Von Ariern und Heloten

Kontinuitäten "Wir haben das 20. Jahrhundert verlassen, aber es hat uns nicht verlassen" (Aleida Assmann). Überdeutlich zeigt dies das Reden über "die" Griechen - Tag für Tag

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Deutsche kommen nur noch als Touristen zur Akropolis
Deutsche kommen nur noch als Touristen zur Akropolis

Bild: Milos Bicanski/Getty Images

Faktenkenntnis ist für einen Fokus-Redakeur selbstverständlich Mindeststandard. Auch und gerade, wenn es um Griechenland geht. Genauer, um die Griechen, wobei stets der Artikel zu betonen ist. Und darum zitiert Michael Klonovsky zustimmend die 185 Jahre alte Diagnose des Orientalisten Fallmerayer, die neuzeitlichen Griechen seien ein „entartetes Geschlecht“ und „Abkömmlinge slawischer Unholde“. Klonovsky belegt auch faktengesichert, dass die modernen Griechen ihre Unähnlichkeit mit ihren Vorfahren quasi täglich beweisen. Haben sie heute etwa bedeutende Dichter, Künstler, Philosophen? Und einmal in (oder auf?) Fahrt: Hat Spengler nicht doch recht?

Nun ist Klonovsky dafür bekannt, dass er als moderner Leonidas mit den Spartiaten der Jungen Freiheit sein Heldenblut gegen die linken asiatischen Horden (oder sind es anglo-amerikanische?) der Political Correctness vergießt, und seine hier zitierten Weisheiten erschienen schon vor fast fünf Jahren. Nicht wenig Kritik hat er damals geerntet. Aber noch vor kurzem sah sich der Kulturredakteur der Welt, Berthold Seewald, in der Pflicht zu bemerken, dass es sich bei gegenwärtigen Griechen eben nicht um Nachfahren eines Perikles oder Sokrates handelt, sondern um eine Mischung aus Slawen, Byzantinern und Albanern handele. Die Folgen, so der Autor, seien täglich zu bestaunen.

Die heutigen Griechen als „Levantiner“ darzustellen, ist anscheinend für nicht wenige Deutsche ein dringendes Bedürfnis. Wie sonst wäre der „Erfolg“ der antigriechischen BILDkampagnen zu erklären? Jeder Cent für dieses betrügerische Land (!) ist verloren. Die Griechen reden von Ehre. Wenn sie eine Ehre hätten wären sie schon lange aus der EU ausgetreten, schimpft BILD-Leser S***a R***i. Er ist einer von Tausenden, bei denen es einfach mal 'raus muss. Die eingebildete und eingeredete Angst um die EC-Karte gebiert den Rassismus. Oder weckt ihn zu neuem Leben.

Nordische Völker in Hellas

Die heutigen „Dekonstruktionen“ sind manchmal die Konstruktionen der Nazis. S***a R***is Ehr-Abschneidung hat als Prämisse, dass die Griechen halt keine „Arier“ mehr sind. Arya – das wissen wir seit Schlegel – bedeutet im Ur-Indogermanischen Ehre. Und für die Rosenberg und Hitler sind die Akropolis und der Parthenon geradezu Stein gewordener nordischer Geist. Aus dem Norden – genauer, aus den „eisfreien Gebieten des altsteinzeitlichen Europa“ (Hans F. K. Günther) gelangen die „ausgelesenen“ Mannen der nordischen Rasse nach Griechenland und darüber hinaus.

Günthers diverse „Rassenkunden“ sind im Dritten Reich Bestseller. Der Lehrstuhlinhaber ist die Referenz überhaupt und hat für den Normalnazi immer recht (wenn nicht der Führer etwas anderes andeutet). Und als solcher weiß er: Die Götter und die Helden der Ilias sind blond. Und wenn er fast verliebt Helenas Haare („blond und fein wie Seide“), Augen („strahlend blau") und Haut ("von blendendem Weiß") beschreibt, dann müssen sich die Ufa-Stars schon anstrengen.. Rezeptionsgeschichtlich interessant ist übrigens, dass auch im vorerst letzten Troia-Film Helena blond ist und Brad Pitt helle Haarsträhnen hat.

