Im Jahr 2004 wurde der Hollywood-Film Alien vs. Predator mit dem Slogan beworben: „Whoever wins: we lose“ – egal wer gewinnt: Wir verlieren immer. Man fühlt sich dieser Tage häufig an den Satz erinnert. Versinnbildlicht wird er aber besonders von der Fehde zwischen dem Twitter-Inhaber Elon Musk und Meta-Eigner Mark Zuckerberg. Die beiden Milliardäre haben in der letzten Zeit einiges an ihrer einstigen Aura der Geniehaftigkeit eingebüßt: Musk, indem er das äußerst erfolgreiche, aber ruinös unprofitable Social-Media-Unternehmen Twitter aufkaufte – und es … weniger erfolgreich und noch unprofitabler machte. Zuckerberg, indem er auf eine Vision einer ganz neuen Plattform für Virtual Reality setzte, die anscheinend auch
Elon Musk vs. Mark Zuckerberg: Senioren in der Schmollecke
Social Media Hinter dem Konkurrenzangebot zu Twitter steckt mehr als nur das Ziel, es mit Threads besser hinzukriegen. Es ist auch der Zweikampf zweier Männer, die ihre Zukunft längst hinter sich haben
Adrian Daub
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Sie dulden keine Widerworte von uns Nutzern: Elon Musk (l.) und Mark Zuckerberg
Fotos: Jessica Chou/NYT/Redux/Laif, Mark Mahaney/Redux/Laif (l.)
einend auch niemand haben möchte. Einst hatten Musk mit Tesla und Zuckerberg mit Facebook den Ruf, ein ganz eigenes Gespür dafür zu haben, was „die Menschen“ wollen. Dieses Gespür scheinen sie nun ganz offenbar eingebüßt zu haben.Als Krone setzen sie dieser Entfremdung nun ein ganz persönliches Duell auf: Meta klont Twitter und bringt mit Threads einen ganz ähnlichen Social-Media-Dienst auf den Markt, um die Schwäche des Konkurrenten auszunutzen. Threads wurde vor drei Wochen gelauncht und hat in dieser kurzen Zeit bereits mehr 100 Millionen angemeldete User gewonnen (was „User“ aber praktisch bedeutet, ist noch relativ unklar, denn die meisten User usen den Dienst noch kaum). Und Elon Musk reagiert auf die neue Konkurrenz, indem er Twitter immer weiter abriegelt – manchmal sogar bis zu dem Punkt, dass der Dienst aufhört zu funktionieren. Und als ob das noch nicht genug wäre, wollen die beiden Männer jetzt anscheinend sogar zu einem persönlichen Duell in den Boxring steigen. Musk vs. Zuckerberg – der dazu passende Slogan könnte lauten: Egal wer gewinnt, die Metaphern sind tot.Schamlose MilliardäreDie Schamlosigkeit, mit der diese beiden Milliardäre, die ohnehin viel zu viel von unserer Aufmerksamkeit beanspruchen, uns nun auch noch zu Zeugen ihrer persönlichen Neurosen machen, ist in der Tat keine Metapher mehr, eher eine Metastase. In der einen Ecke: zwei in die Jahre gekommene Berufsjugendliche, die sich ihrer Männlichkeit noch einmal vergewissern müssen. Und in der anderen wir, unfreiwillig mitgerissen vom Sog, mit dem die beiden fragilen Egos durch die Gegenwart pflügen. Zuckerberg hat mit Facebook ein sehr gutes Gespür dafür bewiesen, was wir übereinander und voneinander wissen möchten. Eine ganze Sparte von Megakonzernen hat im Silicon Valley mit diesem Gespür Milliarden Dollar gescheffelt. Nun, viele Jahre später und in ihren 40ern und 50ern, scheinen die Investoren und Gründer dieser Unternehmen mit dem gegensätzlichen Problem zu kämpfen: Sie scheinen nicht zu begreifen, was keiner sehen und wissen möchte.Twitter hat davon gelebt, dass man dort erfahren konnte, was gerade passiert. Das hat sich unter der Regie von Elon Musk auf beeindruckende Weise gewandelt. Per Twitter kann man jetzt herausbekommen, was die nervigsten Menschen