. Und diese sie. Die Grünen wollen sie (ihr Nachwuchs nicht), die SPD druckst noch herum, die Linke will sie weder als auch (vielleicht wird die Brecht-Hymne nachhelfen), und die Christdemokraten lieben ihre Heimat sowieso. Das half schon in den 50ern über manches Dunkle hinweg. Und selbst der heimatkritische Verfasser dieser Zeilen outete sich neulich, unfreiwillig allerdings, als „Heimatshopper“. So stand es auf seiner Einkaufstüte.

Aber gemach! So schlimm ist es nun auch wieder (wieder?) nicht. Das hat die nordrhein-westfälische Heimatministerin ganz deutlich erklärt, auf dem bundesweit ersten Heimatkongress in Münster: Der rückwärtsgewandte, trennende Heimatbegriff sei doch gar nicht gemeint. Heimat hat jeder in sich. Man nimmt sie mit. Sie ist immer dabei... Heimat ist nichts, was von oben verordnet werden kann. Und die präsentierten „Best practices“ belegten: Heimat schließt ein statt aus. Zum Beispiel in Siegen-Achenbach. Dort, so der Bericht meiner Heimatzeitung, binden Aktive Flüchtlinge erfolgreich in den Bundesfreiwilligendienst ein. Oder ist es etwa rückwärtsgewandt, wenn ein ghanaisches Flüchtlingsmädchen ein Heimatlied vorträgt mit Zeilen wie: Ich liebe meine Heimat. Sie ist so wunderschön, auch wenn sie so klein ist. Sie ist klein, aber fein, ja-a-a-? Natürlich nicht. Oder ist es reaktionär, wenn der zum „Heimatbotschafter“ ernannte Sänger Heino die positive Botschaft überbringt: Ich bin froh, dass man das Wort Heimat wieder in den Mund nimmt? Für den ehemaligen Konditor schmeckt Heimat halt nach Haselnusskuchen. Ist es etwa herrschaftliches Denken, wenn ein anderer Heimatbotschafter, der Präsident des Landesjagdverbandes NRW und langjähriges CDU-Miglied, sein Verständnis von Heimat präsentiert: Nach einem erfüllten Tag in der Natur mit guten Freunden einen Wildbraten genießen, auf der Haut noch das Kribbeln der kalten Herbstluft und teils schon die Wärme des Kamins, das ist für mich Heimat? Natürlich nicht, denn für die Proleten gibt es ja auch etwas. Heimat ist, wenn es nach Currywurst-Pommes-Schranke riecht. Der Ex-Fussballreporter und Heimatbotschafter Manni Breuckmann weiß halt, was die Ruhrprollis so mögen. Heimat für die historisch heimatlosen Malocher ist hier Fussball, Bier und fettes Essen.

Die Oberjägerheimat und die Proletenheimat zeigen: hinter der Heimatfrage versteckt sich die alte soziale Frage, besser: sie wird versteckt. Allerdings dringt ein ständisches Aroma durch. Schon 1989 hat der kritische Volkskundler Hermann Bausinger in Anlehnung an Max Frisch aufgefordert, denjenigen auf die Finger zu sehen, die besonders viel Heimat haben – viel Heimat in Hektar und harter Währung. Reiche und Arme, Winner und Looser im heimatlichen Bunde. Und man muss schon sehr gerührt sein wollen, um in den genannten Beispielen nicht auch den kolonialen Habitus wiederzufinden. Die „Bindungen“ im „Bundesfreiwilligendienst“ sind durchaus auch wörtlich zu nehmen. Die Geflüchteten haben zu dienen, zum Beispiel bei heimischen Senioren oder bei der Pflege des öffentlichen Rasens, ein „offener identitätsstiftender Prozess“, so das NRW-Heimatministerium. Dieses Heimatgefühl ist der Landesregierung über 100 Millionen Euro wert, verteilt über „Heimat-Schecks“, „Heimat-Preise“ (etwa für Patenschaften mit den Siebenbürgener Sachsen und den Oberschlesiern), „Heimat-Werkstätten“ (nicht mehr „workshops“) und „Heimat-Fonds“. Es soll sich rechnen, die Heimat zu lieben. Rechnete es sich nicht eher, die Summe (und noch viel mehr) in eine gute Infrastruktur zu investieren?

