Women Pay Gap: Ein Kind bedeutet für eine Frau 40 Prozent weniger Lebens-Einkommen
Motherhood Penalty Eine Mutter verdient 40 Prozent weniger als eine kinderlose Frau. Der Gender Pay Gap wandelt sich: Während sich die Einkommen von Männern und kinderlosen Frauen annähern, wächst die Kluft zu Frauen mit Kindern. Wie Mütter bestraft werden
Mütter verdienen auf das ganze Leben gerechnet rund 62 Prozent weniger als Männer
Foto: Hana Knížová
Dass ein Kind Arbeit bedeutet, ist dank feministischer Begriffe wie Sorgearbeit bekannt. Aber wie viel ein Kind Mütter kostet, ist noch weitgehend unbekannt: Etwa 40 Prozent ihres Einkommens müssen Mütter über ihr gesamtes Leben hinweg im Vergleich zu kinderlosen Frauen einbüßen, bei drei Kindern sind es sogar fast 70 Prozent. Diese Zahlen errechnete eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bereits im Jahr 2020 für Männer und Frauen, die heute um die 40 Jahre alt sind. Die Ungleichheit, die sich hier zwischen Frauen mit und ohne Kinder auftut, ist enorm. Denn während sich die Einkommen kinderloser Frauen denen von Männern tendenziell angleichen, zahlen Frauen, die sich um Kinder kümmern, einen hohen Preis.
Dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt m
Männern tendenziell angleichen, zahlen Frauen, die sich um Kinder kümmern, einen hohen Preis.Dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile selbstverständlich sind, ist ein Verdienst der Frauenbewegung in Deutschland, die Jahrzehnte für deren finanzielle Unabhängigkeit gekämpft hat. Die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern werden tatsächlich geringer – auch wenn eine Gender Pay Gap von 18 Prozent immer noch viel zu groß ist. Aber: hinter dieser Annäherung verschiebt sich die Ungleichheit. Benachteiligt werden nicht mehr alle Frauen, sondern jene, die sich um Kinder kümmern – während Väter, auf das ganze Leben geblickt, sogar etwas mehr verdienen als Männer ohne Kinder. Hinter der Debatte um die Gleichstellung wächst eine neue Kluft heran: Die der Motherhood Lifetime Penalty. Die finanzielle Bestrafung dafür, Mutter zu werden.Der Karriereknick rund um die Geburt und KleinkindzeitSo haben Männer und Frauen ganz unterschiedliche Erwerbsbiografien. Während die Anzahl der vollzeitbeschäftigten Männer mit der Zeit zunimmt und zwischen 30 und 50 Jahren die Hochphase hat, ist es bei Frauen umgekehrt: Zwischen 30 und 50 Jahren nimmt ihre Vollzeitbeschäftigung ab, hat die Tiefpunkte genau in der Lebensspanne, in der viele Frauen Mütter werden. Diese Zeit ist die Hochphase des Zuverdienerinnen-Modells, das für heterosexuelle Elternpaare die am häufigsten gelebte Arbeitsteilung darstellt: Er ist in Vollzeit berufstätig, sie in Teilzeit, dafür hauptverantwortlich für die Sorgearbeit.Die allermeisten Mütter unterbrechen ihre Erwerbsarbeit bei jedem Kind und beziehen Elterngeld, während Väter die Lohnarbeit meistens wenn, dann nur sehr kurz unterbrechen – und Frauen ohne Kinder haben diese Unterbrechung gar nicht. Es lohnt sich also ein Blick auf die Ungleichheit auch unter Frauen, denn die ist vielfältig. Mütter, die selbstständig arbeiten, also etwa als Handwerkerinnen, als Journalistinnen oder als selbstständige Pflegerinnen, beziehen weitaus kürzer Elterngeld als angestellte Mütter. Der Grund ist einfach: Selbstständige Frauen können sich längere Elternzeit nicht leisten. Einen Anspruch auf Mutterschutz haben sie auch nicht.Im Osten: Gleichstellung von Männern und kinderlosen FrauenBeeindruckend ist vor diesem Hintergrund auch die Ost-West-Ungleichheit zwischen Müttern: Mütter im Westen verdienen auf das ganze Leben geblickt etwa 56 Prozent weniger als kinderlose Frauen (62 Prozent weniger als Männer). Im Osten ist die Ungleichheit zwischen Männern und kinderlosen Frauen mit drei Prozent auffällig gering, während die Einkommensungleichheit am Ende eines Lebens zwischen einer Mutter und einer kinderlosen Frau 47 Prozent beträgt – deutlich weniger als im Westen, dennoch gravierend.Kinderkriegen trägt also maßgeblich zur Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt bei. Woran liegt diese tiefe Ungleichheit, mit der Mütter ab dem ersten Kind konfrontiert sind? Es ist ein Zusammenspiel aus politischen Rahmenbedingungen, veralteten Rollenbildern und den unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten, die