im weltweiten Web, die mehr Geld als Verstand haben, über die großen Themen unserer Gegenwart denken. Musk ist als Retter der allgemeinen Meinungsfreiheit angetreten – scheint aber vor allem deren Meinungsfreiheit gemeint zu haben: das Recht der nervigen Reichen, gehört zu werden, und das Recht, alle zu überstimmen. Das ist – wie gerade seine Fans immer wieder lautstark betonen, allein Elon Musks Sache. Nur: Wen soll das interessieren?Musk hat seinen Ansatz immer als Populismus verkauft, schließlich hat er die alten „Gatekeeper“, die Redaktionen und Expertinnen, entmachtet und die Macht per direkter Demokratie den Menschen zurückgegeben – so sie denn die acht Dollar pro Monat für Twitter Blue berappen. In der Praxis sieht das allerdings so aus: Wenn sich einer von Musks Jüngern, der die acht Dollar geblecht hat, nun zu einem x-beliebigen Thema äußert, dann steht seine Äußerung auch als erste unter jedem Tweet. Anstatt also von allgemein respektierten Institutionen oder etwa von einem Bundestagsabgeordneten zuerst etwas zu dem Thema zu hören, dürfen wir zuerst erfahren, was BoyGeniuz2424, Cryptounternehmer und Lebenscoach mit 800 Followern, zum Thema denkt.It’s not my idea of a good time, aber vielleicht gefällt Ihnen das ja. Viel fataler ist allerdings: Dieses Modell gibt es bereits zuhauf im Internet, beispielsweise das Internetforum 4Chan – nur, dass das halt keine Unternehmen sind, die jemand für 44 Milliarden Dollar übernehmen würde. Und es handelt sich dabei um keine Kanäle, in denen das ZDF, der Deutsche Wetterdienst oder die international renommierte London School of Economics eine Präsenz betreiben würden.Auf der anderen Seite steht das alles andere als schrammelige Threads. Metas Twitter-Klon kommt optisch hübsch daher, ist leichter zu bedienen als das Konkurrenzangebot Mastodon und schon jetzt lebendiger als die Gated Community Bluesky von Ex-Twitter-Chef Jack Dorsey. Hundert Millionen User in weniger als einem Monat: Auf Threads herrscht ein reges Treiben. Aber eben das rege Treiben eines Dorint-Konferenzhotels. Viele Unternehmen, viele Museen, viel Hochglanz, aber das Ganze hat etwas Nüchternes, Liebloses. Twitter verkommt langsam zur Kloake, aber bei Threads haut einen der Geruch der Antiseptika um. Hier, frei aufs Haus, ein guter Werbeslogan für Threads: „Wo Coca-Cola und TK Maxx sich gute Nacht sagen.“Das liegt daran, dass Threads aus Instagram ausgegliedert wurde und ganz offenkundig auch dessen „Content Moderation“ übernommen hat. Auf Instagram fällt das fehlende Feingefühl der Inhaltswächter kaum auf, denn es gibt ja keinen Dienst, mit dem man die „User Experience“ auf Instagram vergleichen könnte. Und seien wir ehrlich: Wenn Instagram keine Filter hätte, dann wäre das ein Ort vor allem für Pornografie und Onlyfans-Links, auf verstörende Art mit irgendwelchen Urlaubsfilmchen von Freunden vermischt. Wir reden – zu Recht! – von den Algorithmen und von „Content Moderation“ als Formen der Zensur, aber sie sind für die Unternehmen vor allem eine Form der Ordnung: Dadurch wird sichergestellt, dass die User noch das bekommen, was sie wollen (Freundin X war in Bali), ohne ständig mit Zeug konfrontiert zu werden, das die Insta-Follower irgendwann von der Plattform vertreiben würde.Ganz anders stellt sich die Interaktion auf Threads dar. Die App hat sich eindeutig an Twitter orientiert, man hat also ein äußerst genaues Vergleichsobjekt. Und man entwickelt, sozusagen ex negativo, ein Gespür dafür, was