Dann machen’s eben wir

Engagement Den Menschen auf der Flucht zu helfen, ist vor allem eine Aufgabe von Politik und Staat? Nein!
Ausgabe 36/2015
Freiwillige Helfer vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin
Freiwillige Helfer vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Die Mechanismen der Politik sind schwerfällig: Meinungsbildung, internationale Koordination, runde Tische – es dauert Monate, bis sich etwas tut. Derweil verfolgen wir im Fernsehen grausam ums Leben gekommene Menschen in Lkw auf österreichischen Autobahnen, Nazi-Demonstrationen und Molotowcocktails in den deutschen Provinzen. Während also Politiker um Lösungen ringen, spielen sich – neben den dunklen – auch wunderbare Dinge in der Zivilgesellschaft ab.

Menschen werden zu handelnden Bürgern. Aber es ist gar nicht so leicht, zu helfen, wenn man nicht Til Schweiger ist und mal eben auf Facebook sagen kann, was einem „auf den Sack“ geht. Ich bin auch kein Freund von Bild und will mich der Aktion „Wir helfen“ nicht anschließen. Und meine alten Turnschuhe zu spenden, die ich eigentlich zum Container bringen wollte, kommt mir auch irgendwie merkwürdig vor. Was also kann ich tun? Schreiben! Filme machen! Kommunizieren!

Ich habe einen Brief an eine Hilfsorganisation für Flüchtlinge in Bremen geschrieben und meine Dienste angeboten: Deutschunterricht, ein Filmprojekt, eine Flüchtlingszeitschrift, das passt zu mir. Die Antwort, die ich bekam, war frustrierend: Derartige Projekte könne man nicht vermitteln, die Strukturen der Flüchtlingsheime seien zu komplex, Anfragen müssten direkt vor Ort oder bei den Behörden gemacht werden. Ich solle einfach ein konkretes Angebot einstellen und warten, bis sich jemand meldet. Dankeschön, und tschüss. Ich war wütend.

Man mag die einzelnen Unternehmungen belächeln, geringschätzen und zynisch kommentieren: Möchte Til Schweiger mit seinem Flüchtlingsheim sein Image polieren? Macht es sich das ältere Ehepaar nicht zu leicht, wenn es die alten Schuhe aus dem Keller holt und sie der Spendenhilfe gibt, statt sie in den Müll zu werfen? Ist der Tagesthemen-Kommentar nicht zu pathetisch, wenn er appelliert, dass die Schweigenden dem Nazi-Mob ihre Stimme entgegensetzen müssen? Und überhaupt: Ist die Organisation von Flüchtlingstreffs, von Bürokratieassistenten und anderen Freiwilligen nicht eigentlich eine Aufgabe des Staats?

Nein! Man sollte keines dieser Engagements belächeln. Denn jede Aktion ist nicht nur konkrete Unterstützung, sondern auch ein Zeichen an die Politik. Ein Großteil der Deutschen will helfen, empfindet die europäische Flüchtlingspolitik als Schande. Das alltägliche Engagement, der individuelle Einsatz, zeigt, dass Deutschland mit Ausnahme einiger Radikaler sich einig ist: Wir sind bereit, unseren Alltag zu verändern und Opfer zu bringen. Jedes Engagement ist auch Zeichen aktiven Protests und eine Form konstruktiver Politik. Anders als die Politiker suchen Bürger nicht nach der Ausrede für das Unmögliche, sondern nach unkonventionellen Möglichkeiten. Es hilft eben nicht, anderen Ländern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Es ist müßig, die Kanzlerin oder die SPD dafür anzugreifen, dass sie kein Sprachrohr der Armen im Land mehr sind, die Grünen der Utopie anzuklagen oder der Linken ihre weltanschauliche Motivation vorzuwerfen.

Es ist an der Zeit, den Alltag selbst zu formen und zu helfen. Und das gilt auch für mich! Statt über eine Organisation zu meckern, die es mir beinahe unmöglich macht, als Bürger einzugreifen, werde ich einfach weitermachen. Ich habe schon eine Idee für ein neues Projekt. Morgen werde ich es direkt unserer Bremer Aufnahmestelle anbieten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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