der Kapitalismus hervorbringt. Konkret begünstigt zum Beispiel das Ehegattensplitting das Modell der Zuverdienerin, weil extrem ungleiche Einkommen in Ehen sich steuerlich lohnen. Aber auch das Elterngeld in seiner jetzigen Form trägt kaum aktiv dazu bei, Gleichberechtigung voranzutreiben. Zuletzt hat die Ampelregierung beschlossen, dass mindestens ein Monat der zwölf Elterngeldmonate von einem Elternteil allein genommen werden muss. Sprich: Väter sollen ermutigt werden, sich im ersten Lebensjahr vier Wochen hauptverantwortlich um ihr Kind zu kümmern. Damit hängt die Messlatte für Gleichberechtigung äußerst tief, denn wer die anderen elf Monate übernimmt, ist klar.Um nach der Elternzeit überhaupt in einen Job zurückkehren zu können, bräuchte es verlässliche Kinderbetreuung, und dass die im Moment keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt die Kita-Krise. Zudem herrscht ein Firmenklima, das Vätern suggeriert, sie wären unabdingbar im Geschäft, während Frauen im gebärfähigen Alter lieber gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder rechtswidrig nach ihrer Familienplanung gefragt werden.Je konservativer das Mutterbild, desto ärmer die MutterUnd ja, auch das verbreitete traditionelle Mutterbild ist kein unerheblicher Grund für die anhaltenden Lohnlücken. Die Autorin Jo Lücke verdeutlicht anhand einer länderübergreifenden Studie von Henrik Kleven, Camille Landais und Jakob Egholt Søgaard von 2019, dass in Ländern, in denen deutlich konservativere Mutterbilder gelten, die „Motherhood Penalties“ höher ausfallen. Wenn Mädchen mit dem Gefühl aufwachsen, ihre Zukunft an ein eng gefasstes Mutterbild orientieren zu müssen und eine Mutter in erster Linie an den Herd gedacht wird, haben sie es besonders schwer, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen.Ausschlaggebend für die Höhe des Einkommens ist also nicht hauptsächlich das Geschlecht, sondern die Frage, ob eine Frau Kinder hat oder nicht. Die krasse Ungleichheit zwischen Männern, kinderlosen Frauen und Müttern gipfelt dann übrigens auch in dem, was die Soziologie Gender Pension Gap nennt: Frauen stehen nach der Zeit ihrer Erwerbsarbeit mit einem Drittel weniger Rente da als Männer.Wie funktioniert Sorgearbeit im Kapitalismus?Im Jahr 2024 wird es Zeit, dass wir die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt etwas anders diskutieren. Es ist nicht so, dass die Gender Pay Gap überwunden wäre – durchlaufe ich die gleiche Ausbildung, habe vergleichbare Qualifikationen und ähnliche Erfahrungswerte wie mein Partner, verdiene ich trotzdem noch immer sechs Prozent weniger Geld als er. Einfach so. Dennoch lässt sich eine Verschiebung erkennen: Wer keine unbezahlte Sorgearbeit verrichtet, hat mehr Zeit zum Geldverdienen. Die finanzielle Gleichstellung funktioniert also unter den aktuellen Bedingungen nur, solange Sorgearbeit ausgeklammert bleibt. Sobald das energieaufwendige Kümmern hinzukommt, schnappt die Falle zu und bringt jene, die sich kümmern, um einen erheblichen Teil des Geldes, das ihnen eigentlich zusteht. Sie arbeiten ja nicht weniger – nur unsichtbarer.Gender Lifetime Earnings Gap, Motherhood Lifetime Penalty: Hinter diesen Fachtermini verstecken sich Ungleichheiten, die es in sich haben. Und die übrigens gegen unsere Verfassung verstoßen. Das Grundgesetz sieht nicht nur die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen vor, sondern auch die „Beseitigung bestehender Nachteile“ durch den Staat. Wieso hält die Bundesregierung an einem Ehegattensplitting fest, das dazu beiträgt, dass Männer Vollzeit arbeiten und Frauen Teilzeit? Wenn diese Gesellschaft nicht möchte, dass Mütter das Kinderkriegen mit 40 bis 70 Prozent ihres Einkommens bezahlen, während Väter für das Kinderkriegen belohnt werden – dann sollte sie sich etwas einfallen lassen. Dass kinderlose Frauen den Männern gleichgestellt werden, löst das Problem, dass Fürsorge in unserer Gesellschaft keinen Platz hat, jedenfalls nicht.Statistik: Die Lebenseinkommen von Männern, kinderlosen Frauen und MütternIm Verlaufe eines Lebens ergibt sich eine eklatante Ungleichheit in den Gesamteinkommen von Männern und Frauen – vor allem Müttern: Die „Gender Lifetime Earnings Gap“Placeholder image-1
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