Die Deutung der griechischen und römischen Geschichte (für einen wie Günther natürlich „Tatsachenforschung“ ) hat eine wichtige Funktion für das Denken und Handeln der Nazis (1). Sie belegt angeblich, dass die Geschichte bis zur (damaligen) Gegenwart die Geschichte des "Naturgesetzes" des permanenten Rassenkampfs ist. Dieser Diskurs wird von Wissenschaftlern „kapillarisiert“, durch die staatlichen und kulturellen Instanzen garantiert und „augenscheinlich“ gemacht, bis endlich der Glaube glaubhaft ist (und auch die meisten der Ideologieproduzenten daran glauben). Der nordische, also germanische, also deutsche Ursprung jeder indogermanischen Kultur ist keine wissenschaftliche Hypothese mehr, sondern Staatsdogma.

Die nordische Rasse formt Europa seit Jahrtausenden. Prometheus wird zum „Urgermanen“. Das annexionistische Imaginaire bereitet mittelfristig die realen Annexionen des kommenden Krieges vor. Mit der „Translatio imperii“ von Athen über Rom nach Berlin wird gleichzeit der Lebensraum der nordischen Rasse beschrieben. Die „Träger“ des kategorischen Rassenimperativs werden hauptsächlich in den Schulen, aber auch mittels Medienbotschaften disponibel gemacht. Der Schweizer Historiker Daniel Wildmann hat diesen Vorgang unter anderem am Beispiel des Fackellaufs im Olympiafilms überzeugend dargelegt: In der lodernden Flamme verkörpern sich die kosmologischen Akte Leben-Spenden und Leben-Erneuern. Die Fackel überschreitet die Grenzen zwischen der mythischen Vergangenheit und der unmittelbaren Gegenwart (2).

Dazu braucht es den „vollen Menschen“, den gesunden Rassekörper. Immer wieder wird mit Bezug auf das „Griechentum“ der antike Heroismus, der „Sieg über den inneren Schweinehund“, die Opferbereitschaft verwiesen. Zentral ist der angeblich typisch indogermanische agon, der Wettkampf, . Der „Mens sana“-Spruch wird auch im Nationalsozialismus nicht nur von den Studienräten geliebt. Arno Breker schafft dazu die herkulischen Vorbilder: Prometheus, der Wächter, Auszug zum Kampf als Gegenbilder zu den degenerierten Körpern der Orientalen.

Wie aber konnte das hehre Griechentum untergehen? Spenglers Morphologie wirkt zwar nach, aber prinzipiell gilt bei den Nazis das in „Mein Kampf“ vorgegebene Prinzip des Rassenkampfs. In der griechischen und römischen Antike stoßen das aufbauende nordische Abendland und der destruktive Osten zunehmend aufeinander. In den Perserkriegen tun sich vor allem die Spartaner hervor. Sie widerstehen der „Entnordung“ am längsten. Kein Geringerer als Benn preist sie: Sie sind Träger des hohen Altertums, der alten Sprache... Ihr Traum ist Züchtung und ewige Jugend, Göttergleichheit, großer Wille, stärkster aristokratischer Rassenglaube (Dorische Welt, 1934). In der Großstadt Athen beginnt für den Dichter der Niedergang mittels Massendemokratie und Modernität, deren Zeichen Machtgier, Verwilderung, Ausbeutung, Sykophantentum und Bestechlichkeit sind.