Heimat in guter Absicht

Aber, so könnte man argumentieren, die Heimatkampagne dient doch guten Zwecken. Sie ist zum Beispiel Ausdruck von „betreuender Sozialpolitik“ im Zeitalter der Globalisierung im Zustand der „Ent-Räumlichung“ (Hartmut Rosa). Heimat könnte ein Gegenpol zu einer Welt des rasenden Stillstands sein, eine Oase der Entschleunigung. Zu viele Menschen erleiden Nietzsches „Weh dem, der keine Heimat hat.“ Allerdings scheinen die beschriebenen Maßnahmen auf die Erweckung der alten Heimatbilder zu zielen, auch wenn ausdrücklich niemand exkludiert werden soll. Noch nicht, möchte man bescheiden einwenden. Denn die „prägenden Besonderheiten, mit denen sich die Bewohnerinnen und Bewohner identifizieren“ (NRW-Heimatministerium) waren schon immer verlogen. Jeder Versuch ihrer Konkretisierung zeigt dies. Die „Heimat“ ist ein von frustrierten Städtern entwickeltes Konstrukt, um den Subalternen mit seinem Kleben an der Scholle, mit dem stumpfsinnigen Trott seiner geregelten Arbeit und mit einer verregneten Landschaft, die er nicht leiden kann, zu versöhnen, schrieb so drastisch wie wahr Wolfgang Pohrt schon in den Achtzigern. Versöhnen vor allem, dies möchte man ergänzen, mit der Obrigkeit, sei sie auto- oder demokratisch. Auch die Instrumentalisierung des aufgeladenen und die Menschen überfordernden Heimatbegriffs führte in die bekannten kleinen und großen Katastrophen.

Was bleibt, ist das große Ziel: Man darf den Heimatbegriff und das damit Gemeinte nicht den Rechten überlassen, für die repräsentativ Erik Lehnert, Leiter des mittlerweilen bekannten Instituts für Staatspolitik zitiert sein soll: Heimat setzt Verwurzelung voraus, die dauert, so lange, bis man dort heimisch ist... Heimat ist einer unserer Leitbegriffe... Am Ende geht es immer um eine emotionale Bindung an eine historisch gewachsene Schicksalsgemeinschaft, um einen konkreten Bezug zu einer Landschaft und ihren Menschen, um die Dinge, die sich eben nicht ändern. Schon beim flüchtigen Lesen fallen die Unterschiede auf. Für die NRW-Heimatministerin ist die Heimat offen für „Fremde“ und damit – allerdings in auch landschaftlichen Grenzen inklusive „prägender Besonderheiten“ - veränderbar. Es ist eine Heimat "von unten" (die aber Elemente der alten Heimat "von oben" aufnimmt). Von einer „Schicksalsgemeinschaft“ und deren düsteren Konnotaten ist sie weit entfernt. Und die heimatlichen Wurzeln, „die alle Menschen in sich tragen“ (schön-schräges Bild) sind bei ihr „unsichtbar“.

Spannend wird es jedoch bei ihren südlichen Parteivettern, die an ihrer Heimatfront tapfer wie die Burgunder mit den AfDlern fechten. Mit den gleichen Waffen: Für Deutschlands obersten Heimatpfleger gehört bekanntlich der Islam nicht zur deutschen Heimat. Deren Grenzen werden fortan noch besser heimatgeschützt. Der konservative Revoluzzer Dobrindt weiß: In einer sich immer schneller wandelnden Welt sehnen sich die Menschen nach Heimat, Sicherheit und Freiheit. Diese Besinnung auf Tradition und Werte in der Mitte unserer Gemeinschaft ist die konservative Revolution. Geschlossene Heimat: Der Konservative beschreibt sich aus seinem christlichen Wurzelgeflecht. Wurzelgeflecht ist beeindruckend. Man möchte Dobrindt mit Benn antworten: Wer Heimat sagt, ist schon entwurzelt. Aber das würde er nicht verstehen wollen. Und darum bleibt einem nichts anderes übrig, als den Sozialdemokraten Johann Jakoby zu zitieren, der 1870 den Vaterlands- und Heimatfanatikern zurief:

Das Wort Vaterland hat keinen Zauber für uns. Vaterland in Eurem Sinne ist ein überwundener Standpunkt, ein reaktionärer Begriff. Die Menschheit lässt sich nicht in nationale Grenzen einsperren; unsere Heimat ist die Welt: ubi bene ibi patria.

Heute haben wir die Chance, die Welt zur Heimat zu machen. Wir sollte sie nutzen, bevor sie endgültig zur rechten Heimat wird.

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