Twitter einmal besonders gemacht hat. Die meisten User haben bei Twitter „sensiblen Inhalt“ einfach ausgeschaltet. Der Autor dieser Zeilen hat erst bemerkt, dass es Pornografie auf Twitter gab, als der konservative US-Senator Ted Cruz einen entsprechenden Clip gelikt hatte. Dennoch basierte auch eine rein nichtpornografische Twittererfahrung auf dem Umstand, dass dort jede Menge Schmuddelkrams zu finden ist und dort also viel (wenn auch nicht alles) ging. Man konnte Dinge erst einmal hochladen – und dann schauen, was passiert. So etwas geht bei Threads nicht. Oder, wie es die Journalistin Morgan Sung in einem Artikel auf dem Nachrichtenportal TechCrunch ausdrückte: „Du kannst Deinen Arsch nicht bei Threads hochladen. Diese Plattform wird scheitern.“Trashig und trolligParadoxerweise kranken sowohl Twitter als auch Threads, die in gegensätzliche Richtungen auseinanderdriften, am selben Problem: Für wen wird dieses Angebot gemacht? Wir sind nun mal in unseren schriftlichen Äußerungen Messies – auf Instagram werden wir kuratiert, kontrolliert und können unser braun gebranntes, best-life Über-Ich präsentieren. Und wenn man uns in einer unbeobachteten Ecke lostippen lässt, ob nun auf Facebook oder Twitter, dann sind wir trashig, unüberlegt, trollig. Andererseits war es aus genau diesem Grund schon immer sinnvoll, gewisse Mindeststandards durchzusetzen, auch zu unserem Schutz vor uns selbst. Denn wenn wir gegenseitig nur unsere eigenen Neurosen vor uns auskotzen, dann guckt irgendwann kein Schwein mehr hin.Im Grunde genommen stellt das Duell Threads vs. Twitter, wie auch das Duell Zuckerberg vs. Musk, eine Art Schrumpfstufe des Populismus im Silicon Valley dar. Es gab einmal eine Zeit, in der zumindest ein Teil der Menschheit sich mit den nerdigen Hoodie-Trägern aus dem Silicon Valley identifizieren konnte. Sie zeigten es mit ihren innovativen Ideen den Mächtigen und Etablierten, sie waren die Davids, die die Goliaths dieser Welt reihenweise zu Fall brachten. Sie waren rüpelhaft, sie „bewegten sich schnell“, wie Zuckerberg einmal sagte, „und machten Dinge kaputt“. Das hat einem gewissen Typus Mensch – und insbesondere einem gewissen Typus Mann – immer auch ein Stück Anerkennung abgerungen. Daher unsere penetrante kulturelle und diskursive Überhöhung dieser an sich so banalen Figuren.Heute sind die jungen Wilden gealtert, sie haben mittlerweile mehr Jahre unter ihresgleichen – steinreiche Tech-Unternehmer – verbracht als außerhalb der Bubble. Und sie scheinen mehr und mehr ihre Claqueure mit „den Menschen“ zu verwechseln. Sie betreiben Populismus für die Ja-Sager und sind ob der Erkenntnis, dass es auch andere gibt, ziemlich verschnupft oder sogar beleidigt. Wie können wir es nur wagen, nicht in Zuckerbergs schönes Metaverse der Virtual Reality einzuziehen, nur weil es uns Kopfschmerzen bereitet und die knisternde Spannung eines Zoom-Meetings mit der sparsamen Optik des Computerspiels Second Life kombiniert? Wie können wir es wagen, Twitter den Rücken zu kehren, dieser digitalen Agora, die der liebe Elon für uns alle konzipiert hat – nur, weil wir uns an Holocaust-Memes stören und uns vielleicht nicht ständig für unsere reine Existenz verteidigen wollen? Silicon Valley war mal ein Innovationsraum – und hat dabei unsere Diskurse stark verändert. Die Frage ist nun: Sind wir bereit dafür, was mit unseren Diskursen passiert, wenn der einstige Innovationsraum zur Schmollecke wird? Whoever wins: we lose.Placeholder authorbio-1