Ein Sachse sprach, und Stuttgart tobte. Die Lokführer in Schwaben waren schwer begeistert, aber Claus Weselsky lieferte auch ab: Jene Rede von Ende Januar steht bei Youtube zur Verfügung, und man lernt dabei so einiges über die Geschichte der Deutschen Bahn. Natürlich auch über die Tarifauseinandersetzung, und warum eine ganze Branche so entschlossen kämpft. Vulnerable Gemüter seien gewarnt: Der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) wählt Worte wie „Nieten in Nadelstreifen“, „Schmuddeljournalismus“, „Wir treten an gegen Unrecht“ und „Lügenpresse“, wenngleich das alles stets in einem nachvollziehbaren Kontext steht.
Sehr bald schon, im Juni, wählen auch Sachsen und Sc
on, im Juni, wählen auch Sachsen und Schwaben das Europäische Parlament, im September dann die einen, wie Thüringen und Brandenburg, ihre Landtage. Es sind die ersten Abstimmungen nach dem Rechtsruck in Bayern und Hessen, getragen von vielen männlichen jungen Stimmen für die AfD. Bang blicken die einen, grimmig entschlossen die anderen all dem entgegen. Da ist es wohl zu begrüßen, wenn ein Dresdner wie Weselsky die Republik lehrt, wieder harte Konflikte zu führen, statt pikiert etwa über die Wortwahl Konflikten aus dem Weg zu gehen. Er klingt ja fast wie eine Wiedergeburt Herbert Wehners auf Sächsisch; das kann in diesen Zeiten – wie damals mit allerhand Nazis – so schlecht nicht sein.Fast scheint es, als würde die Arbeit eines anderen (aus Thüringen zugezogenen) Sachsen fruchten; Dirk Oschmanns Der Osten: eine westdeutsche Erfindung hat vor einem Jahr viele Menschen elektrisiert. Auch Oschmann wählte treffende Tiraden – und zwar gegen das Bild vom „Jammer-Ossi“, wie es zum Zwecke der Verdrängung eigener Regression im Westen noch immer grassiert. Jammern ist nun wirklich nicht die Tonlage Weselskys, vielmehr Stolz – als Eisenbahner – ein Merkmal seines Kampfes, und damit ist er nicht allein.Sahra Wagenknecht wie Bodo RamelowSahra Wagenknecht etwa stimmt nicht ein, klagt bei ihren Lesungen ein Zuhörer im Osten über die Zeit vor bald 35 Jahren. Vielmehr verweist sie auf all das in zwei, drei Jahrzehnten Aufgebaute und ruft zur Verteidigung dieser Verdienste des ostdeutschen Mittelstands.Sie nimmt sich damit an Bodo Ramelow ein Beispiel, denn Thüringens Linken-Ministerpräsident hat diesen Ost-Stolz auf Arbeit und Wirtschaft erst kultiviert. Für den gibt es jede Menge Gründe, Ramelows Thüringer „Hidden Champions“, wie der Halbleiterindustrie-Aufbau in Sachsen, und mit dem Wertschöpfungskern Elektromobilität ein Wirtschaftswachstum von sechs Prozent in Brandenburg. Womit die Mark zuletzt Spitzenreiter aller Bundesländer war. Im Juli steigen dann auch noch zum ersten Mal überhaupt einheitlich die Renten, in West wie in Ost.Die Angst vor dem AbstiegTatsächlich fürchtet, wer gerade etwas aufgebaut hat, um dessen Bestand meist besonders heftig, weswegen Wirtschaft und Arbeit es sind, worum sich die Wahlen in diesem Jahr drehen. Denn als Boom, wie in anderen Teilen der Welt, lässt sich die derzeitige ökonomische Lage hierzulande kaum beschreiben. Kein Wunder also, dass ganz Europa kein anderes Thema als die Angst vor dem Abstieg so sehr polarisiert.In dieser Gemengelage findet sich der Pol gegenüber Weselsky nicht nur beim Bahnmanagement, sondern gleich in dessen eigener politischer Heimat, bei der sächsischen CDU. Auch deren Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte jüngst einen großen Auftritt: im Bundeswirtschaftsministerium auf Einladung des Grünen Robert Habeck, im randvollen Ludwig-Erhard-Saal in Berlin.Arbeitszeitverkürzung und BürgergeldArbeitszeitverkürzung à la Weselsky ist Kretschmers Sache so wenig, wie ihm jede Inbrunst für Habecks Schuldenbremsen-Reform abgeht. 40 Stunden und mehr statt vier Tage pro Woche arbeiten – das Credo des CDU-Manns passt genau zur aktuellen Bürgergeld-Attacke seiner Bundespartei: Wer jetzt aber nicht ordentlich anpackt, soll auch nicht genug essen, ganz egal, was die Verfassung über die Existenzsicherung als Grundrecht sagt.Hier ist also nun ein Feld eröffnet, auf dem harte Konflikte wunderbar zu führen sind. Denn von nichts anderem ist jener „überwiegende Teil der Menschen in diesem Land“ betroffen, den Weselsky meint, wenn er sagt „Arbeitnehmer, egal mit welcher Qualifizierung, egal in welchem Industriezweig oder in welchem Unternehmen sie tätig sind“. Es wäre vielleicht von Vorteil – Stichwort Leistung –, dächte jetzt noch jemand unter anderem an all die meist nur vererbten Vermögen, wie sie vor allem in Westdeutschland endemisch sind. Sahra Wagenknecht hat sich dafür gerade empfohlen, indem sie die Rekordwerte an Profiten benannte, wie sie der deutschen Rüstungsindustrie fast ohne eigene Anstrengung in den Schoß gefallen sind. Der Union unterstellt sie beim Bürgergeld ein „schlichtes Gemüt“, in Sachen Arbeitszeit hat sie sich mit Claus Weselsky alliiert.Was sagte der noch jüngst in Stuttgart über die GDL? „Wir sprechen Deutsch, und ich mit sächsischem Dialekt, und das mit Freude. Und wem das nicht passt, der soll sich vom Acker machen.“ In Leipzig dürfte Dirk Oschmann, nach all seiner Kritik an der Diffamierung des Sächsischen, mit Claus Weselsky zufrieden sein.