Musik Fono Forum, Opera News, Crescendo: Immer mehr Klassik-Medien machen dicht, der öffentlich-rechtliche Rundfunk will die Lücke nicht schließen. Über einen Kahlschlag, der Opern und Konzerte noch weiter aus der öffentlichen Wahrnehmung drängt
Für die wenigen prominenten Fernsehsendeplätze setzen ARD und ZDF immer weniger auf eigene Ensembles
Foto: Imago Images
An der klassischen Musik scheitern immer mehr Medien, um Opern und Konzerte wird es immer stiller. Ende des Jahres wird die Traditionszeitschrift Fono Forum eingestellt, nach fast 70 Jahren und grandiosen Erfindungen wie dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik. In den USA meldete Opera News sein Aus. Mit einer Coverstory in diesem Magazin begannen viele internationale Karrieren. Herausgegeben wurde es von der Opera Guild, dem Förderverein der Metropolitan Opera, der nun ebenfalls aufgelöst wird. Klassische Special-Interest-Magazine wie das Crescendo (einst monatlich im Print) oder VAN erscheinen längst weitgehend digital, und nun hat auch der Klassik-Streamingdienst Takt1 angekündigt, seinen Betrieb einzustellen.
Der mediale Kahlschlag trifft die Klassik in einer Zei
ale Kahlschlag trifft die Klassik in einer Zeit, in der sie sich in einem radikalen Umbruch befindet: Veranstalter und Orchester ringen um Publikum, versuchen in ihren Traditionshäusern, die oft noch immer von #metoo-Übergriffen, überkommenem Geniekult und Despotismus geprägt sind, moderne Unternehmensstrukturen zu etablieren. Außerdem suchen sie nach dem richtigen Weg zwischen Tradition und Moderne. Aus vielen Feuilletons sind Opern und Konzerte schon lange verschwunden, in zahlreichen Regionalzeitungen (etwa in der Stuttgarter Zeitung) wurden Kulturseiten geschrumpft oder aufgelöst und Redakteursstellen gestrichen.Viele Verlage haben erkannt, was die Klassikwelt noch immer nicht wahrhaben will: Opern und Konzerte spielen im öffentlichen Diskurs nur noch eine marginale Rolle. Einst waren sie Freidenkzonen für ihre Städte, ihre Bühnenskandale wurden in lokalen Medien debattiert. Was würde Greta Thunberg heute mit einer Bühne tun? Sie hat die Straße und die Talkshows für ihre Inszenierungen. Selbst in überregionalen Zeitungen kann von seriösem Kulturjournalismus kaum noch die Rede sein. Selbst großen Publikationen fehlen Reiseetats, sie lassen sich von Veranstaltern einladen und bezahlen ihre Autoren eher schlecht – 150 Euro für einen Aufmachertext ist bei einer Tageszeitung schon viel.Letzte ARD-KlassiksendungKlassik ist unrentabel, das wissen Opern- und Konzerthäuser schon lange. Deshalb werden sie vom Bund, den Ländern und von den Kommunen mitfinanziert. Nun zeigt sich, dass auch Medien, die über Musik berichten, allein kaum überlebensfähig sind. Das alte Finanzierungsmodell vieler Fachzeitschriften ist am Ende: Publikationen wurden lange von Werbung finanziert, die Veranstalter oder Labels geschaltet haben. Die stecken ihr Geld inzwischen (wenn sie es überhaupt noch können) lieber in direktes Marketing. Und so entpuppt sich die Klassik gerade als Katze, die sich viel zu lange in den eigenen Schwanz gebissen hat: Viele Medien wurden von der Musikindustrie getragen und haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Auch, weil sie ihre Abhängigkeiten (von privaten oder staatlich geförderten Kulturpartnern) nie transparent gemacht haben. Ernsthafter Musikjournalismus, der über die Probleme der Branche recherchiert und berichtet, über sexuelle Übergriffe an Hochschulen oder in Theatern, über prekäre Bezahlung oder politische Abhängigkeiten, konnte sich in der Hochglanzwelt der Klassik kaum entwickeln. Und so kommt es, dass die staatlich geförderten Opernhäuser weitgehend ohne journalistisches Korrektiv auskommen.In den letzten Jahren waren es höchstens noch einige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wie der WDR, der SWR oder der BR, die ernsthafte Klassik-Berichterstattung betrieben haben. Doch auch ihnen geht es inzwischen an den Kragen. Und das, obwohl der Etat von ARD und ZDF 2023 erstmals zehn Milliarden Euro übersteigt.Aber besonders beim BR werden derzeit einschneidende Kulturkürzungen befürchtet. Der Sender hat gerade die letzte Fernseh-Klassiksendung innerhalb der ARD, das Format Klickklack, eingestellt. Kulturschaffende und die Belegschaft befürchten den Rotstift auch bei Formaten wie der Kulturwelt, der Musiksendung Weltempfänger, dem Kulturjournal oder dem Nachtstudio. Im Sender selbst