#14N - Dortmunder für ein Europa der Menschen

Europäische Aktion Millionen Europäer waren im Generalstreik und auf der Straße. Der Europäische Gewerkschaftsbund hatte zu einem Aktionstag aufgerufen. Ein Bericht aus Dortmund

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Mangels des hierzulande tabuisierten politischen Streiks hatten deutsche Gewerkschaften und Mitarbeitergremien vieler Firmen die Proteste mit Solidaritätsaktionen unterstützt.

Millionen Europäer auf der Straße und im Streik

Unter dem Hashtag #14N (14. November) war sozusagen der erste „europäische Generalstreik“ angesetzt worden. Der Europäische Gewerkschaftsbund hatte zur Soldiarität mit den malträtierten Südeuropäern, zu Protest gegen Austeritätspolitik und für Jobs aufgerufen. Schwerpunkte des europaweiten Generalstreiks waren Spanien und Portugal. Dort wurde der 24-stündige Streik gegen ein Europa der Troika massiv befolgt. Alleine für den spanischen Staat sprechen Gewerkschaften von nahezu 10 Millionen Streikenden. Vermutlich mehrere Millionen Menschen haben sich dort an Demonstrationen beteiligt. Begleitet wurde der Streik von Polizeiattacken u.a. in mehreren Städten der iberischen Halbinsel und in Rom. In vielen anderen Städten Europas gab es Solidaritätsaktionen im Rahmen des Generalstreiks, meldet "redglobe". Auch in Dortmund fand eine kleine, aber feine Solidaritätsaktion statt. Readers Edition war für Sie dabei.

"Wir zahlen nicht für eure Krise!"

Bereits gegen 15.00 Uhr traf sich eine Schar Aktivisten in der Innenstadt, Ecke Alter Markt/Betenstraße. Die Solidaritätsaktion wurde von einem breitem Bündnis, bestehend aus Aktivisten von Occupy Dortmund, dem DGB und Einzelgewerkschaften, dem Bündnis gegen Sparschweinereien, linken Gruppen sowie der Partei DIE LINKE getragen. Die Attac-Gruppe, angeführt von Till Strucksberg, in weißen Schutzanzügen brachte die Krise und deren Folgen als sich durch die Passanten bewegende "Menschenmaschine" als Straßentheater auf den Dortmunder Alten Markt. Immer wieder wurde skandiert: "Europa gehört uns, nehmen wir uns Europa! Solidarität mit den Streikenden in Europa!" Till Strucksberg, wie auch andere Redner, forderten auch für Deutschland das Recht auf Generalstreik. Strucksberg machte deutlich, dass - anders als uns Medien und bestimmte Politiker weismachen wollten - auch Deutschland nicht verschonen werde. Deutschland, so Struckberg, habe nur "Exportweltmeister" werden können, indem im Inland ein riesiger Niedriglohnsektor geschaffen wurde und andere EU-Länder niederkonkurrierte. Es wurde die Politik der Troika und die zunehmende nationalistische Hetze in Europa kritisiert. Ein Tenor vereinte: "Wir zahlen nicht für eure Krise!"

"Wir brauchen ein Europa der Bürger!"

http://www.readers-edition.de/wp-content/uploads/2012/11/2012-11-14-16.31.26-300x209.jpgDie Vorsitzende des DGB Dortmund-Hellweg, Jutta Reiter (Foto links), erklärte, die bisherige Krisenpolitik zerstöre Europa als Sozialmodell. Austeritätspolitik und Sozialabbau sei der falsche Weg. Arbeiter, Rentner sowie sozial Schwache müssten für die Krise aufkommen, während Besitzer großer Vermögen und Konzerne profitierten. Reiter: "Vor Umverteilung wird zurückgeschreckt", wie der Teufel vorm Weihwasser. Die europäischen Werte würden mit Füssen getreten. Soziale Ungleichheit wachse. Es sei geradezu absurd, dass der IWF nun bekunde, man habe die (negativen) Auswirkungen der Austeritätspolitik völlig falsch eingeschätzt. Ein "zügelloser" Wettbewerb unter den EU-Staaten und die unterschiedliche Besteuerung habe in die Misere geführt, argumentierte die DGB-Chefin aus Dortmund. Die EU benötige eine andere Weichenstellung. Jutta Reiter: "Wir brauchen ein Europa der Bürger!" und ein Sozialpakt. Gefördert werden müssen Wachstum und Beschäftigung in Europa. Es müsse umgesteuert werden, so fuhr Reiter fort. Es sei an der Zeit, dass die Krisenverursacher zur Kasse gebeten würden.

