Die Frau, das Extra

Patriarchat Von Hosen bis Klimaanlagen, vieles ist nur für Männer designt – das zeigt Rebekka Endler in ihrem Buch
Ausgabe 26/2021

Ein Porsche-Sportwagen ist ein Auto für Männer. In einem Porsche fuhr die Männlichkeitsikone einer ganzen Generation, James Dean, in den Tod. Frei, ungebunden und in rasender Geschwindigkeit unterwegs zu sein, ist ein männlich konnotiertes Lebensgefühl, dem sich die Marke verbunden fühlt. Frauen kamen für Porsches Werbeabteilung eigentlich immer nur als schmückendes Beiwerk vor: Sie wurden als „Trophy Wives“ neben der Autotür für den männlichen Blick aufbereitet.

Aber als potenzielle Käuferinnen eines 911 Carrera wurden sie kaum gesehen. Doch das soll sich nun ändern. Die Luxusfirma hat deswegen ihr Projekt Zielgruppenerweiterung angekündigt. Frauen schätzten Nachhaltigkeit stärker und sorgten sich mehr um die Umwelt als Männer, das hat die Marktforschung bei Porsche ergeben. Was das Unternehmen bei der Entwicklung neuer Autos nun mitbeachten wolle und auch gleich vorgelegt hat: Für den ersten Frauenporsche, der jetzt auf dem Markt ist, hat es sich eine vermeintlich passende Lackierung ausgedacht: Die Farbe „Frozen Berry“ soll der Türöffner in die geheimnisvolle Welt des Frauengeschmacks sein.

Einfach pink anmalen, fertig

Um Frauen auch bei Produkten anzusprechen, die etwas mit Technik zu tun haben und sich vermeintlich an den Interessen von Männern orientieren, fällt dem Kapitalismus oft nichts anderes ein, als diese pink anzumalen. Die Bohrmaschine für die Frau sieht dann vielleicht so aus, als könnte sie auch Hello Kitty gefallen. Das ist einer der Vorwürfe, die die Journalistin Rebekka Endler in ihrem Buch Das Patriarchat der Dinge an diesen richtet. Gewonnen im feministischen Sinne werde dabei jedoch nichts. Das für Frauen farblich markierte Konsumgut werde zur Anomalie, während der Rest der Produktpalette nur noch stärker als vor allem für Männer gedacht angesehen werde. Dem Gender-Marketing unterzogene Produkte, die sich an Frauen richten, werden zudem als weniger wertig angesehen als die weiterhin klassisch männlich codierten, so Endler. Ihre These wird von Porsche wahrscheinlich ungewollt unterstützt, indem die Firma ihren „frozen-berry“-farbenen Sportwagen ohne Ledersitze ausliefert. Eben wegen der Nachhaltigkeit, die den Frauen so wichtig sei. In der Welt der Porschefahrer*innen dürften hochtourige Protzautos ohne Ledergarnitur jedoch eher als zweitklassig angesehen werden.

Das Beispiel Porsche hat es nur nicht in Endlers Buch geschafft, weil die Pläne der deutschen Sportwagenfirma, jetzt verstärkt auch Frauen ihre Autos andrehen zu wollen, zu frisch sind. In ihrer dichten Materialsammlung fehlt sonst eigentlich keiner der Versuche, den Bedürfnissen von Frauen mit oftmals zweifelhaften Methoden gerecht werden zu wollen inmitten einer allenthalben auf Männer ausgerichteten Welt. Endler hat auch genügend Beispiele parat, bei denen nicht einmal das versucht wird, oder allenfalls schleppend. Das geht bei ihr los mit öffentlichen Toiletten in Amsterdams Innenstadt, von denen es noch vor ein paar Jahren 35 in Form von Pissoirs gab und nur zwei, auf denen sich auch Frauen ohne große Umstände erleichtern konnten. Und reicht bis hin zu den gerade immer dringlicher diskutierten Themen wie gendergerechte Sprache und Künstliche Intelligenz (KI), bei der sich feststellen lässt, dass Algorithmen etwa im Bereich der elektronischen Gesichtserkennung Männer deswegen leichter erkennen, weil sie vor allem mit männerspezifischen Daten gefüttert werden. Der KI wurde Sexismus regelrecht antrainiert.

