Köln ist nicht Kairo

Medienhysterie Warum wir in der Debatte über die Angriffe auf Frauen in der Silvesternacht einen kühlen Kopf bewahren sollten
Ausgabe 01/2016
Der Kölner Hauptbahnhof nach Neujahr
Der Kölner Hauptbahnhof nach Neujahr

Foto: Oliver Berg/AFP/Getty Images

Es ist schwer, sich vorzustellen, was genau in der Silvesternacht in Köln passiert ist. Knapp 100 Strafanzeigen wegen unterschiedlicher Delikte wurden bisher gestellt, mindestens 15 davon auch wegen sexueller Belästigung, eine wegen Vergewaltigung. Die Täter wurden von den Betroffenen mehrheitlich als „dem Aussehen nach nordafrikanischer Herkunft“ und als stark alkoholisiert beschrieben.

Der Stern twitterte allen Ernstes: „1000 Männer haben am Kölner Hbf Frauen sexuell belästigt.“ Eine absurde Falschinformation, die zwar später im Text korrigiert wurde; allerdings änderte das nichts daran, dass sich der Tweet fröhlich weiterverbreitete. Auch in anderen Kanälen stieg der Grad der Hysterie, der rechte Mob machte mobil. Die einen wollen Angela Merkel hängen, weil sie an allem schuld sei, andere wollen Busfahrten nach Köln organisieren, um „weiße deutsche Frauen“ zu beschützen.

Mit atemberaubender Geschwindigkeit wird das alte rassistische Narrativ aufgeboten, wonach „einheimische blonde Frauen“ von „ausländischen dunklen Männern“ sexuell bedroht werden. Feministinnen geraten unter Generalverdacht: Wenn sie diese Sichtweise nicht ebenfalls laut vertreten, sind sie keine richtigen Feministinnen, verhöhnen die Opfer, verschließen die Augen vor der Wahrheit!

Aber das Gegenteil ist richtig. Wenn wir der Versuchung nachgeben, uns mit Rassisten zu verbünden, haben wir schon verloren. Denn deren Angebot zu einer Allianz ist scheinheilig. Es sind dieselben Typen, denen sexuelle Gewalt normalerweise egal ist, die frauenverachtende Witze und Busengrapschen für Flirtversuche halten und die meinen, über sexuelle Gewalt in Beziehungen zu sprechen zerstöre Familien.

Und die entdecken jetzt ihr Faible für die Freiheit der Frauen? Der Schutz, den der westliche Mann „seinen“ Frauen anbietet, hat leider noch nie wirklichen Respekt vor deren Wünschen bedeutet. Sondern es ist eher so wie bei Lord Cromer, der Ende des 19. Jahrhunderts britischer Generalkonsul in Ägypten war. Dort betrieb er vehement die Entschleierung der „unzivilisierten“ ägyptischen Frauen – während er gleichzeitig in England eine „Männerliga gegen die Einführung des Frauenstimmrechtes“ gründete.

Apropos Ägypten: Drohen uns jetzt Verhältnisse wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo, wo Frauen während der arabischen Rebellion massive sexuelle Übergriffe erleiden mussten? Breitet sich hierzulande aufgrund von Migrationsbewegungen ein „importiertes Patriarchat“ aus? Nun ja, Massenansammlungen betrunkener Männer sind nirgendwo ein angenehmes Biotop für Frauen. Auch nicht, wenn die Männer so aussehen, als seien sie nordafrikanischer Herkunft.

So wie es aussieht, waren die am Kölner Hauptbahnhof von etwa 100 Männern aus der Menge heraus begangenen Straftaten ganz überwiegend Taschendiebstähle. Taschendiebe gehen in der Regel so vor, dass sie ihre Opfer anrempeln, um sie abzulenken. Sie treten dabei häufig in Gruppen auf: Einer rempelt, der andere greift zu. Die Kölner Polizei jedenfalls schreibt auf ihrer Internetseite, die sexuellen Übergriffe hätten vor allem diesen Zweck gehabt: die Opfer abzulenken, damit man sie leichter beklauen kann. Gut möglich, dass einige auch glaubten, ein sexueller Übergriff würde die weiblichen Opfer zum Schweigen bringen und verhindern, dass sie Anzeige erstatten. Aber da haben sie sich halt geirrt. Sie waren nämlich in Köln und nicht auf dem Tahrir-Platz.

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