Einigung bei GDL und Deutscher Bahn: Ein Arbeitskampf, der auch das Streikrecht stärkt

Meinung Es ist ein Sieg der GDL, und doch hat auch die Deutsche Bahn ihr Gesicht gewahrt – eine beeindruckende Selbstschlichtung
Die GDL hat die 35-Stunden-Woche durchgesetzt
Die GDL hat die 35-Stunden-Woche durchgesetzt

Foto: Sven Simon/Imago

Die Lokführer:innengewerkschaft GDL setzt im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn ihre Hauptforderung durch: 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Ihr Argument war die große Arbeitsbelastung der Lokführer:innen gewesen, zumal wegen der Schichtarbeit. Sie konnte darauf verweisen, dass manchmal nur neun Stunden zwischen zwei Schichten liegen; in so kurzer Zeit nach Hause zu fahren, zu essen, zu schlafen, zur Arbeit zurückzufahren und sie dann noch mit vollem Geschick zu bewältigen, wer wollte das gutheißen? Es war nur zu verständlich, dass die GDL hart streikte.

Wenn dagegen von Politikern der Unionsparteien eingewandt wird, die Bahnkunden hätten doch auch ein Recht auf „Mindestversorgung“ und die sei unterschritten worden, so vergessen sie, dass Versorgung von Sorge kommt. Worum man sich beim Bahnverkehr zu sorgen hat, ist die Sicherheit vor Unfällen und nicht die Gewähr, dass auch während eines Arbeitskampfs möglichst viele Züge fahren. So ist es ja auch, wenn in Krankenhäusern gestreikt wird: Was es auch dann geben muss, ist der volle Schutz des Lebens und der Gesundheit der Patient:innen. Was würden mehr Bahnzüge während eines Streiks nützen, wenn einer entgleist, weil die Lokführer:in müde war?

Obwohl man sich aber auf 35 Stunden Arbeitszeit geeinigt hat, darf auch die Bahn mit Recht behaupten, dass sie an ihrem Standpunkt festhalten konnte. Denn es wird die 35 Stunden nicht automatisch geben, wie die GDL wollte, sondern nur für Lokführer:innen, die sich dafür entscheiden und es anmelden, statt eine zusätzliche Lohnerhöhung (über die generelle hinaus, auf die man sich auch geeinigt hat) zu wählen.

Das bedeutet im Grunde, dass Gewerkschaft und Bahn den Gegenstand ihres Streits an die Arbeitenden selbst zurückdelegiert haben: Wer wie bisher 38 Stunden oder wer sogar 40 Stunden arbeiten will, kann das tun; er oder sie bekäme bei 40 Stunden 14 Prozent zusätzlichen Lohn. Angenommen, alle würden das wählen, hätte die Bahn Recht gehabt mit ihrer Behauptung, der Kampf um 35 Stunden habe eine Not der Beschäftigten erfunden, die es gar nicht gebe. Wenn sie dafür 14 Prozent mehr zu zahlen bereit ist, kommt sie das immer noch billiger, als wenn sich alle für 35 Stunden entscheiden. Denn dann müsste sie wirklich mehr Lokführer:innen einstellen, wogegen sie sich vor allem sträubte.

Schlichtungsversuch künftig vielleicht vor dem Streik

Die GDL hat im Übrigen angeboten, mit der Bahn über ein Schlichtungsabkommen zu verhandeln. Sie nimmt damit eine der Forderungen auf, mit denen die Unionsparteien und auch die FDP das Streikrecht einschränken wollen: Man würde sich darauf einigen, dass ein Schlichtungsversuch am Beginn des Arbeitskampfs stünde und es zu Streiks erst nach dessen Scheitern käme. Darauf kann sich die Gewerkschaft einlassen, es schadet dem Arbeitskampf nicht, es kann im Gegenteil dazu beitragen, dass die Perspektiven der Tarifgegner in der Öffentlichkeit von Anfang an durchsichtig werden. Zugleich zeigt die GDL mit ihrem Angebot, dass sie bei aller Entschiedenheit kompromissfähig ist, und schwächt so auch die Angriffe derer, die am Streikrecht rütteln.

Das tut sie, obwohl solche Angriffe gar keine Chance haben, denn der Kanzler hat sich schon deutlich positioniert. Das Recht, Arbeitskämpfe zu führen, sagt Olaf Scholz, „gehört zu den Freiheiten, die in unserem Grundgesetz so fest geregelt sind, dass sie nicht einfach abgeschafft werden können, auch nicht durch Gesetze“. Für solche Brandmauer-Klarheit brauchen wir die SPD, der Scholz angehört.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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