Dr. Matthias Meyn (DIE LINKE): Freue mich über das breite Bündnis

Von einer Sitzung der Bezirksvertretung Dortmund-West war deren Mitglied Dr. Matthias Meyn (DIE LINKE) in die City zu den Demonstrierende geeilt. Zuvor, sagte Meyn, habe er noch beantragt, die Solidaritätsaktion zu unterstützen. Doch die Vertreter der anderen Parteien hätten abgelehnt. "Um so mehr", betonte Dr. Meyn, "freue ich mich als alter Gewerkschafter, dass hier ein breites Bündnis aus Gewerkschaftern, Linken, Attac und anderen Organisationen solidarisch zusammen stehen". Ein gewisses Verständnis dafür schien Meyn aufzubringen, dass die deutschen Gewerkschaften nach dem 2.Weltkrieg mehr oder weniger als Rädchen im kapitalistischen Getriebe fungiert hätten. Nun aber stünden soziale Errungenschaften auf dem Spiel. Heute ginge es um die Beschneidung von Arbeitnehmerrechten und um die Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme. Dagegen müsse auch das Mittel des Generalstreiks in Anschlag gebracht werden. Dr. Meyn hält nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofes die Praxis eines faktischen Verbots von Generalstreiks in Deutschland für grundgesetzwidrig. Der Linkspolitiker kritiserte die europäische Austeritätspolitik als verheerend und falsch, weil sie nur auf Geldwertstabilität fixiert sei. Dies könne nicht funktionieren und führe in die Deflation. Und in Deutschland mehr und mehr zu einem "autoritären Staat". Dr. Matthias Meyn: Demokratie und Kapitalismus passt immer weniger zusammen.

Solidarische Grüße und "Minigeneralstreik"

Für das angekündigte Offene Mikrofon blieb nur noch wenig Zeit. Eine IGBCE-Vertreterin verlas eine Grußbotschaft. Ein IG-Metaller eines Dortmunder Großbetriebes verkündete unter soldiarischen Beifall, man habe sich nach dem Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbundes rasch beraten. Und gestern eine Betriebsversammlung am Werkstor beschlossen. So ging die Frühschicht eine Stunde er und die Spätschicht kam eine Stunde später. Man setzte so quasi einen Minigeneralstreik ins Werk.

Marsch zum italienischen Konsulat

Im Anschluss an die Kundgebung formierte sich der nun auf ca. 150 Demonstranten angewachsene Zug solidarischer Europäer hinter einem Polizeibulli mit Blaulicht und dem ihm folgenden Kleinlaster mit Verstärkeranlage. Gegen 17 Uhr ging es dann hinter dem Transparent mit dem Spruch von Ton, Steine, Scherben aus dem Jahre 1971 durchs nun bereits abendliche Dortmund ins Kaiserstraßenviertel. Immer wieder ertönten vom LKW Forderungen nach Bankenregulierung und Solidarität mit den von rigider Austeritätspolitik betroffenen Südeuropäern. Einige Passanten schauten verdutzt auf die demonstrierenden Menschen. Zwei ältere Damen nickten an der Haustüre stehend kräftig, als der Sprecher die Banken und Konzerne kritisierte und forderte, sich deren Bevormundung nicht länger bieten zu lassen. Andere Bürger äugten neugierig hinter den Gardinen. Ins Mikrofon rief da jemand: "Bürger lasst das Glotzen sein - Bürger reiht euch ein!" Hinter der Tür einer kirchlichen Vertretung winkte ein Frau freundlich, bekundete so ihre Solidarität. Anderen Menschen in dem gutbürgerlichen Wohnviertel flösste die allerdings völlig friedlich demonstrierende Truppe augenscheinlich Angst ein: Sie ließen die Jalousien heruntersausen...

http://www.readers-edition.de/wp-content/uploads/2012/11/2012-11-14-17.50.07-261x300.jpg Schließlich bog die Truppe auf eine schmalere Straße des Villenviertels ein. Auch hier ratterten einige Jalousien herunter, als die Polizeiautoblaulichtblitze über die Fassaden ihrer Häuser leckten und in ihre Wohnstuben hineinzuckten. Vor dem italienischen Konsulat stoppte der Zug. Hier gab es noch die Möglichekeit das Offene Mikrofon zu nutzen und dann eine Abschlusskundgebung. Ein Aktivist (Foto links) übergab in einem gelben Kasten mit Posthorn viele kleine Kärtchen (siehe Foto) mit solidarischen Grüßen der Dortmunder an die von Austerität betroffenen Italiener. Wie der Aktivist nach der Übergabe an den Sekretär des Konsuls berichtete, habe dieser die Grüße mit Dank angenommen. Er habe versprochen die Post an die italienischen Gewerkschaften weiterzuleiten. Der Sekretär habe davon gesprochen, dass es in Italien neben friedlichen Protesten auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen sei.

Fazit

http://www.readers-edition.de/wp-content/uploads/2012/11/2012-11-14-15.30.56-300x225.jpgIn über 20 Ländern Europas wurde gestern für soziale Gerechtigkeit demonstriert. In Deutschland gab es soldiarische Aktionen in mehreren Städten. So auch in Dortmund. Dort war zwar nur einen kleine "Gemeinde" mit solidarischen Grüßen zum italienischen Konsulat gezogen. Aber das besondere an der Gruppe war, dass sie Menschen verschiedener Generationen und unterschiedlicher Organisationen und Parteien in sich vereinte, die allesamt eines verbindet: Die Sorge um das großartige Projekt Europa und die Entschlossenheit aktiv dazu beizutragen, ein solidarisches und soziales "Europa der Menschen" zu schaffen und der absterbenden Demokratie aufs Neue zum Sieg zu verhelfen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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