Der „letzte Dorer“ ist für Benn und die maßgeblichen Philosophen der Zeit Platon, und zwar der Platon der Politeia. Er gilt quasi als nordischer Meisterdenker des rassischen Widerstandes im Zeitalter der Demokratie. Günther "weiß": Zur Zeit Platons müssen die Blondhaarigen eine sehr schwache Minderheit gewesen sein... Die attische Aristokratie, die Eupatriden, lag im Sterben. Platon habe noch einmal Führer erziehen wollen im Kampf gegen die Sophisten, „Menschen asiatischer Rasse“. Auch Sokrates sei nicht „einwandfrei“. Verweist Günther auf „ostische Rassenmerkmale“ des Philosophen, so tadelt Rosenberg dessen „Individualismus“. Zudem sei Sokrates „der internationalistische Sozialdemokrat seiner Zeit“. Die Massendemokratie, so Rosenberg, war nicht die Regierung durch das Volk, sondern die Herrschaft Kleinasiens über die griechischen Völker. Die wahre Volksherrschaft ist die nordische, eine „aristokratische Volksherrschaft“ (Goebbels). Die hellenistische Epoche ist (wie schon bei Spengler) die Zeit des Niedergangs durch Rassenmischung. Der "Levantinismus" ist die natürliche Folge. Mit den Worten Benns: Der Mythos ist verbraucht. Thema wird das Leben und die Geschichte. Die dorische Welt war männlich, nun wird sie erotisch, es beginnen Liebesfragen, Weiberstücke, Weibertitel... diese Serie endet in Nora und Hedda Gabler. Die nordische Welt ist eine Welt von Männerbünden.

Deutsche Männer und die Griechen

Am 28. Oktober 1940 erwidert der griechische Militärdiktator Metaxás die italienische Kapitulationsaufforderung mit einem trockenen Oxi. Noch am selben Tag erklärt Mussolini Griechenland den Krieg. Die italienische Offensive versinkt jedoch im Morast. England schickt entlastende Divisionen nach Griechenland. Hitler, schon den Überfall auf die SU im Blick, befiehlt die „Operation Marita“ gegen Griechenland. Am 6. April 1941 marschiert die 12. Armee in Griechenland ein. Angesichts der italienisch-deutschen Übermacht muss Griechenland kapitulieren (gleich zweimal, weil die Italiener sich zurückgesetzt fühlen). Die Deutschen ziehen auch über die Termopylen, zur Begeisterung des Völkischen Beobachters: Heute schließt sich der Kreis der Weltgeschichte an den Termopylen. Vor 2500 Jahren widerstand das griechische Volk einem zahlenmäßig überlegenen Feind. Heute jagen wir mit mächtigen Schlägen die Engländer aus Europa und Griechenland. Im Reichstag lobt Hitler die Tapferkeit der Griechen.

Der Blitzkrieg wird gar als erneute, genauer, als vierte nordische Einwanderung dargestellt. Auf der Akropolis weht die Hakenkreuzfahne, und die Ausgrabungen in Olympia werden wieder aufgenommen. Die Rassen-Spezialisten der SS finden in Griechenland – wie zu erwarten – Reste nordischen Blutes (vor allem in Lakonien), aber auch Bevölkerung „westischen, dinarischen und asiatischen Ursprungs“ (in den großen Städten). Dennoch, so das „Fachblatt“ „Volk und Rasse“ im Jahre1941, könne man nicht von einer völlig „levantinisierten Bevölkerung“ sprechen. Die Fachleute entdecken gar, dass noch eine unbewusste Erinnerung an den nordischen Ursprung im griechischen Volk schlummert. Ist der Mythos also doch nicht verbraucht?

Wenn „notwendig“, zeigt der deutsche Besatzer allerdings ein anderes Gesicht. Gemäß dem Prinzip der „Ausnützung der besetzten Gebiete für die drei Wehrmachtsteile“ finden brutale Konfiskationen statt. Die Industriegüter werden ebenso konfisziert wie der für die Kriegsmoral (und den deutschen Fiskus) wichtige Tabak. Der Lebensmittelimport nach Griechenland wird hingegen völlig unterbrochen. Die Knappheit produziert den schwarzen Markt und eine galoppierende Inflation. Im Winter 1941/42 verhungern Hunderttausende. Die Tuberkulose wütet vor allem unter Kindern. Der Griechenfreund Göring kommentiert: Wir können uns nicht übertrieben um die hungernden Griechen kümmern. Das ist ein Unglück, das auch andere Völker treffen kann.