argumentiert man, dass es sich nicht um Sparmaßnahmen, sondern um „Transformation“ handle. Man würde die alten, linearen Inhalte digital neu ordnen, in On-Demand- und Social-Media-Projekte investieren. Davon ist derzeit allerdings nur wenig zu sehen.Dass die abendlichen regionalen Radio-Kulturprogramme, in denen Musik eine wesentliche Rolle spielt, in einem gemeinsamen ARD-Programm verschmelzen sollen, gilt als weitgehend ausgemacht. ARD-Chef Kai Gniffke erklärt das so: „Wenn ich im SWR-Sendegebiet am Tag sechs Sendestunden regionale, vom SWR produzierte Kultur hätte und in den anderen 18 Stunden bediente ich mich aus dem Besten der anderen Wellen, vom MDR, vom WDR, dann hätte ich nach wie vor ein unglaublich gutes Kulturprogramm.“Auch die Radioorchester sind nicht sicherMindestens so diskussionswürdig wie die redaktionellen Kürzungen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist ihr kulturjournalistisches Selbstbild. Besonders gut zu beobachten ist das beim SWR. Die Redaktion des Senders berichtet auffällig sparsam (eigentlich fast überhaupt nicht) über die öffentliche Kritik am Chefdirigenten des SWR-Symphonieorchesters, Teodor Currentzis. Er wird in Russland gleichzeitig von der sanktionierten VTB Bank und von Gazprom bezahlt, erklärte einst „Wer Russland liebt, braucht Russland nicht fürchten“, erhielt einen russischen Pass auf Dekret von Wladimir Putin, und die Musikerinnen und Musiker seines Ensembles musicAeterna bezeichnen deutsche Journalisten als „Faschisten“ und schreiben Kampflieder für Russlands Front – Currentzis hat sich davon nie distanziert.Nachfragen bei SWR-Intendant Kai Gniffke, wie sich das Ausbleiben kritisch-journalistischer Recherchen um die Russlandgeschäfte des Chefdirigenten des Radioorchesters mit dem redaktionellen Selbstverständnis des SWR vertragen, blieben bislang unbeantwortet. Der Pro-Currentzis-Kurs ist offensichtlich Chef-Devise, und die Kulturredaktionen des Senders ziehen kritiklos mit – entweder aus Angst oder aus Überzeugung.WDR-Intendant Tom Buhrow wiederum stellte letzten November in seiner Hamburger Rede die Radioorchester zur Disposition: „Die ARD unterhält insgesamt 16 Ensembles“, erklärte Buhrow, „wollen die Beitragszahler das? Wollen sie es in dieser Größenordnung? Oder wollen sie ein Best-of? Das beste Sinfonieorchester, den besten Chor, die beste Big Band, das beste Funkhausorchester?“Schon jetzt spielt klassische Musik kaum noch eine Rolle im öffentlich-rechtlichen Hauptprogramm. Die wenigen prominenten Fernsehsendeplätze in der Adventszeit oder zu Neujahr werden nicht mit eigenen Ensembles besetzt, sondern mit den Berliner Philharmonikern, der Staatskapelle Dresden oder – wie gerade im ZDF – mit einer schlagerhaften Operngala mit Tenor Jonas Kaufmann aus der Arena von Verona (warum nicht eine Opernübertragung aus einem deutschen Stadttheater? Oder von einem ARD-Ensemble?).Streaming, aber biederGerade gab auch der Streamingdienst Takt1 sein Ende bekannt. Gründer Holger Noltze erklärte es damit, dass die Konzertveranstalter noch nicht so weit seien und es keine Bereitschaft gäbe, für die Dienste zu zahlen. Vielleicht lag das Ende aber auch an der biederen und weitgehend uninspirierten Aufarbeitung des Angebotes.Viele Fernsehanstalten, Streamingdienste, Häuser und Verantwortliche haben offensichtlich noch immer nicht erkannt, dass das audiovisuelle Medium sowohl Vor- als auch Nachteile hat. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass jemand zu Hause auf dem Sofa fünf Stunden lang eine Oper wie Parsifal im Fernsehen schaut. Doch es gibt durchaus audiovisuelle Formate, die funktionieren könnten. Nur wo sind die Sendungen, die Aufführungen vergleichen? Wo die spannenden und ehrlichen Talks über Musik? Wo kontroverse Debatten? Wo der Zusammenschluss, in denen Angebote unterschiedlicher Häuser redaktionell aufgearbeitet werden? Das Fernsehen hat diese Formate längst aufgegeben – sie wären perfekt für Häuser und Streamingdienste.Letztlich haben audiovisuelle Klassikangebote eine ähnliche Aufgabe wie der Print. Sie sind Plattformen und Marktplätze, auf denen die Inspirationen, Provokationen und Deutungen der Bühne ausgestellt und debattiert werden können. Doch diese Marktplätze stehen schon lange nicht mehr unter Denkmalschutz – und wenn sie erst einmal verloren sind, wird es in der Folge wohl auch den letzten Theatern und Orchestern an den Kragen gehen.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.