Endler macht deutlich, wie schwer es ihr selbst als Frau fällt, sich in einer für Männer gedachten und gemachten Welt zu bewegen und zu behaupten. Immer wieder streut sie persönliche Anekdoten ein, um zu veranschaulichen, dass Gender-Ungerechtigkeiten nicht nur mit irgendwelchen Studien belegt werden können, sondern im ganz normalen Alltag zu finden sind. Wenn sie sich etwa darüber aufregt, dass an für Jungs und Männer designten Klamotten immer praktische Taschen angebracht würden, diese bei denen für Mädchen und Frauen jedoch meist fehlten, beschreibt sie, was passiert, wenn sie mal in der Jeansjacke ihres Freundes herumrennt anstatt in der eigenen. Sie kann dann die Handtasche beruhigt daheim lassen und muss sich aufgrund der Taschen, die sie plötzlich vollstopfen kann, trotzdem keine Sorgen machen, etwas liegen zu lassen.

Vermeintliche Banalitäten wie die konstatierte Vernachlässigung von Taschen beim Design von Frauenklamotten stellt Endler gerne in einen größeren Kontext. So verbindet sie die Taschenfrage mit einem modehistorischen Exkurs und erläutert bei diesem, wie Kleidung für Frauen immer stärker der Zweck zugeschoben wurde, diese zu schmücken, während sie für Männer auch weiter praktisch sein durfte. Für die Frau hat es dann irgendwann das Abendkleid zu sein, während dem Mann auch die Cargohose gut steht.

Auch in Kleinigkeiten findet Endler noch das Potenzial, von Bedeutung für ihre möglichst allumfassende feministische Gesellschaftsanalyse zu sein. In ihrer Abhandlung zur Mode ist sie dann etwa irgendwann bei Annalena Baerbocks Vorliebe für Blümchenkleider angelangt und der gerne mal gestellten Frage, ob sich ein derartiges Fashion-Bekenntnis mit höheren politischen Ambitionen wirklich verbinden lasse. Endler referiert dann über den Missstand, dass Äußerlichkeiten bei karriereorientierten Frauen ungerechterweise immer noch eine größere Rolle spielten als bei Männern.

Sogar in der Medizin

Die Autorin ist lesbar wütend über all die Ungerechtigkeiten, auf die sie bei ihrer fleißigen Recherche gestoßen ist, und man hat bei ihren gerne auch mal sehr assoziativen Gedankengängen das Gefühl, sie kann diese gar nicht schnell genug alle aufzählen. Klimaanlagen, die in öffentlichen Einrichtungen bevorzugt nach dem männlichem Kälteempfinden eingestellt werden, auch wenn es Frauen dabei fröstelt. An jeder Ecke Denkmäler, mit denen wahnsinnig wichtige Männer gewürdigt werden und fast nie Frauen. Cockpits in Flugzeugen, bei denen die Abmessungen der Instrumente für die männliche Anthropometrie zugeschnitten sind. Crashtest-Dummys, die männlichen Körpern nachempfunden sind und deswegen die Folgen eines Unfalls für einen typischen Männerkörper simulieren können. Und nicht die für einen durchschnittlichen Frauenkörper mit etwas anders gelagerten Gefahrenzonen bei Frontal-Crashs. Und dass Chefsessel für Büros von ihren Herstellern gerne mit männlichen Vornamen versehen werden – Chefsessel Tim! – davon muss sie dann auch noch berichten.

Man mag vielleicht nicht jedem ihrer Beispiele in gleichem Maße bei der intendierten Beweisführung folgen, dass Frauen in dieser Welt immer noch viel zu oft als Menschen zweiter Klasse angesehen werden. Aber wenn man etwa liest, wie Pharmaindustrie und Medizin den Mann zum Zentrum ihrer Forschungen gemacht haben und das immer noch tun und dass etwa Herzinfarkte bei Frauen öfter tödlich sind als bei Männern, obwohl sie bei diesen seltener auftauchen, stößt das schon bitter auf. Für die Besonderheiten weiblicher Herzinfarkte ist das medizinische Personal schlechter geschult als für das schnelle Erkennen eines Herzinfarkts bei Männern, erfährt man. Hier könne nur das Vorantreiben einer gendergerechten Medizin helfen, so Endler.

Als Hauptursache für die am Patriarchat ausgerichtete Welt, in der sie sich zu bewegen meint, macht sie den Kapitalismus aus. Der mag gut darin sein, auch noch für die nutzlosesten Produkte Abnehmer zu finden. Aber Fußballschuhe herzustellen, die nicht nur Cristiano Ronaldo und Lionel Messi perfekt beim Glänzen auf dem Platz helfen, sondern noch besser den etwas anderen Anforderungen an das Schuhwerk beim Gegen-den-Ball-Treten der Frauen gerecht werden, damit tue er sich schwer.

Kapitalismus und Patriarchat bilden für sie letztendlich eine Einheit. Welches der beiden eng verzahnten Systeme zuerst zumindest gehörig verändert gehört, das ist für sie nicht die Frage: am besten unbedingt beide.

Info

Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt Rebekka Endler DuMont 2021, 336 S., 22 €

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