Allerdings müssen aufgrund des Problems, dass die deutschen Soldaten in Drachmen besoldet werden, deutsche und italienische Finanzexperten intervenieren. Der Historiker Götz Aly hat gezeigt, dass die „Problemlösung“zum nicht geringen Teil in der brutalen Enteignung der jüdischen Bevölkerung von Saloniki bestand, die anschließend deportiert wurde. Der griechische Kollaborationsstaat wurde von den „Ausnützungskosten“ entlastet, und dafür wurde das den Juden geraubte Gold an der Athener Börse an griechische Spekulanten veräußert. Die Inflation wurde vorerst gebremst.

Dieses andere Gesicht der Deutschen haben die Kreter schon im Juni 1941 kennengelernt. Diese werden mit dem massiven kretischen Widerstand konfrontiert. Als Reaktion auf angebliche Partisanenmassaker werden in Kondomari die männlichen Bewohner des Dorfes erschossen. Noch weitaus schlimmere Kriegsverbrechen folgen. Kondomari gibt das Muster vor:Der kommandierende Offizier ist außer (?) sich. Über hundert Männer habe er durch diese „Schweine“ verloren. Beim Anblick eines getöteten Soldaten beklagt er: „Wieder ein ausgeplündeter Kamerad!“ Ein anderer Offizier versucht ihn vom Massenmord abzuhalten, doch er beruft sich auf einen Befehl vom „Hermann“ (von dem er kurze Zeit später das Ritterkreuz erhält).

Sein Griechenbild scheint unter den Mannschaften gängig zu sein, wie die Feldpostbriefe belegen. Ein H.G.schreibt am 2.5.1941 an seine Eltern: Ersäufen sollte man die ganze Bande. Klauen wie die Raben und bescheißen dich schlimmer als die Juden und lispeln gut Germanski... Der berühmte orientalische Schacher fängt hier überall schon an. Der für das Kriegsverbrechen von Kalavryta verantwortliche General Le Suire schimpft auf das „Sauvolk“ und „das Land der Nichtstuer, Schieber, Korrupteure“.

Der feinsinnige Schriftsteller und Bibliothekar Erhart Kästner betätigt sich in Griechenland als „Dichter im Waffenrock“ (Arn Strohmeyer). In der Urfassung seines Kretabuchs bewundert er die deutschen Soldaten als Lichtgestalten aus dem Norden. Die Griechen sind ihm „Lemuren“, „schwärzlicher Pöbel“. Sie sind halt eine südländische Menschenrasse. Die von den Nordländern begangenen Kriegsgräuel und Judendeportationen (deren Zeuge er war) werden natürlich nicht erwähnt.

Nach dem Krieg gilt für die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland das übliche Prinzip des kollektiven Beschweigens. Die Deutschen kommen mittlerweile nicht mehr als Wehrmachtsoffiziere und -soldaten, sondern (wieder) als Touristen nach Griechenland. Die zahlreichen Orte der Verbrechen kennen sie nicht (bis in die 80er/90er Jahre), dafür haben sie (statt Nietzsche) Erhart Kästner im Gepäck. Dieser „souveräne Begleiter auf dem Pfad der wenigen“ (FAZ 2004), gibt noch 1962 in der deutschen Ausgabe des Blauen Führers den Tipp, sich mit billigen Geschenken für griechische Gastfreundschaft zu bedanken. Die Eingeborenen sind ja so dankbar. Zur gleichen Zeit lernen die Bürgerkinder in den Gymnasien immer noch das „Wanderer, kommst du nach Sparta...,“

Heidegger nannte das Schweigen die „andere wesenhafte Möglichkeit des Redens“. Heute schweigen sie nicht mehr. Sie reden ganz offen. Soll man sich darüber freuen?

(1) Johann Chapoutot, Le nazisme et l'Antiquité, Paris 2012 (Presses universitaires)

(2) Daniel Wildmann, Begehrte Körper. Konstruktion und Inszenierung des "arischen" Männerkörpers im "Dritten Reich", Würzburg 1998 (Könighausen & Neumann)

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