Seka und der adlige Kommunist

Familiengeschichte Was für eine Odyssee: Marina Achenbachs feiner Roman „Ein Krokodil für Zagreb“
Ausgabe 16/2017

In ihrem Roman Ein Krokodil für Zagreb erzählt Marina Achenbach die Geschichte ihrer Eltern, von Seka aus Sarajevo und ihrem Mann Ado von Achenbach, der nach Kroatien geflohen ist, ein Krokodil unter dem Hemd. Seka, die eigentlich dem Erben einer Glühlampenfabrik versprochen ist und als Journalistin arbeitet, ist so fasziniert von dem doppelt so alten Theatermann, Kommunist aus preußischem Offiziers- und Ministerhaushalt und zwanzig Jahre zuvor Münchner Räterepublikaner, dass sie die Pläne ihrer Familie durchkreuzt und Ado heiratet.

Gleich am Anfang des Buches schreibt Marina Achenbach über die Splitter seines Lebens, die Ado vor der jungen Journalistin Seka ausstreut und die sie im Schreiben zusammenfügt zu einer Geschichte. Ähnlich arbeitet auch ihre Tochter, nur dass sie die Splitter Splitter sein lässt und jeden einzelnen zum Leuchten bringt. Das Erzählen hat sie von ihrer Mutter, die es wie ein großartiges Laster hat aussehen lassen. „Seka erzählt ein Leben lang Geschichten, wir hören ihr süchtig zu, obwohl wir sie verdächtigen, dass sie übertreibt. (...) Ein geordnetes Berichten langweilt sie.“ Nichts ist geordnet in dieser Emigrantengeschichte. Die Achenbachs fliehen mit ihren zwei kleinen Kindern Dunja und Andreas vor der faschistischen Ustascha ausgerechnet nach Deutschland, und finden Obdach im Haus von Ados Mutter in der großbürgerlichen Umgebung direkt an der Spree. Paula von Achenbach hat mit dem Tod ihres Mannes den Schutz verloren. Sie ist Jüdin, im August 1944 wird sie abgeholt. „Das ist das Wort, abholen. Mehr sagt niemand darüber.“ Das Haus am Rande des Tiergartens ist da längst zerbombt und Seka mit den Kindern in den Norden, nach Ahrenshoop gereist, während Ado als Halbjude zur Arbeit im Buna-Werk gezwungen ist.

Sie überleben das Kriegsende und bleiben im Fischerdorf; motiviert von Johannes R. Becher macht Ado Karriere in der DDR, baut Theaterhochschulen auf, gründet eine weitere Familie und stirbt mit 60 ausgerechnet im Leipziger Zoo, wo er mit seiner vierjährigen Tochter die Krokodile besucht. Seka, der mit Ados Tod die Bindungen an die DDR verloren gehen, geht mit den Kindern in den Westen und möchte es nicht als Flucht verstanden wissen.

Ein Krokodil für Zagreb ist ein Buch, das seine Wirkung nicht unbedingt über die einzelnen Szenen, sondern als Ganzes entfaltet und dessen Leichtigkeit noch lange nach der Lektüre nachwirkt. Marina Achenbach gelingt es, die Freiheit ihrer Protagonisten und ihre mit Klugheit gepaarte Kühnheit in eine Freiheit der Sprache zu übersetzen. Jede einzelne Szene ist im Präsens erzählt, und so ist auch das Leben von Seka. Die Zukunft ist für sie ungewiss, sie lebt in der Gegenwart so frei, wie es geht, rücksichtslos gegen Doktrinen, ungebeugt.

Marina Achenbach hat den Freitag 1990 mitbegründet und viele Jahre geprägt. Sie hat uns in ihren Reportagen aus dem ehemaligen Jugoslawien den Krieg erzählt, der Anfang der 1990er Jahre viele von uns in seiner Grausamkeit ratlos machte. Erzählt, weil er einfach zu erklären nicht war. Die Kräfte, die aufeinandertrafen, wirken bis heute nach. In Ein Krokodil für Zagreb kommt Marina Achenbach noch einmal auf ihre Zeit als Reporterin zwischen den feindlichen Linien Sarajevos zurück, es ist die einzige Episode im Roman, die ohne Seka stattfindet.

Wenn aus Journalisten Schriftsteller werden, wird meist zu Recht gefragt, ob die Gattungsbezeichnung Roman nicht nur eine Marketingmaßnahme ist. Im diesem Falle ist eher die Frage, ob Marina Achenbachs Reportagen in ihrer Literarizität nicht eigentlich Erzählungen sind.

Info

Ein Krokodil für Zagreb Marina Achenbach Nautilus 2017, 224 S., 19,90 €

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