Christian Thielemann wird Chef der Staatsoper: Entscheidung für die Tradition

Meinung Eine Überraschung ist es nicht, auch keine konservative Wende: Die Entscheidung für den kontroversen Dirigenten Christian Thielemann als Nachfolger für Daniel Barenboim an der Spitze der Staatskapelle schützt eine gefährdete Tradition
So sieht er aus, der Nachfolger von Daniel Barenboim an der Staatsoper Berlin
So sieht er aus, der Nachfolger von Daniel Barenboim an der Staatsoper Berlin

Foto: John MacDougall/AFP via Getty Images,

Es ist keine Überraschung. Schon vor der offiziellen Bekanntgabe durch Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) am Mittwochmittag pfiffen es die publizistischen Spatzen von den Dächern: Christian Thielemann wird neuer Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden. Er war der haushohe Favorit, Wunschkandidat vor allem des Orchesters. Thielemann folgt auf den legendären Daniel Barenboim, der dreißig Jahre lang die Berliner Staatskapelle zu einem Orchester von Weltrang formte. Er ist zwar auf Lebenszeit ernannt, doch Anfang des Jahres schwer erkrankt zurückgetreten. Das Ideal, dem er als Dirigent folgte, bezeichnete er als „deutschen Klang“ – darauf bestand der in Argentinien geborene polyglotte Jude. Warm, golden, musikantisch, deutscher Wald statt historisch-kritischem Originalklang.

Christian Thielemann steht so fest in dieser Tradition deutscher Orchesterkultur wie kein zweiter. Als Assistent sowohl von Herbert von Karajan als auch von Daniel Barenboim hat der gebürtige Berliner sein Handwerk gelernt. In deren Fußstapfen hat er überall auf der Welt Beifallsstürme entfacht. Wie Barenboim ist Thielemann einer der großen Wagnerdirigenten seiner Zeit. Einige Jahre lang als Musikdirektor in Bayreuth, der erste und bisher einzige in dieser Funktion – bis er sich mit Katharina Wagner überwarf.

Das passiert ihm immer wieder, vor allem mit Kulturfunktionären. Als er als Chefdirigent der Deutschen Oper Berlin 2004 für sein Orchester Gleichbehandlung mit Barenboims Staatskapelle, was den Etat anging, forderte, kam es zum Eklat und man glaubte, antisemitische Untertöne bei ihm vernommen zu haben. Zuletzt wurde sein Vertrag als Chefdirigent in Dresden nicht verlängert. Dort will man die Semperoper modernisieren, jüngerem Publikum schmackhaft machen. Thielemann war und ist vielen nicht nur zu unbequem, sondern auch zu konservativ. Ein Preußenverehrer, dessen Gesinnung nicht zum Zeitgeist passt. Dazu – Jahrgang 1959 – ein alter, weißer Mann. Manche mögen stattdessen auf eine der jungen, aufstrebenden Dirigentinnen gehofft haben.

Christian Thielemann ist ein feinfühliger Wagner-Interpret

Doch immer wieder wurde er auch künstlerisch infrage gestellt. Zu schmales Repertoire: immer wieder Wagner und Strauß. Spätromantik. Und hat er nicht sogar den Nazi Pfitzner und dessen Oper Palestrina immer hoch in Ehren gehalten? Ja, hat er, haben andere auch. Mozart liegt ihm nicht besonders, das italienische Fach aber durchaus. Und klingt sein Wagner nicht allzu teutonisch, allzu überwältigend, sein Tristan wie eine „legale Droge“, wie er selbst immer wieder betonte? Da allerdings macht man es sich zu einfach. Niemand dirigiert Wagner transparenter, weniger dröhnend und auftrumpfend als Thielemann. Ein Klangmagier, gewiss, aber dabei an Feinfühligkeit nicht zu übertreffen. Spätestens seit er den Ring an der Staatsoper vergangenes Jahr vom erkrankten Barenboim übernahm, gab es keine Zweifel mehr an seiner musikalischen Kongenialität.

Nicht bloß bei Wagner. Auch auf dem Konzertpodium. Unerreicht ist zum Beispiel seine jüngste Einspielung aller zehn Bruckner-Symphonien mit den Wiener Philharmonikern, die ihn ebenso schätzen wie die Berliner Philharmoniker. Thielemanns Stärke wird da frappierend klar: Er zeichnet die große Architektur dieser Mammutwerke nach, den Plan, die Idee, die hinter den gigantischen Felsmassiven aus Tönen steht.

Es mag gefälligere Interpreten, umgänglichere, wendigere Pultstars, sympathischere, weniger autoritär auftretende Dirigenten geben. Ein kulturpolitisches Rollback, gar eine Trendwende aber ist Thielemanns Berufung nicht – er war ja schon unter dem alten Senat des Orchesters Favorit. Es ist eine Bestallung allein nach Kriterien der klassischen Musik. Ein Votum für Tradition auf einem Feld, auf dem es nun einmal darum geht, eine große, gefährdete Tradition zu wahren und zu verteidigen. Ob das gut geht mit Thielemann und wie lange? Das wird sich zeigen.

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